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Konzertkritik

Immer wieder

wächst das Gras



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Einer meiner Studienkollegen hat mich bei der österreichischen Staatspolizei vernadert. Durch einen Einblick in meine Akte, der kurzzeitig möglich war, habe ich erfahren, dass er regelmäßig Bericht erstattet hatte. Dass mein beruflicher Werdegang dadurch sabotiert wurde, steht außer Zweifel. Dem Spitzel hat es nicht geschadet. Alles deutet auf einen Kollegen hin, der später Universitätsprofessor und für seine Denunziationen nie zur Verantwortung gezogen wurde.

Können Sie eine Person, egal welchen Geschlechts, mit Namen nennen, die für ihre Kollaboration mit dem Bundesnachrichtendienst geächtet wurde? Wer aber für die Stasi oder für entsprechende Organisationen im sogenannten Ostblock tätig war, gilt als nicht satisfaktionsfähig, als stigmatisiert und musste in zahlreichen Fällen empfindliche Sanktionierungen in Kauf nehmen.

Gerhard Gundermann, genannt Gundi, kannte im Westen, der unwidersprochen bestimmt, wer zu verfemen sei und wer nicht, kaum jemand. In der DDR war er als Liedermacher und Musiker beliebt und jedem bekannt. 1995 kam heraus, dass er für einen Lohn von insgesamt 1.500 Mark ein paar Jahre als IM für die Staatssicherheit gearbeitet hatte. Das wurde ihm von vielen, von Betroffenen und von Tugendwächtern mit flottierenden Moralmaßstäben, nicht verziehen.

2018 hat Andreas Dresen, der selbst in der DDR aufgewachsen ist, einen bemerkenswerten Film gedreht, der den Namen seines Gegenstands im Titel trägt. Gundermann versucht überzeugend, der Widersprüchlichkeit des Liedermachers gerecht zu werden und zugleich ein Bild vom zweiten deutschen Staat zu zeichnen, das frei ist von den Verzerrungen und vom (bewussten) Mangel an Differenzierung in westlichen Kommentaren.



Alexander Scheer als Gundermann im gleichnamigen Film von Andreas Dresen
(C) Peter Hartwig / Pandora Film


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Der Film wurde, nicht nur bei „Ossis“, ein großer Erfolg. Seither treten Alexander Scheer, gefeierter Star von Frank Castorfs Volksbühne und Darsteller der Titelrolle, und Andreas Dresen mit Band, neuerdings unter dem zugleich an Konstantin Wecker erinnernden Titel Immer wieder nie genug, so am 9. August im Stuttgarter Theaterhaus, mit einem Gundermann-Programm auf, das auch für eine Doppel-CD aufgezeichnet wurde.

Was es da zu hören gibt, ist allerdings nicht bloß eine Hommage an „Gundi“, sondern eine erstklassige Rockgruppe. Neben Alexander Scheer (voc, g, el-g, harm), Andreas Dresen (voc, g, el-g, uke) sind das Jürgen Ehle (voc el-g) von der beliebten DDR-Band Pankow, der offenbar bei Eric Clapton und Mark Knopfler genau hingelauscht hat, Jens Quandt (kb), Harry Rosswog (el-b) und Nicolai Ziel (dr).

Wenn Alexander Scheer die Bühne erstürmt, glaubt man im ersten Moment, Herbert Grönemeyer habe eine Verjüngungstherapie absolviert. Das gleiche Reibeisen in der Stimme, die gleiche Expressivität. Doch alsbald findet Scheer zu seiner eigenen sängerischen Identität. Er mimt und parodiert zugleich Rocksänger der Vergangenheit. Wenn Dresen hingegen sich in der Rock-Körpersprache versucht, wirkt das eher unbeholfen. Er ist halt Regisseur und nicht Schauspieler. Alexander Scheer trägt Hut und Jogginganzug, während Andreas Dresen im petroleumfarbenen T-Shirt und mit roten Sneakers auftritt.

Bob Marley, so wird da gewitzelt, habe Ende der 80er Jahre in der Lausitz bei Gundermann, der es mit Metrum und Reimen ernst nimmt, da wird nicht geschludert, erstmals den Reggae gehört und nach Jamaika zurückgebracht. Für manche Texte hat Gundermann, wie im Westen Walter Mossmann, fremde Kompositionen „geklaut“. Die Band von Scheer und Dresen hat sie gegen neue Kompositionen von Jürgen Ehle ausgetauscht. Ob sie dabei auch an die Tantiemen gedacht hat? Typisch für Gundermanns Credo und zugleich für den kollektiven Traum vieler DDR-Bürger sind die Verse: „Alle, die gehen woll’n, soll’n gehen können. Alle, die bleiben woll’n, soll’n bleiben können.“ Gundermann ist, alles in allem, Optimist. „Ich glaub’, es gibt das Glück.“ Und mit der Zeile jenes Liedes, das als Bekenntnis Gundermanns gelten darf, als östliches Gegenstück zu Hannes Waders „Trotz alledem“, und das erklingt, ehe Andreas Dresen das Theaterhauspublikum zum Tanzen auffordert: „Immer wieder wächst das Gras“.
Thomas Rothschild – 10. August 2023
ID 14327
Weitere Infos siehe auch: https://verlag.buschfunk.com


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