Schräg,
schräger,
am schrägsten
IL TRITTICO an der Deutschen Oper Berlin
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Misha Kiria und Jonathan Tetelman in Il tabarro an der DOB | Foto (C) Eike Walkenhorst
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Bewertung:
Vor 17 Jahren lief Il Trittico zuletzt im Hause an der Bismarckstraße. Inszeniert hatte ihn Katharina Wagner (damals 27 Lenze jung) und heimste sich hiermit ein mir noch immer in den Ohren nachdröhnendes Wutgebrüll der traditionsfanatischsten Konservatisten unter den anwesenden DOB-Zuschauern ein; da war richtig was los.
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Jetzt bestellte Intendant Dietmar Schwarz die multitalentierte Pınar Karabulut (36), die unlängst mit ihrer Parkdeck-Inszenierung von Turnages Greek an der Deutschen Oper Berlin debütierte, für die Regie zu dem Puccini-Dreiteiler.
Ich war bereits total für sie gestimmt, nachdem ich vor zwei Jahren ihren als Soap-Opera gefilmten Edward II. in der Mediathek vom Schauspiel Köln am Heimrechner verfolgte; geplant hatte sie eigentlich eine "normale" Inszenierung der Palmetshofer'schen Übersetzung des Marlowe-Stücks, aber wegen Corona modelte sie alles, was ihr vorher für die Bühne vorschwebte, zu einer 6-teiligen Filmchenserie um; das fand ich schon genial gemacht.
Jetzt also kümmerte sie sich um die drei großen kleinen Opern mit viel, viel Schmachte & Schmalz:
Il tabarro (Der Mantel)...
"...zeigt eine düstere Dreiecksgeschichte im Schiffermilieu auf der Pariser Seine. Der Aktionsradius der Figuren ist äußerst eng, eine geschlossene Welt der verschwiegenen Sehnsüchte und unterdrückten Träume. Konflikte wie seelische Wunden brechen auf und können nur noch in einem Akt der Zerstörung gelöst werden: im brutalen Mord aus Eifersucht."
Suor Angelica...
"...als rein weiblich besetztes Stück ein Solitär in der Operngeschichte, kreist ebenfalls um die Fragen von Leben und Tod: Die Nonne Angelica sieht nur die Selbsttötung als letzten möglichen Akt der Befreiung aus einem fremdbestimmten Leben."
Gianni Schicchi...
"...schließlich stellt in der Tradition der commedia dell’arte als eine Groteske und bitterböse Komödie den Menschen als Spieler und habgierigen Betrüger ins Zentrum."
(Quelle der Kurzplots: deutscheoperberlin.de)
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Suor Angelica an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Eike Walkenhorst
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Gianni Schicchi an der Deutschen Oper Berlin | Foto (C) Eike Walkenhorst
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Die Grundidee der Inszenierung war, dass sie das Triptychon als einen übergreifenden "Handlungsstrang" begreifen wollte und ihm diesbezüglich einen so allgemein (und konkret) wie möglich aussehenden und/ oder sich anfühlenden "Grundplot" verpasste à la Liebe-Lust-und-Leid bzw. Alle-gehen-in-die-Grube. Dabei bezog sie sich konzeptionell (und kompliziert) auf Dantes sog. Dreischritt seiner Göttlichen Komödie sprich: Hölle, Fegefeuer, Paradies; selbige drei Stationen wies sie dann auch, und in dieser ordentlichen Reihenfolge, 1. dem Mantel, 2. der Schwester und 3. dem Schicchi zu. Das war und ist selbstredend vollkommen verkopft und ging infolge überhaupt nicht auf.
Ungeachtet seines intellektuellen Überbaus tat dieser schräge, schrägste, um nicht gar zu sagen allerschrägste Abend theatralisch funktionieren, was in erster Linie freilich mit Karabuluts Talent, Figuren auf der Bühne logisch aufzustellen, zu bewegen und v.a. zu lustvollstem Schauspielen zu motivieren, insgesamt zusammenhing. Das ausführende Personal konnte und wollte derart seinen kollektiven Trieb am Spiel nicht unterdrücken, und so schwappte diese ausufernde positive Stimmung - bis auf eine Minimalentgleisung im Finale von Suor Angelica, bei dem die Titelheldin mit einer von ihr durch suizide Zauberkrauteinnahme herbeigeführten Menstruationsattacke schockte - über, und das Publikum schien letztlich außer Rand und Band gewesen zu sein.
