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Schreiben gegen den Weltuntergang 2012 (Wettbewerbsbeitrag)



PIET


von Swantje Oppermann



An Silvester 2011 veränderte sich das Leben des Piet Platt schlagartig. Ein Gespräch hatte seine Einstellung zum Leben völlig geändert. Auf der Silvesterparty war ihm dieser Universitätsprofessor begegnet, der sich ab zwei Glas Wein bevorzugt über lebensphilosophische Themen zu unterhalten schien. Sie hatten sich über Carpe Diem ausgetauscht, die Endlichkeit der Dinge und schließlich über den Kalender der Maya. 2012 stünde das Ende der Welt bevor. In Piet Platts Ohren klang das seit der Jahrtausendwende nicht gerade nach der innovativsten Vorhersage für das anstehende Jahr. Die Erde schien ja in letzter Zeit ständig kurz vor dem Untergang zu stehen.

Doch ab 0,3 Promille sprang auch Piet dankend auf dieses Thema an. Mit großen Augen hatte er den Worten des Professors gelauscht und war schließlich Feuer und Flamme für das Endzeitszenario gewesen.

Als Piet am nächsten Morgen aufwachte, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Und wenn dies tatsächlich sein letztes Jahr auf Erden war? Wollte er davon 303 Werktage hinter dem Schreibtisch sitzen, grob geschätzt 330 Abende mit seiner Frau vor dem Fernseher hocken und 355 Tage ihr schlecht gesalzenes Essen hinein würgen? Nein, so stellte er sich seine letzten Tage nicht vor.

Piet Platt wollte so viel von der Welt sehen wie möglich, bevor es zu spät war. Und wenn er es jetzt nicht tat, dann würde er vielleicht nicht mehr die Möglichkeit dazu bekommen. Doch als Berufstätiger war ihm das nicht möglich.

Die Kündigung war der naheliegende Schritt. Seine Frau erklärte ihn für verrückt, als er seinen Job von einem auf den anderen Tag hinschmiss. Piet war das egal. Ihm fehlte nur noch das Geld, um die Welt zu bereisen.

Piet musste schnell feststellen, dass man seinen Job weitaus schneller los wird als sein Haus. Mit seiner Frau ging dies wiederum etwas einfach. Die verlor er praktisch direkt mit dem Haus. Renate hatte ihn nicht mehr in die Augen blicken können, nachdem er ihr von seiner Auffassung berichtet hatte, dass mit Neujahr die letzten 357 bis 358 Tage ihres Lebens angebrochen waren. Die Welt würde aller Wahrscheinlichkeit nach Ende Dezember 2012 untergehen. Die Maya und Nostradamus konnten gar nicht irren.

Renate bat ihn, einen Therapeuten aufzusuchen. Piet fühlte sich angegriffen. Die Ehe war vorbei. Effektiv tat sich in den ersten sechs Monaten seines letzten Jahres jedoch nicht viel. Piet war so sehr damit beschäftigt, sein neues Leben zu planen, das Haus zu verkaufen und die Finanzen zu klären, dass er mehr Stunden pro Tag am Schreibtisch verbrachte als je zuvor. Dann kamen noch die Impfungen, Versicherungen und Visa hinzu, um die er sich kümmern musste, bevor er endlich das Flugzeug betreten konnte. Die ersten 183 seiner letzten 358 Tage waren alles andere als ein Kinderspiel. Die Nachbarn lachten ihn aus, im Supermarkt tuschelte man über ihn und all seine Freunde hatten sich auf Renates Seite geschlagen.

Doch Piet ließ sich nicht beirren. Wenn die Welt erst einmal unterging, würden sie blöd aus der Wäsche gucken, dachte sich Piet noch kurz bevor ihn das Auto anfuhr. Er erwachte erst zwei Tage nach verpasstem Abflug im Krankenhaus. Er hatte keinen Job, kein Haus, keine Frau, aber ein gebrochenes Bein und vier eingegipste Rippen. Natürlich hatte Piet sich gegen die Reiserücktrittversicherung entschieden. Immerhin war es jetzt oder nie gewesen. Für Piet schien sich die Aktion in Richtung nie zu bewegen. Er versuchte krampfhaft, seinen Aufenthalt im Krankenhaus zu verlängern. Schließlich gab es dort warmes Essen, und seine Zimmernachbarn hatten ihm bereits in den ersten vierundzwanzig Stunden mehr spannende Geschichten erzählt als Renate in dreißig Jahren Ehe. Doch irgendwann begann auch der schlimmste Rippenbruch zu heilen. Und die vorgetäuschte kurzweilige Amnesie wirkte nur beim ersten Mal glaubwürdig. Piet musste das Krankenhaus verlassen - auch wenn es kein Zuhause mehr für ihn gab.

Mit Krücken ließ er sich an Heiligabend auf die Pritsche in der Jugendherberge fallen, in die er sich kurzfristig einquartiert hatte. Das Jahr 2012 war fast vorbei. Die Welt bestand noch.

Piet seufzte. Der Professor hatte sich wohl doch geirrt.



(C) Swantje Oppermann







Die 12 besten aller eingereichten Wettbewerbsbeiträge (alphabetische Reihenfolge):

Beckmann, Max - Ideen gegen den Untergang/Szenario 17b
Büschgens, Andrea - Zeitenwende
Friedrich, Silvia - Faschingsdienstag 2012
Kornberger, Ruth - Yoginis
Krapf, Joël - Weltuntergang ohne mich
Messerschmidt, Nadine - Weltpremiere
Oppermann, Swantje - Piet
Peter, M. - Bekenntnis eines Irren
Politgurke - Der Weltuntergang ist teilweise vorläufig (Finanzamt Köln-Ost)
Scharley, Melanie - Einfach vergessen
Siegenthaler, Brigitte - Die Botschaft
Wieland, Kai - Flight 19











HOTSQUAT CALENDAR 2012 / Oktober, La menace de la bombe atomique /// A-Bombe im Kalten Krieg - Foto (C) Antal Thoma


Kurzgeschichtenwettbewerb - 20. Oktober 2012
ID 00000006280
HOTSQUAT CALENDAR 2012

HERAUSGEBERIN / EDITEUR: HotSquat Collectif / Wydenauweg 40 / 2503 BielBienne / http://www.hotsquat.ch / calendar@hotsquat.ch / PC 12-172563-8
ALLE FOTOGRAFIEN BY: by Antal Thoma / http://www.antalthoma.ch
CONCEPT ET REGIE: HotSquat Collectif et les lieux accueillants / und die Gastorte
GRAPHIK: Johan Katz / http://www.mkkm.name
EDITION: 1500 ex.
PRIX: 30.-
http://www.hotsquat.ch

Die Leute vom HOTSQUAT CALENDAR 2012 machen je 1 Exemplar ihres Kalenders den Autoren der 12 besten aller eingereichten Wettbewerbsbeiträge zum Geschenk.

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Weitere Infos siehe auch: http://www.kultura-extra.de/literatur/literatur/weltuntergang.php


Zur Auswertung des Kurzgeschichtenwettbewerbs

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