Quetschn
und Klampfe
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Der herablassende Blick auf das Akkordeon ist Ausdruck der Verachtung der Bourgeoisie für das „Volk“, das sie „einfach“ nennt. Wer sich kein Klavier leisten konnte und dafür in seiner Mietwohnung keinen Platz hatte, nahm zum transportablen Harmonieinstrument Zuflucht, auf dem man mehrstimmige Melodien und Begleitakkorde spielen konnte. Die Ziehharmonika gehört ins Umfeld von Nelke, Plastiktischtuch und 1. Mai.
Mit dem Blick hinaus über die Grenzen und namentlich auf Astor Piazzolla, dem Erneuerer des Bandoneons, eines Verwandten der tastenlosen Knopfharmonika, hat sich die Einstellung zum ländlichen und proletarischen Akkordeon gewandelt. In seinem Schatten wurden auch Musiker wie Richard Galliano, Lydie Auvrey, Otto Lechner oder Jean Pacalet, der Begleiter von Barbara Thalheim, ernst genommen.
Das ECM-Label, das einen der interessantesten Bandoneonspieler, Dino Saluzzi, unter Vertrag hat, kümmert sich auch um den französischen Akkordeonisten Jean-Louis Matinier, der unter anderem als Begleiter von Juliette Gréco Erfolge gefeiert hat. Auf der CD Rivages ist er nun im Duo mit Kevin Seddiki zu hören. Der Franzose spielt die klassische Gitarre, die eine schlampige Terminologie „akustisch“ nennt – als wäre eine elektrisch verstärkte Gitarre nicht akustisch. Die Stimmungen der elf kurzen Stücke reichen vom tänzerisch Fröhlichen bis zur Melancholie. Das Material liefern "klassische“ Komponisten wie Gabriel Fauré und Robert Schumann, traditionelle Folklore oder die beiden Musiker selbst. Hinreißend klingt die eigenwillige Interpretation von Greensleeves, das – wohl fälschlicherweise – Heinrich VIII. zugeschrieben wird.
Mit Rivages fügt der ECM-Katalog den Aufnahmen von Gianluigi Trovesi und Gianni Coscia eine würdige Rehabilitation des Akkordeons und ein weiteres Exempel zugleich volkstümlicher und höchst anspruchsvoller Musik in kleiner Besetzung hinzu.
Thomas Rothschild – 28. Mai 2020 ID 12266
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Rivages
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