Il prigioniero von Luigi Dallapiccola
Berliner Philharmoniker / Kirill Petrenko
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Bewertung:
Gestern musizierten die Berliner Philharmoniker zum ersten Mal die Nachkriegsoper Il prigioniero (dt.: "Der Gefangene") des italienischen Komponisten Luigi Dallapiccola (1904-1975).
Ihr Stoff "geht auf die Erzählung La Torture par l’espérance (Die Marter der Hoffnung) von August de Villiers de L’Isle-Adam zurück. In dieser zur Zeit der spanischen Inquisition angesiedelten Geschichte soll der zu Unrecht des Wuchers angeklagte Rabbi Aser Arbarbanel zur Konversion zum Christentum gezwungen werden. Der Rabbi will auch nach einem Jahr voller Folterqualen seinem Glauben nicht abschwören. Nun wartet auf ihn der Scheiterhaufen – und zuvor noch die letzte, im Titel bezeichnete Marter. Um diesem Schicksal eine universellere Dimension zu verleihen, machte Dallapiccola den Rabbi aus Villiers’ Erzählung zu einem namenlosen, offenbar protestantischen Häftling, der mit dem Niederländischen Aufstand gegen die Fremdherrschaft der Spanier und ihres Königs Philipp II. sympathisiert."
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Als sich Dallapiccola "nach seinem Studium in Florenz als Pianist und Lehrer, im Laufe der 1930er-Jahre auch als Komponist zu etablieren begann, griffen die zeitgeschichtlichen Ereignisse immer stärker auf sein Schaffen über: erst der Aufstieg des Faschismus in Deutschland und Italien, dann der zunehmende Antisemitismus. 'Der dritte Schock, Hitlers Bombardement von Warschau am 1. September 1939, intensivierte nur meine Auseinandersetzung mit der Frage der menschlichen Freiheit. 1944–48 arbeitete ich an Il prigioniero. Obwohl ich während dieser Periode auch Werke ganz anderen Charakters schrieb, lebte ich doch im Geiste zehn Jahre lang mit Gefangenen. Ich konnte in diesen schrecklichen Jahren an nichts anderes denken.'"
(Quelle: berliner-philharmoniker.de)
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Dallapiccola machte also aus einem Juden einen Protestanten und strickte ihn dann dergestalt für seine Opernhandlung um. Auch erfahre ich - ich musste freilich wegen des geschichtlichen Zusammenhanges erstmal nachschlagen - von jener so genannten Rolandglocke im Genter Belfried, die, zum Zeichen des etwaigen Sieges der aufständigen Niederländer über die Spanier (Achtzigjähriger Krieg von 1568 bis 1648), geläutet sein würde und woraus dann der Gefangene in Saragossa Hoffnung für sich schöpfte - was natürlich einer sadistisch anmutenden Attacke des Kerkermeisters gleichkam, um dem Eingekerkerten glauben zu machen, dass er bald aus seinem Kerkerloch befreit sein würde; psychologische Folter halt.
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke verkörperte diesen sadistischen Halunken, und Wolfgang Koch (der allbeliebte Wotan aus dem legendären Castorf-Ring) überzeugte fulimant in seiner gesanglichen wie spielerischen Hingabe für die Titelfigur. Ja und dann gab es noch die Mutter des Gefangenen, die von Ekaterina Semenchuk leidenschaftlich hervorgewuchtet worden war. Zudem: Caspar Singh und Oliver Boyd als randfigürliche Priester.
Am einprägsamsten war dann allerdings der Rundfunkchor Berlin (Choreinstudierung: Gijs Leenaars) mit seinen auf Lateinisch gesungenen und mehr als überbordend ausbrechenden "Zwischeneinlagen".
Kirill Petrenko, der sich sichtlich in das Zeug schmiss, hatte höchstwahrscheinlich die Idee, dass man jetzt diese Oper unbedingt ausgraben müsste, und warum auch nicht.
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Wolfgang Koch (als Il prigioniero) mit den Berliner Philharmonikern unter Kirill Petrenko am 15. September 2022 | Foto (C) Bettina Stöß
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Noch vor der Pause gab es außerdem zwei aufwändig besetzte und mit zwingender Spielwucht mich überzeugt und erreicht habende Darbietungen von Xenakis' 10-minütigen Empreintes sowie Bernd Alois Zimmermanns knapp 20-minütiger Sinfonie in einem Satz - auch ein (allerdings dann viel bedeutungsschwereres als Dallapiccolas Il prigioniero) Nachkriegswerk.
Ein Abend der Entdeckungen.
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Andre Sokolowski - 16. September 2022 ID 13807
MUSIKFEST BERLIN (Philharmonie Berlin, 15.09.2022)
Iannis Xenakis: Empreintes für Orchester (1975)
Bernd Alois Zimmermann: Sinfonie in einem Satz für Orchester (1952/53)
Luigi Dallapiccola: Il prigioniero, Oper in einem Prolog und einem Akt (1949)
Wolfgang Koch, Bariton
Ekaterina Semenchuk, Sopran
Wolfgang Ablinger-Sperrhacke, Tenor
Caspar Singh, Tenor
Oliver Boyd, Bariton
Rundfunkchor Berlin
Choreinstudierung: Gijs Leenaars
Berliner Philharmoniker
Dirigent: Kirill Petrenko
Weitere Infos siehe auch: https://www.berlinerfestspiele.de/de/musikfest-berlin/start.html
https://www.andre-sokolowski.de
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