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Japanisches Kino

Hinter der

Fassade



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Osamu (Lily Franky) ist ein Gelegenheitsarbeiter, der aber kein ausreichendes Einkommen hat und auf Diebstähle in Supermärkten angewiesen ist. Zu dem Zweck lernt er auch den 12jährigen Jungen Shota (Kairi Jyo) an, der auf den ersten Blick sein Sohn sein könnte. Nach außen hin sieht alles wie eine Familie aus, aber der oberflächliche Blick trügt, und der japanische Filmemacher Hirokazu Kore-eda geht als Drehbuchautor, Regisseur und Cutter den Dingen auf den Grund. Shoplifters – Familienbande ist ein Film über soziale Armut und Ausgrenzung, aber auf den zweiten Blick dreht er sich um das, was Familie eigentlich ausmacht.

Japan ist als ein Land bekannt, in dem die Menschen sehr alt werden. Die Idee für den Film geht auf eine offizielle Untersuchung zurück, bei der 230.000 im Melderegister aufgelistete über 100jährige nicht auffindbar waren. Bei einigen stellte sich heraus, dass sie von ihrer Familie einfach vergessen worden waren und unbemerkt verstarben, bei anderen wurde deren Ableben absichtlich verschwiegen, damit die Angehörigen weiter die Rente kassieren konnten. Kore-edas Filme wie Nobody Knows (2004), Like Father Like Son (2013) oder Unsere kleine Schwester (2015) drehen sich immer wieder um die Komplexität familiärer Beziehungen. In Shoplifters ist die Familie auf die Rente der Großmutter Hatsue (Kilin Kiki) angewiesen, Osamus Frau Nobuyo (Sakura Andô) führt den Haushalt, und die älteste „Tochter“ Aki (Mayu Matsuoka) trägt durch ihren Verdienst in einem Stripclub zum Lebensunterhalt bei.

Eines Tages treffen Osamu und Shota nach einem geglückten Beutezug die kleine Yuri (Miyu Sasaki), eine verwahrloste Fünfjährige, die Hunger hat. Da deren Eltern nicht zu Hause sind, nehmen sie die Kleine zum Essen mit zu sich. Nobuyo ist nicht erfreut über einen weiteren Esser, aber die Kleine soll ja gleich zurück. Als sie Spuren von Misshandlungen bei Yuri erkennen, behalten sie sie über Nacht bei sich. Die Kleine ist Bettnässerin, ein weiteres Zeichen, dass es ihr nicht gut geht. Also wird sie kurzerhand in die Familie aufgenommen, und dann wird es schon klar, dass Aki und Shota auf ähnliche Weise Eingang in die Familie fanden. Eigentlich erfüllen die Erwachsenen die Aufgabe des Sozialstaates, aber die Autoritäten sehen das nicht so. Als die Polizei über das Fernsehen nach Yuri suchen lässt, wird es eng für die Familie und so verlassen sie Tokio vorübergehend und ziehen sich an die Küste zurück.



Familienidylle am Strand mit den Darstellern Kairi Jyo, Kilin Kiki, Lily Franky, Mayu Matsuoka, Miyu Sasaki, Sakura Ando | © Wild Bunch Germany


Weder die Ladendiebstähle noch das Verbleiben Yuris in der Familie können auf Dauer so weitergehen. In die Fröhlichkeit mischt sich immer mehr Angst und Unruhe, und vieles ist längst nicht so, wie es scheint. Der Hunger und der Kampf ums Überleben sind allerdings sehr echt, und Kore-eda schildert ihn in erschreckender Beiläufigkeit. In einer Leistungsgesellschaft ist kein Platz für die Verlierer und die Schwachen. Doch sind diese gesellschaftlichen Randfiguren auf ihre Art ethischer und sozialer als es den Anschein hat. Kore-eda führt Vorurteile ad absurdum. Die japanische Kultur ist prinzipiell wesentlich gemeinschaftsorientierter als die westliche, weil der konfuzianische Familienbegriff noch teilweise wirksam ist, der eine patriarchalische Struktur vorsieht und ein sehr innige und weit gefasste Verbindung untereinander. Das lässt sich mit einer globalen und wirtschaftlich orientierten Gesellschaft immer schwerer vereinbaren. In dem Film bilden Außenseiter eine familiäre Gemeinschaft, die aber bedroht ist.

Der Schluss des Films löst einige Rätsel auf und ist einfach genial. Da man ihn wirklich nicht vorausahnen kann, ist er dadurch noch einmal für eine Überraschung gut. Wie seine anderen Filme ist auch Shoplifters ein humanistisches Plädoyer gegen eine Vorverurteilung von Randgruppen. Er ist zu komplex, um auf den Begriff Sozialdrama reduziert zu werden, dazu ist Kore-edas Beobachtungsgabe zu genau, die den Menschen als Ganzes erkennt und darstellt. Es ist eher ein hochsensibles Gesellschaftsporträt, das gerade durch die wenig dramatisierte Schilderung der Zustände unter die Haut geht. Dafür gab es 2018 verdient die Goldene Palme in Cannes und weitere Preise.
Helga Fitzner - 23. Dezember 2018
ID 11117
Weitere Infos siehe auch: https://www.wildbunch-germany.de/movie/shoplifters


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