Zum 20jährigen Bestehen von Le Concert d´ Astrée
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Bewertung:
Was schreiben über ein dreistündiges Galakonzert mit einem der besten Barockensembles der Welt, wo gleichzeitig fünfzehn Weltstars der französischen Barockszene mitwirken? Wo ein Höhepunkt sich an Höhepunkt reiht? Rameau, Campra, Purcell, Händel und Vivaldi… Man sagt, im Glück, im Paradies, wisse man nicht, dass man darin sei. Oh nein, heute war das völlig klar. Es ist nur unmöglich zu beschreiben. Also gut: LE CONCERT D‘ASTRÉE, der Name sagt es, besteht nur aus Sternen, ob mit Instrumenten (das Orchester) oder Stimmen (der Chor) – und ihre Sonne, ihr Energiezentrum, ist Emmanuelle Haïm, diese erstaunliche Dirigentin, die vor nun 20 Jahren ihr Ensemble gründete und seither von Triumph zu Triumph und zu Auszeichnungen führt! – Was immer diese begnadete Schar berührt, zum Leben erweckt, das strahlt, klingt, bebt vor Lust, vor purer Daseinswut, leuchtet in Geist und Sinne hinein mit voller Körperlichkeit, mit sinnlicher Intelligenz! Die vergnügte Dauer-Verausgabung Haïms, aus den Noten und Takten die Funken der Musik zu schlagen, eint sie mit sämtlichen Beteiligten, alle vibrieren ganzundgar in jedem Ton, in jeder Phase mit. Genau das, scheint es, macht die sublime Pracht und das Wesen ihres Musizierens aus, macht Sinn, elektrisiert.
Der erste, der französische Teil des Fest-Konzerts war dem Giganten Rameau gewidmet, sowie einer Szene aus Campras Idoménée. Angemessen ging es gleich los wie ein Raketenstart mit der atemberaubenden Ouvertüre zur Oper Nais, gekrönt vom Glanz des Triumphquartetts und -chors aus Dardanus, wahrlich triumphal gesungen von Lenneke Ruiten, Mathias Vidal, Victor Sicard und Tassis Christoyannis; die "galoppierende" Kampfmusik „Bruit de Guerre“ folgte, man könnte es gar nicht oft genug hören. Daraufhin sang Mathias Vidal die berühmte Arie des Dardanus „Lieux funestes“ („Unheilvolle Orte“) – aber mit solcher Leidenschaft, dass es einem fast die Tränen in die noch vom Quartett feuchten Augenwinkel trieb.
Bereits das allein waren Höhepunkte, die zu erleben zu Glücksmomenten im Leben eines Musik-, eines Kunstenthusiasten gehören. Wie soll man nur weiter schreiben über die folgenden 18 (achtzehn!) Höhepunkte, von denen jeder ausnahmslos und ohne geringste Verminderung von Neuem in Erstaunen setzte? Könnte, dürfte man etwas unerwähnt lassen oder bloß aufzählen!? Ob nun Emmanuelle de Negri im Air der Emilie und ihrer Matrosen („Les Indes Galantes“), die ohnmächtige Wut inmitten des unweigerlichen Gewitters auf See eindringlich beschwört oder Sandrine Pau in ihrer vielgerühmten Arie der Phani den Ehegott anfleht, eine Szene, um entrückt zu werden, oder ob Laurent Naouri, er nicht minder einer der ganz Großen französischen Sängerdarsteller, als Theseus (Hippolyte et Aricie) den so oft bemühten Meeresgott zur Rache anruft, es fehlen einem hier Zeit und Raum, dem Charisma ihrer Gestaltung gerecht zu werden, zumal, da im nächsten Moment Piau, de Negri, Vidal und Victor Sicard ihre Stimmen für „Tendre Amour“ („Zärtliche Liebe“) zu einem der wohl schönsten Quartette der ganzen Musikgeschichte vereinten, das schier die Zeit still stehen lässt und in seiner berührenden Transzendenz die Grenzen der Epoche überwindet: um die Zärtlichkeit selbst Klang werden und in unsere Herzen strömen zu lassen wie eine höhere Wahrheit. Nach diesem Klimax betrat Tassis Christoyannis die Bühne, auf der er einige Tage zuvor die Titelpartie von André Campras tragédie lyrique Idoménée verkörpert hatte, und sang aus diesem Werk das Opfergebet im Wechsel mit dem Chor der Neptun-Priester. Ja, das war so vollkommen und von solch ausdrucksstarker Grande, das man sich gewünscht hätte, alle Welt wäre anwesend, um daran zu erfahren, was es heißt, so etwas nicht nur zu singen, zu „interpretieren“, sondern wirklich mit ganzer Persönlichkeit zu gestalten. Mustergültig!
