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CD-Kritik

Wecker ist

wieder

da





Bewertung:    



Ich erinnere mich noch genau. Es war in Friedrichshafen, nach einem Konzert der vom SWR längst eingesparten Liederbestenliste. Konstantin Wecker kam an meinen Tisch und sagte von oben herab: „Rothschild, du kommst nicht mehr mit. Die Zeit ist über dich hinweg gegangen.“ Er hatte recht. Was ich mochte, wofür ich mich begeistern konnte, befand sich im Stadium des Verschwindens. Ich konnte der These einiger Freunde nicht folgen, wonach der Rap, den ich durchaus interessant fand, die Stelle der Liedermacher einnehmen, ihre Funktion erfüllen könne.

Inzwischen ist die Zeit oder vielmehr die veröffentlichte Kultur auch über Konstantin Wecker hinweg gegangen. Ich sage das ohne Schadenfreude. Konstantin Wecker ist der bedeutendste deutschsprachige Liedermacher seiner Generation, und wenn das in Vergessenheit gerät, schmerzt mich das, auch weil es mir ein Stück meiner Biographie stiehlt.

In den vergangenen Jahren ist es still geworden um Konstantin Wecker, für den eine ganze Generation einst geschwärmt hat, dessen Texte sie auswendig kannte und dessen Melodien sie nachsummte. Jetzt meldet er sich zurück mit 17 Titeln auf einer CD, die bedeutungsschwanger Utopia heißt. Kurioserweise beginnt sie ohne Klavier, ohne Gesang. Konstantin Wecker rezitiert ein Gedicht, das – billiger gibt er es nicht – auf Goethes Faust Bezug nimmt. Und es erweist sich: was im Lied funktioniert, der gereimte jambische Vers, wirkt gesprochen verhängnisvoll altmodisch, wie eine unfreiwillige Parodie. „wie oft hab ich mir beigewohnt,/ wie oft hab ich mich nur geschont.“

Konstantin Wecker denkt in seinen Texten über die Welt nach, über sich selbst und allzu oft über „das Sein“. Da gerät er unwillkürlich ins Raunen, wird just dort prätentiös, wo er sich demutsvoll gibt. Er bricht eine Lanze für die Poesie. Dabei gelingen ihm tatsächlich schöne Verse, aber auch sie verweisen mit ihrem „hohen Ton“ in eine Tradition, die wenig gemeinsam hat mit der Dichtung, wie sie sich im vergangenen Jahrhundert entwickelt hat. „Wir müssen nicht wissen, wer wir sind,/ denn es genügt schon, zu sein.“ Das klingt nicht nur verblasen, es ist auch wenig glaubwürdig angesichts der vorausgegangenen Strophen, in denen Wecker just wissen will, wer er ist. Und es steht im Widerspruch zu dem politischen Konstantin Wecker. Das ist nicht ganz neu. Es gab immer schon den Wecker, der sich im Windschatten von Degenhardt und Biermann leidenschaftlich zu aktuellen Themen äußerte, und jenen anderen Wecker, der sich nach Rilke und Heidegger zu sehnen schien. Ein Spagat, der auch dem Betrachter Schmerzen bereiten kann.

Zielscheiben von Konstantin Weckers politischen Liedern sind Gewalt und Krieg, Faschismus und Ausbeutung, Kapitalismus und Patriarchat. Seine Rhetorik ist die des verallgemeinernden Slogans, der Maxime, des Appells. Kaum ein Lied, in dem er nicht ein „ihr“ anspräche, mal die Gegner, denen er berechtigte Vorwürfe macht, mal jene, von denen sich Wecker Solidarität erhofft. Aber auch hier erzeugen Reime eine unfreiwillige Komik, die an Georg Kreisler denken lässt: „doch die Gesetze/ der Sprache, die mal deine war, sind unauffindbar,/ am ehesten noch da zu finden, wo man Kind war“. Die Erschaffung von Figuren – die große Stärke Franz Josef Degenhardts – ist nicht sein Ding. Mit einer Ausnahme: sein Willy wurde zu seinem größten Triumph und eine Identifikationsfigur. Jetzt, als letzte Zugabe, hat er seinen Song in einem fast neunminütigen Sprechgesang fortgesponnen, ohne Reime, aber mit Nachdruck und einem fast erstaunlich optimistischen Ende. Der Traum von einem Land, in dem „keine und keiner unterdrückt und gedemütigt wird“ – darüber ist die Zeit nicht hinweg gegangen.


Thomas Rothschild – 28. Juli 2021
ID 13052
https://sturm-und-klang.de/portfolio_page/utopia


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