Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 5

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Neue Musik

Kunst der Fuge

Jörg Widmanns VERSUCH ÜBER DIE FUGE mit der Sopranistin Sarah Maria Sun und dem Stuttgarter Kammerorchester

Bewertung:    



Sarah Maria Sun ist viel unterwegs und hat mehr als 30 CDs veröffentlicht. Wenn ihr Name weniger geläufig ist als der anderer Sängerinnen, verdankt sich das wohl der Tatsache, dass sie den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit auf den Liedgesang legt, obwohl sie auch auf der Opernbühne erfolgreich ist und mehrfach ausgezeichnet wurde. Außerdem bevorzugt sie zeitgenössische Musik, die in der öffentlichen Wertschätzung ungerechterweise hinter der so genannten „Klassik“ rangiert. Man kann es daran erkennen, das sie in der Regel in kleineren Konzertsälen stattfindet, in den Feuilletons der Zeitungen kürzer, wenn überhaupt, und oft nur von freien Mitarbeitern, nicht von den bestallten Musikredakteuren besprochen wird. Für die Karriere lebender Komponistinnen und Komponisten aber, für das Überleben ihrer Werke nach der Uraufführung kann es entscheidend sein, ob diese von hervorragenden Interpret*innen oder nur als Pflichtprogramm, als Alibi vorgetragen werden.

Ein Trick, mit dem man das Publikum zur zeitgenössischen Musik nötigt, ist das Sandwichverfahren, bei dem diese zwischen attraktiven Hits aus der Vergangenheit versteckt wird, sodass die Zuhörer nach der Pause in den Saal zurückkehren. Bei seinem jüngsten von der Kulturgemeinschaft organisierten Konzert lockte das Stuttgarter Kammerorchester mit dem nicht sonderlich einfallsreichen Titel "Großer Mendelssohn". Wie versprochen, standen am Anfang seine Hebriden-Ouvertüre und am Ende seine 5., die Reformationssinfonie. Dazwischen gab es zwei Fugen. Eine ist, ebenfalls risikolos, von Mozart. Die andere aber, aus dem Jahr 2005, vorsichtig Versuch über die Fuge benannt, stammt von Jörg Widmann. Widmann, als Klarinettist und als Komponist gleichermaßen gefragt, ist neben dem Chefdirigenten Thomas Zehetmair aktueller Koleiter des Kammerorchesters, das, unmittelbar nach Kriegsende von Karl Münchinger gegründet, als das weltweit älteste seiner Art gilt. Sarah Maria Sun lieh also ihre Stimme einem vom Komponisten selbst dirigierten Werk in einer Fassung, in der das ursprüngliche Streichquartett durch Oboe und Kammerorchester ersetzt wurde. Die Programmfolge hat Widmann übrigens nicht zum ersten Mal gewählt. Für die Besucher im vollen Hegelsaal war sie eine Premiere.

Jörg Widmanns rund halbstündiger Versuch über die Fuge beginnt mit einem kurzen unbegleiteten Vokalsolo. Dann fällt das Orchester ein mit aufgebrochenen Ansätzen zu einer Fuge, wobei Johann Sebastian Bachs Kunst der Fuge herbeizitiert wird. Die einzelnen Orchestergruppen und Solisten aus diesen wechseln einander im Dialog mit den lateinischen und deutschen geistlichen Texten der Sängerin ab. Dann kommt die Solooboe von Ivan Danko hinzu, die auf halbem Weg an die Seite der Bühne wandert, dermaßen den Klangraum verändernd. Sarah Maria Sun fasziniert mit einer wandlungsfähigen Stimme, die auch in den Höhen durch ihre Intonationssicherheit besticht.

Was die Werke des Konzerts nach dem Ausflug auf die Hebriden verbindet, ist im Besonderen die Form der Fuge und im Allgemeinen der Bezug zu Bach, für dessen Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert Mendelssohn bekanntlich maßgeblich war. Wenn Widmann freilich den Triumph der Reformation voll auskostet, den der „große Mendelssohn“, das noch größere Vorbild zitierend, feiert, stößt ein Kammerorchester an seine Grenzen. Irgendwie hat man den Eindruck, dass das Allegro maestoso nicht ganz so hoch springen kann, wie es sich der Dirigent wünscht.

Wie viel sich übrigens seit Karl Münchinger verändert hat, erkennt man, außer an der liberaleren Kleiderordnung, daran, dass die ersten und zweiten Violinen fast ausschließlich von Frauen gespielt werden. Der einzige Mann hockt einsam in der letzten Reihe. Als Gegengewicht sitzen die zwei Cellistinnen hinter ihren männlichen Kollegen.




Thomas Rothschild – 4. April 2022
ID 13558
STUTTGARTER KAMMERORCHESTER (Liederhalle Stuttgart, 03.04.2022)
Felix Mendelssohn Bartholdy: Die Hebriden, Ouvertüre op. 26
Jörg Widmann: Versuch über die Fuge, Fassung für Sopran, Oboe und Kammerorchester
Wolfgang Amadeus Mozart: Adagio und Fuge c-Moll KV 546
Mendelssohn: Sinfonie Nr. 5 Reformationssinfonie, op. 107
Sarah Maria Sun, Sopran
Stuttgarter Kammerorchester
Dirigent: Jörg Widmann


Weitere Infos siehe auch: https://stuttgarter-kammerorchester.com


Post an Dr. Thomas Rothschild

CD

Konzerte

Neue Musik

ROTHSCHILDS KOLUMNEN



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:







MUSIK Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BAYREUTHER FESTSPIELE

CASTORFOPERN

CD / DVD

INTERVIEWS

KONZERTKRITIKEN

LEUTE MIT MUSIK

LIVE-STREAMS |
ONLINE

NEUE MUSIK

PREMIERENKRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski



Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal




Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)