Mahagonny am Neckar
CITÉ D´OR – AUFSTIEG UND FALL DER STADT STUTTGART mit La Fleur und der Musik von Timor Litzenberger & Vetcho Lolas
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Bewertung:
Das Stuttgarter THEATER RAMPE hat eine lange und wechselvolle Geschichte. Gegründet vor mehr als 40 Jahren als Studentenbühne in Räumen der Universität, hat es mit wechselnden Intendantinnen auch sein Profil geändert. Heute legt es in der Nachfolge von Regula Gerber, Eva Hosemann, Maria Bues, Martina Grohmann und Franziska Stulle unter der aktuellen Leitung von Ilona Schaal, Bastian Sistig und Lisa Tuyala, schon längst im Depot der Zahnradbahn beheimatet, seinen Schwerpunkt auf experimentelle Formen zwischen Tanz, Schauspiel und Performance, für die es auch in anderen Städten zunehmend eigene Institutionen gibt. Für Cité d’or – Aufstieg und Fall der Stadt Stuttgart von der transnationalen Gruppe La Fleur in der Regie der überregional erfolgreichen Monika Gintersdorfer allerdings ist es aus dem Stammhaus in ein aufgelassenes Autohaus übersiedelt. (Dafür gibt es ein Vorbild. Die Staatsoper gastierte, in Zusammenarbeit mit der Rampe, schon 2008 im Rahmen der leider verschwundenen Reihe zeitoper des rührigen Xavier Zuber in der nahen Schwabengarage.)
Cité d’or – Aufstieg und Fall der Stadt Stuttgart lehnt sich, wie der Titel unschwer erraten lässt, an Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny von Bertolt Brecht und Kurt Weill an. Es geht, hier wie dort, um den Niedergang einer einst blühenden „Netzestadt“, deren oberstes Ziel es ist, Kapital abzuschöpfen, „Wegen Mangel an Geld,/ was das grösste Verbrechen ist,/ das auf dem Erdenrund vorkommt“. Konkret nimmt das in Stuttgart die Autoindustrie ins Visier (daher der Spielort in einem Autohaus).
Das Bühnenbild beschränkt sich auf die Skizzen eines (Stuttgarter?) Rössles und eines (Börsen-?) Bullen im Hintergrund. Die vorhandene Galerie und eine Treppe werden in die Inszenierung einbezogen. Musiker*innen des Staatsorchesters Stuttgart sitzen unten, ebenfalls im Hintergrund.
Cité d’or – Aufstieg und Fall der Stadt Stuttgart hält sich ziemlich eng an das Vorbild von Brecht und Weill. Zu Beginn wird dessen Inhalt erzählt: Episches Theater im engen Verständnis.
Die Texte werden mehrsprachig vorgetragen und von Hauke Heumann, der aussieht wie der junge Charles Vanel, simultan ins Deutsche übersetzt.
Die Choreografien orientieren sich eher an afrikanischen Volkstänzen als am klassischen oder modernen Ballett. Die Schauspieler-Tänzer-Sänger stehen zwei Stunden lang unter Hochspannung. Und das Publikum ist offenkundig so erfreut, dass es sogar hinnimmt, dass das Thema des Abends, die Autostadt Stuttgart, zeitweilig aus den Augen gerät. Zwischendurch müssen die Zuschauer in einen kleineren Nebenraum wandern und der Mode des Mitmachtheaters huldigen. „Wer zahlt für einen Tanz“ von Ordi(nateur), Carlos oder Annick? Denn „Geld macht sinnlich“ – was das animierte Publikum bereitwillig wiederholt wie das Lied vom Hund, der in die Küche kam. Den berühmten Song der Jenny („Ich bin aus Havanna,/ meine Mutter war eine Weisse./ Sie sagte oft zu mir:/ „Mein Kind, verkauf dich nicht/ für ein paar Dollarnoten, so wie ich es tat!/ Schau dir an, was aus mir geworden ist”.“) singt Annick Choco auf Französisch. Auch das Gebet einer Jungfrau („Das ist die ewige Kunst“) hat die Bearbeitung beibehalten.
Spätestens bei der Klage über das Fressen wird klar, dass die Musik von Kurt Weill, sparsam überzuckert mit Reminiszenzen an Musik à la Youssou N’Dour, nicht zu übertreffen ist. Umso erstaunlicher, dass Kurt Weill auf dem Programmzettel und im Internet unter "Musik“ nicht genannt wird. Dort stehen nur Timor Litzenberger & Vetcho Lolas.
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Cité d´or - Aufstieg und Fall der Stadt Stuttgart mit La Fleur - im Theater Rampe (im ehemaligen Autohaus) | Foto (C) Daniela Wolf
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Thomas Rothschild – 8. Juni 2025 ID 15296
CITÉ D’OR – AUFSTIEG UND FALL DER STADT STUTTGART (Ehemaliges Autohaus, 07.06.2025)
Musik von Timor Litzenberger und Vetcho Lolas
Musikalische Leitung: Luka Hauser
Regie: Monika Gintersdorfer
Choreografie: La Fleur
Musik: Timor Litzenberger und Vetcho Lolas
Ausstattung: Mukenge/ Schellhammer
Kostüme: Mukenge/ Schellhammer und Bobwear
Produktionsleitung: Elvira Ruocco und Theater Rampe
Dramaturgie: Katinka Deecke
Team Staatsoper Stuttgart: Vanessa Hartmann, Ingo Gerlach und Verena Silcher
Team Theater Rampe: Cindy Bommersbach, Theresa Bürkle, Birgit Gebhard, Emma Frosch, Yara Richter und Ilona Schaal
Technische Leitung: Max Kirks
Technik: Aljoscha Ackermann, Markus Pelka, Christoph Schmitz und Ethen Andile Sithole
Mit: Annick Choco, Der Cora Frost, Hauke Heumann, Vetcho Lolas, Timor Litzenberger und Carlos Martinez sowie Ordinateuren und Musiker*innen des Staatsorchesters Stuttgart
UA am Theater Rampe: 6. Juni 2025
Weiterer Termin: 08.06.2025
Koproduktion zwischen dem THEATER RAMPE und der Staatsoper Stuttgart
Weitere Infos siehe auch: https://theaterrampe.de
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