Von weit her
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ECM Records gibt es nun schon mehr als 50 Jahre. Das Repertoire hat sich erweitert, ist heute kaum noch zu überblicken, der Gründer und mehrfach ausgezeichnete Produzent Manfred Eicher hat immer wieder neue Ideen und Konzeptionen eingebracht, aber bei all dem hat sich das Label seine Identität bewahrt. Niemals wurden die ästhetischen Überzeugungen zugunsten kommerzieller Erwägungen verraten. Wer eine ECM-Produktion erwirbt, mag im einen oder anderen Fall enttäuscht sein. Eins aber weiß er mit Gewissheit: er wird niemals zur Beute eines unredlichen Kalküls.
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Die Cellistin Anja Lechner und der Pianist François Couturier gehören seit langem zum „Stamm“ der ECM-Musiker. Beide haben in unterschiedlichen Zusammensetzungen gespielt, mehrfach auch mit einander. Jetzt haben sie unter dem Titel Lontano (Aus der Ferne) eine CD mit 16 kurzen Titeln veröffentlicht, die man eher in der New Series als in der ursprünglichen Reihe des Labels erwarten würde und auf der eigene Improvisationen mit Kompositionen des Argentiniers Ariel Ramirez, des Georgiers Giya Kancheli, des Tunesiers Anouar Brahem und des Franzosen Henri Dutilleux – bis auf Ramirez, alles Musiker aus dem ECM-Katalog – verknüpft werden. Dass Lechner und Couturier „eines Geistes Kind“ sind, hört man in jedem Takt: offen für einfache, minimalistische musikalische Einfälle, aber undogmatisch in der Durchführung, verführbar von harmonischer Innigkeit, aber bereit zu atonalen Ausbrechern (etwa im zweiteiligen Solar oder in Dutilleux‘ Prélude en berceuse, einem Arrangement eines von sechs Stücken aus dem für Soloklavier komponierten Au gré des ondes). Da gibt es Anklänge an die Romantik, an die „klassische“ Cello-Literatur, die – etwa in Flow – dem Klavier Raum lässt, eine eigene Dimension hinzuzufügen, oder, in Memory of a Melody, ein Bach-Zitat.
Im Präludium von Lechner und Couturier scheint das tremolierende Cello, in das sich alsbald zaghaft das Klavier mischt, aus dem Nirgendwo, von weit her oder, in Abwandlung von Wim Wenders Filmtitel, aus weiter Ferne, so nah, zu kommen. Die Hymne von Lechner und Couturier schließt dann an an die volksliedhafte Schlichtheit von Kanchelis Minuature 27.
Charakteristisch für ECM: die langen Pausen zwischen den Stücken, ein wohltuender Einspruch gegen die Atemlosigkeit von Rundfunk-Programmen, die es der Musik nicht erlauben, im Hörer nachzuklingen.
Thomas Rothschild – 12. Oktober 2020 (2) ID 12528
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