From Castorf with love
DER KLANG DER OFFENBARUNG DES GÖTTLICHEN - jetzt auch in Stuttgart
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Bewertung:
Nach nur 45 Minuten: Standing Ovations. Wieder so ein Abend, an dem man sich als kritischer Kritiker ins Unrecht gesetzt fühlt.
Eben erst die Koproduktion von Gefährliche Operette mit dem Stadttheater Gießen, bei der das komplette Ensemble, inklusive Dirigent, aus Gießen kam und lediglich das kleine Orchester aus dem Stuttgarter Haus rekrutiert wurde, und nun, nur 4 Tage später, eine Produktion der Berliner Volksbühne, die dort bereits vor sage und schreibe neun Jahren aufgeführt wurde, aber nicht als Gastspiel angekündigt ist, sondern als Stuttgarter Premiere. Chor und Orchester sowie die vier nicht gerade überforderten Solisten mussten, wie das eigentlich bei Koproduktionen gang und gäbe ist, nicht importiert werden. Wie soll man derlei bewerten? Ist es eine wohlfeile Auffüllung des Angebots zur – auch subventionspolitisch bedeutsamen – Verschönerung der Bilanz (wie viele Premieren schafft die Oper im Jahr?), oder kommt die Planung damit einem Bedürfnis nach Information, nach einem Blick über den Stuttgarter Tellerrand hinaus entgegen? Die zweite Möglichkeit wäre ja lobenswert, aber in diesem Fall wünschte man sich mehr Systematik, ein kontinuierliches Angebot von Gastspielen, die als solche markiert sind. Man darf auch daran erinnern, dass für eine äußerst verdienstvolle, mal bessere, mal schwächere, immer aber anregende Programmschiene, die schon in der Intendanz Wieler abgeschaffte, von dem als Operndirektor nach Bern abgewanderten Xavier Zuber ausgeheckte zeitoper, seither kein vollwertiger Ersatz gefunden wurde.
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Nun also, was Offenbarung heißt, aber nicht wirklich eine solche ist. Es hätte gut in Zubers Konzeption gepasst. Es entzieht sich den gebräuchlichen Kategorien und propagiert stattdessen die interdisziplinäre Symbiose, die „Wechselseitige Erhellung der Künste“ (Oskar Walzel). Musik und bildende Kunst haben in diesem Fall gleiche Rechte. Das Bühnenbild, ansonsten im Theater, selbst bei genialen Bühnenbildner*innen, dem Stück und der Regie dienend unterworfen, hat hier seine Autonomie. Es wurde von einem Kollektiv unter der Leitung des isländischen bildenden Künstlers und Regisseurs Ragnar Kjartansson erstellt. Die Musik hat sein Landsmann Kjartan Sveinsson komponiert.
Dem Stück geht ein Gespräch wechselnder Experten auf der Bühne voraus. Bei der Premiere waren das der Regisseur, der Komponist, Ulrike Groos vom Kunstmuseum Stuttgart und der Intendant der Oper Viktor Schoner. „Gespräch“ ist vielleicht das falsche Wort. Ulrike Groos richtete ihre Fragen an Kjartansson und fragte Sveinsson nach dessen Antwort, ob er etwas hinzufügen wolle. Themen waren die Bedeutung von Wiederholung, Stockhausen, Melancholie und Ironie.
Ganz neu sind Experimente dieser Art ja nicht. Im Umkreis von Fluxus etwa fanden sie schon vor 60 Jahren statt. Aber auf Opernbühnen sah man sie nicht, sondern meistens in Kunstgalerien und aufgeschlossenen Museen. Auch Ragnar Kjartansson hatte im Kunstmuseum Stuttgart eine Ausstellung, ehe die Offenbarung in der Oper ankam.
Der Begriff „Offenbarung“ hat ja eine schöne Doppeldeutigkeit. Einmal meint er eine religiöse Verkündigung und passt im Kontext der Stuttgarter Oper zur Johannes-Passion, die zwei Tage vorher Premiere hatte. Und dann bezeichnet er den Vorgang, der etwas Geheimgehaltenes sichtbar, eben offenbar macht. Der volle Titel der „Oper in vier Teilen“, Der Klang der Offenbarung des Göttlichen, verweist zugleich in die religiöse Sphäre und, mit dem Stichwort „Klang“, auf die Musik. Er stammt von Halldór Laxness und ist schon das Beste an diesem Abend. Viktor Schoner versuchte, die Offenbarung in den Kontext von Wagners Ring zu stellen, der gerade am Haus läuft, aber das Stichwort „Gesamtkunstwerk“ reicht dafür nicht aus.
Was freilich zu hören und zu sehen war, blieb hinter den Erwartungen des Kritikers weit zurück. So viel Dreiklang ist selten in der zeitgenössischen Musik. Und die Bühnen-Bilder erinnern am ehesten an Böcklin, an Kinderbuchillustrationen des Jugendstils und an ein Panoptikum im Lunapark, mitsamt fallendem Schnee, Blitz und Donner. Das alles wirkte verblüffend anachronistisch. Wer die These befürwortet, dass es in den Künsten so etwas wie Fortschritt gibt, muss diese Bilder und diese Musik als reaktionär taxieren. Jedenfalls kann man konstatieren: Wenn die Offenbarung des Göttlichen so klingt, hat sie von Kandinsky und Jackson Pollock ebenso wenig vernommen wie von Schönberg und Cage. Selbst solche der Tonalität verpflichtete Komponisten wie Steve Reich oder Phil Glass klingen im Vergleich vielleicht nicht göttlich, aber immerhin näher an unserer Gegenwart.
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Der Klang der Offenbarung des Göttlichen an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Thomas Aurin
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Thomas Rothschild – 5. April 2023 ID 14134
DER KLANG DER OFFENBARUNG DES GÖTTLICHEN (Staatsoper Stuttgart, 04.04.2023)
Oper in vier Teilen von Ragnar Kjartansson und Kjartan Sveinsson
Dirigent: Christopher Schumann
Chor: Manuel Pujol
Regie & Bühne: Ragnar Kjartansson
Mitarbeit Bühne: Axel Hallkell Johannesson
Maler: Victor Cilia, Thorvaldur Gröndal, Lilja Gunnarsdottir, Axel Hallkell Johannesson, Ingjaldur Karason und Ragnar Kjartansson
Dramaturgie: Henning Nass
Mit: Natasha Te Rupe Wilson, Shannon Keegan, Alberto Robert und Gerard Farreras sowie dem Staatsopernchor Stuttgart und dem Staatsorchester Stuttgart
UA war 2014 in Berlin
Premiere in Stuttgart: 4. April 2023
Weiterer Termin: 15.04.2023
Eine Produktion der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de
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