Rossini hüben!
Rossini drüben!
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Alljährlich findet in Pesaro das Rossini Opera Festival statt. Das ist nicht weiter verwunderlich. In der Stadt an der italienischen Ostküste wurde der populäre Komponist geboren. Aber auch Bad Wildbad im nördlichen Schwarzwald ehrt Rossini mit einem mittlerweile international beachteten Festival, weil er hier einmal seinen Urlaub verbracht hat. Es nennt sich Belcanto Opera Festival – ROSSINI IN WILDBAD und signalisiert damit, dass sein Schwerpunkt auf dem Gesang, auf einem historischen Stil liegt, der eng mit der Italianità verknüpft ist. Besondere Aufmerksamkeit jedoch hat sich das kleine, deutlich unterfinanzierte Festival vor allem durch seine Repertoirearbeit erworben, durch die Aufführung von wenig bekannten aus den dreieinhalb Dutzend Opern Gioachino Rossinis, jenseits der vertrauten Werke. Sie mögen nicht alle die Qualität der auf den Bühnen der Welt beheimateten Erfolgsgaranten haben, aber für eine Kenntnisnahme sind sie allemal lohnend, und was den Belcanto angeht, liefern auch schwächere Werke dankbares Material für Sängerinnen und Sänger.
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2022, die fast schon stereotyp als Pandemiefolgejahr beschworene Saison, wurde mit einer konzertanten Aufführung von Armida aus dem Jahr 1817 eröffnet. Die etwas wirre Story mischt die Liebes- und Eifersuchtsgeschichte einer mit Zauberkräften versehenen Damaszenerin und eines Kreuzritters vor Jerusalem mit einer Kriegshandlung. Moral der Handlung: Make war, not love. Das zweite Motiv begründet die männliche Dominanz in dieser Oper. Am ersten Akt, der bis zur Pause dauert, ist nur ein Männerchor beteiligt. Und das Solistenensemble besteht mit einer einzigen Ausnahme, der Titelrolle, aus Männern. Die allerdings sind durch die Bank hörenswert. Mit gutem Grund erhalten die „3 Tenöre“ Michele Angelini, César Arrieta und Chuan Wang für ihr Terzett kurz vor dem Ende stürmischen Szenenapplaus. Aber schon Moisés Marin, ein weiterer Solist der von Tenören unterschiedlichen Typus geprägten Oper, gibt gleich zu Beginn das Niveau an, auf dem sich der Abend in der Bad Wildbader Trinkhalle gesanglich bewegt. Ausgerechnet die Interpretin der Armida Ruth Iniesta – die einzige Frau in dieser Männerrunde – zeigt bei aller Virtuosität ihrer Koloraturen, die für den Belcanto von zentraler Bedeutung sind, Intonationsschwächen. Das Publikum allerdings war beifallsfreudiger als in den großen Opernhäuser der Metropolen. Sogar die Balettmusiken, mit Sicherheit nicht Rossinis Höchstleistungen, wurden beklatscht, als sei eben ein neuer Beethoven entdeckt worden.
Bewertung:
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Von Liebe, Eifersucht und Krieg handelt auch Ermione von 1819. Allerdings steht der Krieg diesmal nicht, wie bei den Kreuzzügen, bevor, sondern er ist vorbei. Es ist der Trojanische Krieg mit dem zum Teil vertrauten Personal. Und wieder geht es um den Gegensatz von pietà und vendetta, von Mitleid und Rache. Diesmal stehen der zentralen Figur, dem Sohn des Achilles Pirro, verkörpert von Moisés Marin, dem Goffredo des Vorabends, zwei Frauen, in der unaufdringlichen, bei der Führung des Chors auf der engen Bühne unfreiwillig komischen Regie des Festivalintendanten Jochen Schönleber oft buchstäblich, gegenüber, Hektors trojanische Witwe Andromaca (Aurora Faggioli) und Helenas Tochter Ermione (Serena Farnocchia), die, mit sehr verschiedenen Stimmfarben, beide uneingeschränkt überzeugen. Ermione betraut Orest (Patrick Kabongo) mit der Ermordung Pirros, weil der Rachemord bekanntlich Orests Geschäft ist. (Dass die Rolle mit einem Schwarzen besetzt ist, mag Vorurteile bedienen, vor denen man sich in Bad Wildbad nicht fürchtet.) Eine scheinbar sichere Bank, und doch am Ende ein Reinfall. So ernst war das mit dem Auftragsmord nicht gemeint. Der Leichenberg folgt auf den Fuß, wie am Schluss von Hamlet. Mit dem Unterschied, dass in der Oper bis zum letzten Atemzug gesungen wird.
