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Schostakowitschs Die Nase am Theater Basel | Foto (C) Thomas Aurin

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Herbert Fritsch gilt inzwischen im gesamten deutschsprachigen Raum als der Spezialist fürs Komische mit hohem Wiedererkennungswert. Erst kürzlich hat er in Wien Rossinis Barbier von Sevilla inszeniert. Jetzt hat eine ganz andere Herausforderung sein Interesse geweckt: Die Nase von Dmitri Schostakowitsch aus den späten zwanziger Jahren.

Allzu oft wird Schostakowitschs erste Oper nach einer Erzählung von Nikolaj Gogol nicht aufgeführt. Aber es waren namhafte Regisseure, die sich dieses Werks in den vergangenen Jahren angenommen haben, wie Peter Stein, Barrie Kosky oder Karin Beier und in New York William Kentridge. Nun aber scheint es, dass der bizarre Stoff dieser ungewöhnlichen Oper Konjunktur hat. Neben dem aufs Groteske abonnierten Herbert Fritsch in Basel wird Peter Konwitschny demnächst in Dresden Die Nase inszenieren. Zuvorgekommen ist ihnen der Russe Kirill Serebrennikov in München, wo Serge Dorny, der in Dresden verschmähte Import aus Lyon, seit dieser Spielzeit die Staatsoper leitet. Sein vollmundiger Anspruch freilich auf Originalität und Entdeckerfreude wird durch solche Häufung in Frage gestellt. Und Serebrennikov hat ihm nach seiner unerwarteten Ausreise die lange Nase (!) gezeigt und verkündet, wie froh und glücklich er sei, dass Hamburg, und nicht etwa München, die erste europäische Stadt sei, in der er nach viereinhalb Jahren wieder arbeiten darf.

Dass eine Inszenierung nur indirekt, über die verfügbaren technischen Kanäle an ihr Publikum gelangt, ist uns im vergangenen Jahr zu einer Selbstverständlichkeit geworden (als hätte die Schallplatte nicht schon längst, was man zuvor in Präsenz erlebt hatte, nämlich Musik, als Sekundärerlebnis vermittelt). Dass aber ein abwesender Regisseur mit dem Ensemble interagiert, ist rar, und man könnte auf die abwegige Idee kommen, dass ein Regisseur am Ort im Zeitalter der heiligen Digitalisierung überflüssig geworden ist. Anstelle der Reisedirigenten und -sänger der Vergangenheit – der Regisseur am flackernden Bildschirm. Kirill Serebrennikov hat die Kommunikation via Videoschaltung wiederholt, nicht unter dem Druck der Pandemie, sondern der russischen Justiz, praktiziert. Damit hat es nun hoffentlich ein Ende.

Solchem Unbill war Herbert Fritsch zum Glück nicht ausgesetzt. Er konnte leibhaftig in der Stadt der schönsten Fasnacht, die ihm in vielfacher Hinsicht taugen müsste, arbeiten. Und es erweist sich, dass er mit der Nase einen formidablen Griff getan hat. Gogols Vorlage von der Nase, die sich selbstständig macht und ihren Eigentümer damit in Schwierigkeiten bringt und die Karfkas Verwandlung ebenso vorweg nimmt wie die absurde Dichtung des 20. Jahrhunderts, ist für Fritsch wie geschaffen. Zugegeben: wer seine früheren Inszenierungen kennt, entdeckt mancherlei Vertrautes wieder. Fritsch greift auf sein Arsenal von Theatermitteln zurück, auf schräge Körperhaltungen, komische Tableaus, stilisierte Gänge, zappelige Kunstfiguren. Wer Dokumente der russischen Avantgarde, des Theaters von Meyerhold und Wachtangow kennt, weiß, woher sich Fritsch manche Anregungen geholt hat. Manche Einfälle werden, wohl unter dem Diktat der Musik, ausgewalzt. So verschwinden Männer, wie von einem Staubsauger weggesaugt, in den Spalten des in sich verschachtelten knallbunten Bühnenbilds, tauchen wieder auf und verschwinden erneut. Alles ist in ständiger Bewegung, und den Sänger*innen wird viel abverlangt, wenn sie auch noch singen sollen.

Und die Musik, die, noch unberührt von den Einschränkungen durch einen dogmatischen Sozialistischen Realismus, moderner klingt als spätere Kompositionen von Schostakowitsch? Sie fällt der spektakulären Inszenierung partiell zum Opfer. Das Visuelle nimmt die Aufmerksamkeit für sich in Anspruch, auf Kosten des Orchesters im Graben. Das ist ungerecht. Aber so ist das halt, wenn Oper mehr sein will als Gesang an der Rampe.



Schostakowitschs Die Nase am Theater Basel | Foto (C) Thomas Aurin

Thomas Rothschild - 1. Februar 2022
ID 13433
DIE NASE (Theater Basel, 30.01.2022)
Musikalische Leitung: Clemens Heil
Inszenierung und Bühne: Herbert Fritsch
Bühnenbildmitarbeit: Andrej Rutar
Kostüme: Victoria Behr
Lichtdesign: Roland Edrich
Chorleitung: Michael Clark
Dramaturgie: Roman Reeger
Mit: Martin Baumeister, Boguslaw Bidzinski, Michael Borth, Karl-Heinz Brandt,, Kyu Choi, Emily Dilewski, Jasmin Etezadzadeh, Inna Fedorii, Sonja Goltz, Georgia Knower, Flavio Mathias, Evelyn Meier, Vuyani Mlinde, Andrew Murphy, Eckhard Otto, Marco Pobuda, Jasin Rammal-Rykała, Constantin Rupp, André Nicolas Schann, Donovan Elliot Smith, Peter Tantsits, Vladimir Vassilev, , Hubert Wild, Frauke Willimczik und Vivian Zatta (in alphabetischer Reihenfolge)
Chor des Theater Basel
Sinfonieorchester Base
Premiere war am 27. November 2021.
Weitere Termine: 18., 20., 23., 24., 26.02. / 04., 13., 20., 24.03.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.theater-basel.ch/


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