Sogar dieses Jubiläums-Konzert hatte sein veritables „Divertissement“, und zwar von veritabler Güte: Der erste Teil klang aus mit der Orchestersuite aus Rameaus letzter Meisteroper Les Boréades, doch dafür pausierte Haïm und übergab „in bester Gesellschaft“ ihrem Mentor und Gründungs-Paten der Concert d‘Astrée, Sir Simon Rattle die musikalische Leitung. Wer nun die meiste Freude an Rameaus farbenprächtiger und tänzerischer Partitur hatte, ist nicht auszumachen, ob das begeisterte Publikum, ob das Orchester, oder ob es der Maestro war – eine Lust jedenfalls, ihm dabei zuzuschauen, wie er im Dialog mit dem Orchester das Geschehen formte – so munter und plastisch, so abwechslungsreich modelliert, war diese beglückende Musik wohl selten zu hören. Was für ein Gratulationsgeschenk! Rasender Applaus!
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Der zweite Teil bot mit zwei Ausnahmen, italienische Werke, und kurz: es war zum Hinknien! Man sollte auf jeden der Auftritte, wie der vorigen, Verse zu Hymnen dichten, aber es ist nicht möglich, die Zeit ist dafür nicht, obwohl die Zeit in diesem Konzert selbst auftrat. Beinahe mochte man vergessen, überhaupt in Berlin, in der Staatsoper, in einem Jahr 2021 zu sitzen, so viel Glanz, Können und Visionen drangen auf unsere Wahrnehmung ein!
Emmanuelle Haïm blieb nun auf ihrem Posten und Marie-Claude Chapuis kam, um Didos Lamento von Purcell darzubieten: und mit wie viel Kunst sie in ihre warm hinschmelzenden Tonbögen das Klagen einer Seele legte, in diesen ewig ergreifenden Abschied, das berührte wohl alle und war auch Gesichtern im Orchester anzumerken. – Eine nächste Offenbarung, was „Singen“ bedeuten kann, bot Michael Spyres auf eine Art, die das ganze Haus zum Toben brachte (und selbst Schreiber dieses frappierte), indem er mit souveräner Macht seinen Heldentenor nutzte, um als Verkörperung der Zeit („Tempo“ aus Händels Il trionfo del tempo e del disinganno) die Urnen der Verstorbenen zu beschwören und zwar stimmlich bis in Tiefen, die irritierten, ob er nicht ein Basso profondo sei! Irgendwie schien es, als könne dergleichen wenig entgegenzusetzen sein, aber mit einem Lächeln erschien niemand anderes als Lea Desandre und funkelte durch all ihre Register mit wundervoll furiosen Koloraturketten in der Vivaldi Arie „Armatae face et anguibus“, was zwingend Beifallsstürme auslöste, und wiederum schien solcher Faszination nichts mehr entgegenzusetzen zu sein, aber da schritt vergnügt Andrea Mastroni an die Rampe, um all dem noch eine Krone aufzusetzen, als er, wirklich ein Bass, die Liebes-Arie des einäugigen Zyklopen Polyphem aus Händels Serenata Aci, Galatea e Polifemo auf eine Weise sang, indem er mal die schwärzesten, unglaublich immensen Basstiefen kraftvoll auskostend, in den Höhen zum Falsettieren überschlug, so dass einem zum ersten Mal im Leben nachvollziehbar aufging, wie umwerfend witzig diese Szene für die gern lachenden Neapolitaner 1708 gewirkt haben mag: und das umso mehr, je inbrünstiger innig und gar nicht „komisch“ es der Sänger macht!
Nein, die Aufzählung solch einer einzigartigen Folge lässt sich nicht abkürzen, denn die einen nennen und andere nicht, ist unmöglich. Der Abend war nicht nur eine, sondern buchstäbliche drei Sternstunden des Belcanto!
