Der weiße
Wal und die
Wahrheit
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Bewertung:
Wer schon mal auf einem Wal-Beobachtungsboot unterwegs war, dem sich Wale genähert haben, kennt das überwältigende Glücksgefühl. Es ist fast nicht zu beschreiben, wenn die majestätischen Riesen ums Boot herumschwimmen oder gar darunter wegtauchen. Es scheint, als wollten die gewaltig großen Tiere mit uns spielen, ja vielleicht sogar mit uns kommunizieren, wenn wir sie denn nur verstehen könnten. Doch irgendwie inmitten der Euphorie taucht dann schon der Gedanke auf: Was wäre, wenn der Wal, vielleicht nur im Spiel, mit der Schwanzflosse das Boot zum Kentern bringt. Viele Boote sind ja nur kleine Katamarane. Im Zeitalter von GPS und anderen Techniken, würden die Whalewatcher im schlimmsten Fall wieder aus dem Wasser gefischt werden. Man mag sich aber auch an das berühmte Buch von Herman Melville, Moby Dick, erinnern, in dem ein offensichtlich rachsüchtiger weißer Wal ein Boot zerstörte, um die Besatzung zu töten. Melvilles Roman basierte auf Tatsachen.
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Es hat im 19. Jahrhundert tatsächlich Angriffe von Walen auf Walfangboote gegeben. In Ron Howards Film Im Herzen der See geht es um den bekanntesten dieser Fälle, die Essex aus Nantucket, ein Walfangboot von 28 Metern Länge und 8 Metern Breite. Hier war die 21-köpfige Mannschaft monatelang auf hoher See unterwegs. Der Film beginnt mit dem Schriftsteller Herman Melville (Ben Whishaw), der dreißig Jahre später Thomas Nickersen (Brendan Gleeson), den letzten Überlebenden der Essex, aufsucht. Der aber hat sich zurückgezogen und trinkt. Irgendetwas Unaussprechliches lastet auf seiner Seele, das er auch für gutes Geld dem Schriftsteller nicht preisgeben will. Doch irgendwann erzählt er wenigstens den Anfang der Geschichte.
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Verstehen sich nicht gut: Kapitän George Pollard (Benjamin Walker) und sein Erster Steuermann Owen Chase (Chris Hemsworth) | © Warner Bros. Pictures Germany
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Kurz bevor die Essex in See sticht, bahnt sich schon im Vorfeld ein Konflikt an. Der erfahrene Seemann Owen Chase (Chris Hemsworth) wird entgegen anderslautender Versprechungen als Kapitän übergangen und nur als Erster Steuermann angeheuert. Ihm wird der junge Schnösel George Pollard (Benjamin Walker) vor die Nase gesetzt, der im Gegensatz zu Chase aus gutem Hause stammt. Der 14jährige Schiffsjunge Thomas Nickersen (nun gespielt vom talentierten Briten Tom Holland) bekommt aufgrund der Enge im Boot vieles davon mit.
Der Walfang ist ein grausames, im 19. Jahrhundert aber auch ein gefährliches Gemetzel. Die Seeleute setzen in kleinen Ruderbooten aus und harpunieren die Wale. Die Harpune hat einen abscheulichen Widerhaken und ist an einem Seil befestigt, an dem der verletzte Wal hängt und das Boot auf seiner Flucht hinter sich herzieht, dann wird er von einer zweiten Harpune... Ron Howard filmt das ungeschönt, aber verhältnismäßig, indem er die Quälerei zwar zeigt, sie aber nicht zum Showeffekt oder Selbstzweck degradiert.
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Die Wale werden in winzigen Ruderbooten gejagt | © Warner Bros. Pictures Germany
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Der alte Thomas Nickerson erinnert sich weiter: Während die Männer in den Ruderbooten draußen jagen, zerstört ein weißer Pottwal das Schiff. Als sie zurückkehren, können sie nur noch die Wasservorräte, Schiffszwieback und ein paar Utensilien retten und sind mitten auf hoher See in den Ruderbooten ausgesetzt. Der weiße Wal ist auf Rache aus und verfolgt die Boote. Was der Wal nicht schafft, erledigen Durst und Hunger.
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Der alte Thomas Nickerson (Brendan Gleeson) erzählt Herman Melville (Ben Whishaw) nun doch die ganze Geschichte | © Warner Bros. Pictures Germany
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Der alte Nickerson erzählt nun in einem erlösenden Gespräch das erste Mal von den Ereignissen in den Ruderbooten, die im berühmten Buch Moby Dick keine Erwähnung finden. Am Anfang hat man die Verstorbenen noch in Seemannstradition im Meer bestattet, später hat man sie im Boot gelassen und sich für das Überleben entschieden. Thomas Nickerson leidet seitdem an Selbstekel und ist auch im Alter nie darüber hinweg gekommen.
Ron Howard hat als Kameramann Anthony Dod Mantle (Kamera-Oscar für Slumdog Millionaire) engagiert, der neben seiner visuellen Gabe auch eine spielerische Affinität zur Technik hat. In 3D kreiert er eindrückliche Bilder der Seefahrt des 19. Jahrhunderts und des Walfangs. So schafft er es, auf der einen Seite einen fantastisch ausgestatteten Kostümfilm zu drehen, aber auf der anderen Seite sehr realitätsnah zu sein, wobei er sicher auf seine Erfahrungen mit den Dogma-Filmen rekurrieren konnte.
Für Walschützer ist der Film möglicherweise eine Herausforderung. Ron Howard geht aber sehr ausgewogen mit dem Thema Walfang um, weil er zumindest Owen Chase an der Profitjagd, die dahinter steht, zweifeln lässt. Am Ende merkt Melville an, dass unterirdisches Öl gefunden wurde, so dass man das Lampenöl, das bisher aus dem Fett von Walen gewonnen wurde, nicht mehr braucht. (Das war in der Zeit vor der elektrischen Stromversorgung.) Das kann schon als Hinweis gewertet werden, dass es heutzutage Walfang nicht mehr geben müsste. Es besteht zwar seit 1986 ein internationales Walfangverbot, allerdings sind japanische Walfänger seit Anfang Dezember 2015 wieder unterwegs. Aufgrund des internationalen Aufschreis haben sie ein Jahr ausgesetzt, besitzen jetzt aber wieder die Unverfrorenheit, dies angeblich aus Zwecken der wissenschaftlichen Forschung zu tun. Neben Japan betreiben noch Norwegen und Island Walfang unter dem gleichen Vorwand. - Gegen die heutigen Walfangboote könnte selbst ein Moby Dick nichts ausrichten.
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Helga Fitzner - 3. Dezember 2015 ID 9021
Weitere Infos siehe auch: http://film.info/imherzendersee/
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