Sowohl die Einheitsbühne Michaela Flücks als auch (und mehr noch!) die Kostüme von Teresa Vergho assoziierten, jedenfalls bei mir, die bunt-ballernde Machart Herbert Fritschs, die bis dahin sowas wie ein Alleinstellungsmerkmal von ihm gewesen war. Es gab dann also viel zu sehen, und ich staunte über die gigantischen Frisuren, die Aufpolsterungen unter den Klamotten, die geschminkten und gezeichneten Maskierungen etc. pp. Ein visueller Rausch der Extraklasse!
Misha Kiria beherrschte anfangs als blondgescheitelter Heino-Hüne mit integriertem Killerinstinkt das Geschehen in Il tabarro, sein maskuliner Gegenspieler (mit herausschmetterndem "italienischen Tenor": Jonathan Tetelman) war da a priori völlig chancenlos, ja und das hätte wohl auch seiner insgeheimen Geliebten (Carmen Giannattasio) von Anfang an klar sein müssen; nur der Hirsch mit dem größten Geweih obsiegte, und so ist's halt wie im Tierreich.
Kiria räumte dann auch schauspielernd & stimmlich als Gianni Schicchi ab!
Und eigentlich müssten alle weiteren Neben- oder Kleindarsteller namentlich genannt sein - ich beschränke mich auf meine persönliche Lieblingsprotagonistin Annika Schlicht; sie agierte - als einzige in allen drei Stücken - geradezu rampensauhaft. Wenn ein Haus mit so einer Sängerdarstellerin gesegnet ist, hat es die halbe Miete bereits rein. Geniale Frau!
Bei Suor Angelica hatten wir es anstatt mit Nonnen und Novizinnen vielmehr mit insektenartigen Wesen, die ihrerseits (je nach sozialer Stellung) mit stilisierten Hirschhornkäferinnengeweihen bekopfschmuckt waren, zu tun. Einzig Violetta Urmana (als böse Tante von Angelica) torpedierte dieses Gliederfüßerstelldichein allein durch ihr urplötzliches Erscheinen; und sie spielte besser als sie sang.
Mané Galoyan war dann auch noch - nach ihrem großartigen Angelica-Auftritt - die Lauretta, Gianni Schicchis leibliche Tochter.
John Fiore leitete das puccinierfahrene Orchester der Deutschen Oper Berlin, den übersichtlichen Nonnen- und Novizinnenchor studierte Jeremy Bines ein.
Eventaffin.
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Andre Sokolowski - 1. Oktober 2023 ID 14412
IL TRITTICO (Deutsche Oper Berlin, 30.09.2023)
Musikalische Leitung: John Fiore
Inszenierung: Pınar Karabulut
Bühne: Michela Flück
Kostüme: Teresa Vergho
Lichtdesign: Carsten Rüger
Dramaturgie: Dorothea Hartmann
Chor: Jeremy Bines
Besetzungen:
Il tabarro
Michele ... Misha Kiria
Luigi ... Jonathan Tetelman
Tinca ... Ya-Chung Huang
Talpa ... Andrew Harris
Giorgetta ... Carmen Giannattasio
Frugola ... Annika Schlicht
Ein Liederverkäufer ... Andrei Danilov
Ein Liebespaar ... Lilit Davtyan und Andrei Danilov
Suor Angelica
Suor Angelica ... Mané Galoyan
La zia principessa ... Violeta Urmana
La badessa ... Lauren Decker
La suora zelatrice ... Annika Schlicht
La maestra delle novizie ... Davia Bouley
Suor Genovieffa ... Lilit Davtyan
Suor Osmina ... Stephanie Lloyd
Suor Dolcina ... Gyumi Park
La suora infermiera ... Arianna Manganello
1. cercatrice ... Rachel Pinevska
2. cercatrice ... Kristina Griep
La novizia ... Maria Motolygina
Le converse ... Julie Wyma und Margarita Greiner
Gianni Schicchi
Gianni Schicchi ... Misha Kiria
Lauretta ... Mané Galoyan
Zita ... Annika Schlicht
Rinuccio ... Andrei Danilov
Gherardo ... Burkhard Ulrich
Nella ... Karola Pavone
Betto di Signa ... Michael Bachtadze
Simone ... Andrew Harris
Marco ... Dean Murphy
Ciesca ... Arianna Manganello
Maestro Spinelloccio ... Jörg Schörner
Amantio di Nicolao ... Markus Brück
Pinellino ... Artur Garbas
Guccio ... Gerard Farreras
Chor und Kinderchor der Deutschen Oper Berlin
Orchester der Deutschen Oper Berlin
Premiere war am 30. September 2023.
Weitere Termine: 02., 06., 08., 13., 17.10./ 09., 14.12.2023
Weitere Infos siehe auch: https://deutscheoperberlin.de
https://www.andre-sokolowski.de
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