Als Nächste zeigte die bewunderungswürdige Natalie Dessay in Händels Bravour-Szene der Alcina nicht nur, wie sich das Drama der Zauberin in perlenden Koloraturen ausdrückt, als vor lauter Lieben ihre Künste versagen, sondern gleichsam, welche Magie ein Gesangston, im piano in den Raum gesetzt über ein Auditorium auszuüben vermag, das den Atem anhält, um diesem Zauber gern zu erliegen – und die Künstlerin dafür feiert! Von wegen „alles außer Händel“! In weiteren 8 Arien des Sachsen blieb die Spannung im Saal auf Hochfrequenz: Carlo Vistoli schüttelte energisch das Haar und schmetterte mit perfektem Countertenor seine Zornesskalen als Tamerlan auf das gebannte Publikum nieder, das ihm das mit jauchzendem Applaudieren dankte, bis Lenneke Ruiten, als eine weitere Zauberin in Liebesnöten, Klage und Wut Armidas über ihren Rinaldo in dennoch genüsslich mühelosen Koloraturen entfesseln konnte, und wie! Im Anschluss vereinten sich zu einem glücklichen Liebesduett zwei "Sängergenerationen" der Concert d‘Astrée: die beiden Protagonistinnen Sandrine Piau (Ginevra) und Lea Desandre (Ariodante) voll berückenden Charmes. Nachdem die nicht minder begnadete Eva Zaïcik (in Idoménée verkörpert sie die Vénus) einfach prachtvoll in einer Arie des Sesto aus Giulio Cesare brillierte, ließ noch einmal Michael Spyres seinen imposanten Tenor und mit Wucht für die Lehren der Vergänglichkeit (Tempo/Zeit) mahnend ertönen. Dem setzte der athletische Bass Jarrett Ott als Krieger Argante (Rinaldo) trotzige Furchtlosigkeit entgegen und schleuderte Blicke in den Saal, die mindestens so beeindruckten, wie sein grandioser Gesang! Ovationen! An diesem Abend überhaupt hätte mancher Regisseur übrigens viel zu lernen gehabt, wie ein einziger Blick schon mehr zu erreichen vermag an konzentriertem Ausdruck, als noch die verschrobenste Konzeptionsidee.
Die Zeit verging wie im Fluge, der Abend eilte dem Ende entgegen: „Ich will Zeit!“ („Voglio tempo“) ruft die Schönheit in Händels römischem Jugendoratorium, und Zeit (Vergänglichkeit), Enttäuschung und Vergnügen fallen ihr ins Wort in einem schier jagenden Quartett, atemberaubend gesungen von Ruiten, de Negri, Vittoli und Spyres! All das trieb Haïm, mit ihrer impulsiven Körpersprache stete Akzente setzend, voran, unermüdlich, mit äußerstem Einsatz, und, unübersehbar nicht nur voller Freude, sondern mit sehr, sehr viel Liebe! Nach drei Stunden ganz blass, doch immer voller Energie, wandte sich Haïm zum Ausklang des Abends: wieder Händel, der in der Finalarie seines ersten Oratoriums die Solovioline Arcangelo Corellis wetteifern ließ mit der Schönheit selbst und beiden in einem überirdischen Duo vom Sieg der Musik künden… Natürlich Sandrine Piau sang die Schönheit und Konzertmeister David Plantier war seines Parts eines Corelli wahrhaft würdig! Was für ein Abend! Unfassbar. Haïm verkündete verschmitzt, dass er zuende sei. Doch nur einmal im Leben habe sie all diese Sterne gleichzeitig beisammen: sie rief die Schar der Fünfzehn zurück auf die Bühne, dort reihten sie sich unter die Chorsolisten – und klar, was sonst, schelmisch lachte Haïm ins Publikum, sie alle schmetterten mit höchster Kunst Händels „Hallelujah“, als Klangfeuerwerk zur Krönung einer solchen wahren Jubiläums-Gala. Haïm & LE CONCERT ganz und gar Glück! Große Freude aller! Jubel, brausender Beifall, standing ovations! Gratulation, Merci! Merci auch den Intendanten und Organisatoren! Zweifellos unvergesslich für immer allen, die dabei sein durften, ein Fest der Musik, Stunde der Sterne! Merci!
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Dirigentin Emmanuelle Haïm mit Le Concert d’Astrée bei den BAROCKTAGEN 2021 in der Staatsoper Unter den Linden | Foto (C) Peter Adamik
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Olaf Brühl - 10. November 2021 ID 13284
LE CONCERT D’ASTRÉE (Staatsoper Unter den Linden, 08.11.2021)
Jubiläumskonzert zum 20jährigen Bestehen
Musik von Jean-Philippe Rameau, André Campra, Henry Purcell u. a.
Mit: Marie-Claude Chappuis, Lea Desandre, Natalie Dessay, Emmanuelle de Negri, Sandrine Piau,
Lenneke Ruiten und Eva Zaïcik sowie Tassis Christoyannis, Andrea Mastroni, Laurent Naouri, Jarrett Ott, Victor Sicard, Michael Spyres, Mathias Vidal und Carlo Vistoli
Le Chœur du Concert d’Astrée
Le Concert d’Astrée
Dirigenten: Emmanuelle Haïm und Simon Rattle
Weitere Infos siehe auch: https://www.staatsoper-berlin.de/
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