Bewertung:
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Patrick Kabongo und Serena Farnocchia in Rossinis Ermione | © Philharmonie Krakau
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Im wunderschönen, erst vor wenigen Jahren restaurierten Königlichen Kurtheater wurde der Einakter Adina, 1826 mit Verspätung uraufgeführt, gezeigt. Man könnte das nur 85 Minuten dauernde Stück als Pastiche der Entführung aus dem Serail kennzeichnen. Der Kalif (Emmanuel Franco), die Entsprechung zum Bassa Selim, trägt in der Regie wiederum von Jochen Schönleber Sonnenbrillen und eine Militäruniform und ist komisch angelegt. Ali (Aaron Godfrey-Mayes), der Vertraute des Kalifen und Ersatz für Mozarts Osmin, philosophiert, für heutige Ohren skandalös, über die Frauen, während Putzfrauen die Bühne aufkehren. Am Schluss lässt der von Adina (Sara Blanch) verschmähte Kalif wie der Bassa Selim Gnade walten. Das Libretto macht es ihm freilich leicht. Wie sich herausstellt, ist er Adinas Vater, mit dieser also blutsverwandt wie Marcellina mit Figaro. Mozart hüben! Mozart drüben!
Nicht unerwähnt bleiben sollen der kleine Philharmonische Chor und das Philharmonische Orchester Krakau, deren Gastrolle freilich nicht ganz unproblematische ökonomische Gründe haben dürfte (bekommen sie die selben Gagen wie Musiker aus westlichen EU-Ländern?), sowie die das übliche Ausmaß überschreitenden Essays des Rossini-Forschers Reto Müller für die Programmhefte. Sie ergeben in Summe eine Einführung in das Werk des Komponisten, die sich wohltuend von den Phrasen weniger kenntnisreicher Exemplare dieser Textsorte unterscheidet.
Bewertung:
Thomas Rothschild - 18. Juli 2022 ID 13717
ROSSINI IN WILDBAD - Belcanto Opera Festival 15. - 24. Juli 2022
Armida konzertant (Trinkhalle Bad Wildbad, 15.07.2022)
Besetzung:
Armida ... Ruth Iniesta
Rinaldo ... Michel Angelini
Goffredo ... Moisés Marin
Gernando ... Patrick Kabongo
Carlo ... Chuan Wang
Ubaldo ... César Arrieta
Eustazio ... Manuel Amati
Idraote ... Shi Zong
Astarotte ... Jusung Gabriel Park
Philharmonischer Chor Krakau
Philharmonisches Orchester Krakau
Dirigent: José Miguel-Pérez Sierra
Premiere in Krakau beim Royal Opera Festival: 3. Juli 2022
Bad Wildbader Premiere: 15. Juli 2022
Weiterer Termin: 20.07.2022
Ermione (Trinkhalle Bad Wildbad, 16.07.2022)
Inszenierung und Bühne: Jochen Schönleber
Kostüme: Cennet Aydogan
Besetzung:
Ermione ... Serena Farnocchia
Pirro ... Moisés Marin
Oreste ... Patrick Kabongo
Andromaca ... Aurora Faggioli
Pilade ... Chuan Wang
Fenicio ... Jusung Gabriel Park
Cleone ... Mariana Poltorak
Cefisà ... Katarzyna Guran
Atttalo ... Bartosz Jankowski
Philharmonischer Chor Krakau
Philharmonisches Orchester Krakau
Dirigent: Antonino Fogliani
Krakauer Premiere beim Royal Opera Festival: 10. Juli 2022
Bad Wildbader Premiere: 16. Juli 2022
Weiterer Termin: 23.07.2022
Adina (Königliches Kurtheater, 17.07.2022)
Erstmals mit dem Terzett von Giovanni Pacini
Inszenierung: Jochen Schönleber
Mitarbeit Regie: Emmanuel Franco
Kostüme: Cennet Aydogan
Besetzung:
Adina ... Sara Blanch
Califo ... Emmanuel Franco
Selimo ... César Arrieta
Mustafà ... Shi Zong
Ali ... Aaron Godfrey Mayes
Philharmonischer Chor Krakau
Philharmonisches Orchester Krakau
Dirigent: Luciano Acocella
Krakauer Premiere beim Royal Opera Festival: 24. Juni 2022
Bad Wildbader Premiere: 17. Juli 2022
Weitere Termine: 22., 24.07.2022
Weitere Infos siehe auch: https://www.bad-wildbad.de/de/rossini/
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