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nachDRUCK # 5

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Premierenkritik

Eine

heimliche

Träne



Plakatmotiv der Staatsoper Stuttgart

Bewertung:    



Wer die Absicht hat, Donizettis L’elisir d’amore, deutsch Der Liebestrank, an der Stuttgarter Oper zu besuchen, tut gut daran, vorher das Libretto zu lesen. Die Bühne ist über weite Strecken so hell ausgeleuchtet, dass man, geblendet, die Übertitel nicht lesen kann. Erstaunlich ist das schon. Da ist ein Opernhaus mit allen technischen Finessen ausgestattet, und niemand schafft es (oder kümmert sich darum), dass der Text für die Zuschauer mühelos zugänglich ist.

Der Chor, der gleich zu Beginn die Bühne beherrscht und in dieser Oper mehrfach zum Einsatz kommt, bestätigt einmal mehr seinen Ruf als einer der besten Opernchöre in Deutschland. Die Regie der in Kasachstan geborenen Anika Rutkofsky hält ihn abwechselnd zu statischen, mehr oder weniger symmetrischen Aufstellungen und zur Aktivität eines Bewegungschors an, die dessen Mitglieder erkennbar lustvoll umsetzen.

Insgesamt überzeugt die Regie durch ihre Strenge und die Zusammenarbeit mit dem Kostümbildner Adrian Stopf und der Bühnenbildnerin Uta Gruber-Ballehr, deren bühnenfüllender Raum zunächst einer Lager- und Produktionshalle und dann mehr und mehr einem Gewächshaus gleicht. Anika Rutkofsky verzichtet auf überflüssigen Schnick-Schnack. Sie will nicht um jeden Preis komisch sein (ohnedies ist sich die Musikwissenschaft über die gattungsmäßige Zuordnung von Donizettis Oper uneinig). Immerhin hat das „Melodramma giocosa“ zumindest auch einen ernsten Kern, eine Warnung vor Aberglauben und Irrationalismus, vor Kurpfuschern und Bauernfängern, aber auch die moderne Erkenntnis, dass Autosuggestion bewirken kann, was man einem Placebo zuschreibt. Dabei darf man es mit der Logik allerdings nicht zu genau nehmen. Adina will eine Liebe gewinnen, die sie längst hat, und den Liebestrank verleibt sich nicht etwa ein, deren Liebe erweckt werden soll, sondern derjenige, in dem sie ohnedies brennt. In letzter Konsequenz ist L’elisir d’amore ein Schwank. Da muss nicht alles so sein wie im wirklichen Leben.

Beglückend sind an diesem Abend die Solisten. So ausnahmslos hervorragend hat man in Stuttgart seit langem kein Ensemble gehört. Keine und keiner, weder Claudia Muschio, deren Koloraturen hervorgehoben seien, in der Rolle der Adina (sie wird sich in den Folgevorstellungen mit Elena Tsallagova abwechseln), noch Kai Kluge als Nemorino (Zweitbesetzung: Charles Sy), weder Björn Bürger als Belcore (im Wechsel mit Johannes Kammler), noch Giulio Mastrototaro in der Buffo-Rolle des an die Commedia dell’arte erinnernden falschen Dottore Dulcamare, auch nicht Laia Vallés in der kleinen Rolle der Gianetta (zweite Besetzung: Natasha Te Rupe Wilson), lassen etwas zu wünschen übrig. Sie gewähren einen rundum ungetrübten Musikgenuss. Rein äußerlich ist Kai Kluge vom traditionellen Klischee des strahlenden Tenors ebenso weit entfernt wie die fesche Claudia Muschio von der Opernsängerin, die sich sichtbare Kilos angefressen hat, weil sie angeblich den Resonanzraum vergrößern.

Sprechen wir es aus: Musikalisch bleibt L’elisir d’amore hinter den besten italienischen Opern aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück. Viele Nummern wirken eher fade, schematisch, unoriginell und mit den ewigen Wiederholungen ermüdend. Den ersten Höhepunkt bildet die Auftrittsarie des Dulcamare "Udite, udite o rustici", die mit ihrer Patter-Technik an Rossini erinnert. Den emotionalen Höhepunkt erreicht die Oper mit der gar nicht komischen und allgemein bekannten, makellos interpretierten Tenorarie "Una furtiva lagrima", für die Kai Kluge den meisten Szenenapplaus einheimst.

Es spricht für den Intendanten Viktor Schoner, dass er nicht nur auf Nummer Sicher geht, sondern einem jungen Dirigenten wie dem 29jährigen Michele Spotti die Gelegenheit bietet, sich dem Stuttgarter Publikum zu präsentieren. Der besticht durch die Präzision seiner Zeichengebung, durch die sublimen Differenzierungen in der Dynamik und den Tempi. Dass er mit der italienischen Musik aufgewachsen ist, hört man.

Am Ende: stürmischer Beifall. Verdient. Die Stuttgarter Oper hat ein Repertoirestück hinzugewonnen. Man ahnt, dass es ein langes Leben haben wird.



L'Elisir d'amore an der Staatsoper Stuttgart | Foto (C) Martin Sigmund

Thomas Rothschild - 31. Oktober 2022
ID 13886
L’ELISIR D’AMORE (Staatsoper Stuttgart, 30.10.2022)
Musikalische Leitung: Michele Spotti
Regie: Anika Rutkofsky
Bühne: Uta Gruber-Ballehr
Kostüme: Adrian Stapf
Licht: Bernd Purkrabek
Videoanimation: Philipp Contag-Lada
Chor: Bernhard Moncado
Dramaturgie: Miron Hakenbeck
Besetzung:
Adina ... Claudia Muschio
Nemorino ... Kai Kluge
Belcore ... Björn Bürger
Dulcamara ... Giulio Mastrototaro
Gianetta ... Laia Vallés
Staatsopernchor Stuttgart
Staatsorchester Stuttgart
Premiere war am 30. Oktober 2022.
Weitere Termine: 04., 06., 13., 20., 28.11./ 01., 06., 23., 25.12.2022


Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-stuttgart.de/


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