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Deutsches Kino

Leben mit

dem Verlust



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Die jungen Menschen aus Fukushima sind längst weggezogen, übrig geblieben sind die Älteren und Alten, die immer noch in Containerunterkünften außerhalb der verstrahlten Sperrzone leben. Die Dreifachkatastrophe fand am 11. März 2011 statt, als sich ein Seebeben ereignete, das einen Tsunami zur Folge hatte und zum Reaktorunglück von Fukushima führte. Seitdem ist das Gebiet um die defekten Reaktoren weiträumig gesperrt. Das ist der Hintergrund des Filmes Grüße aus Fukushima, in dem die deutsche Clownin Marie (Rosalie Thomass) nach Japan reist, um in der Notunterkunft die Bewohner aufzuheitern. Die junge Deutsche scheitert aber, denn sie ist selbst todunglücklich. Sie hat ihren Zukünftigen mit dessen bestem Freund betrogen und wurde von ihm verlassen. Die Hochzeit und der geplante Lebensentwurf waren dahin. Nun sucht sie ihr Heil dort, wo sie Menschen vermutet, denen es noch viel schlechter geht als ihr selbst. Sie ist weder eine gute Clownin noch hat sie sich mit der japanischen Kultur auseinandergesetzt, wodurch ein Kulturclash vorprogrammiert ist. Regisseurin und Drehbuchautorin Doris Dörrie inszeniert Marie klischeehaft als Elefant im Porzellanladen und verbindet ihr Schicksal mit dem der feingeistigen ehemaligen Geisha Satomi (Kaori Momoi).



Ein ungleiches Paar sind die deutsche Clownin Marie (Rosalie Thomass) und die japanische Geisha Satomi (Kaori Momoi) | © Mathias Bothor, Majestic


Man kann Leid nicht aufwiegen und geschehene Fehler nicht wieder rückgängig machen. Die verpatzte Hochzeit stürzt Marie in eine tiefe Sinnkrise, die sie schwer erschüttert. Trotzdem hat sie Respekt vor dem unverschuldeten Leid der Japaner aus Fukushima, und als die mürrische Alte Satomi sie darum bittet, sie mit dem Auto wohin zu bringen, willigt Marie ein. So gelangen sie zum Haus von Satomi, das im Strahlengebiet liegt, und Satomi denkt gar nicht daran, dort wieder weg zu gehen. Stattdessen beginnt sie, ihre beschädigte Behausung wieder zu reparieren und bewohnbar zu machen, während sie Maries Versuche, sie zur Rückkehr zu bewegen, in den Wind schlägt. Marie schafft es nicht, die alte Frau sich selber zu überlassen und bleibt bei ihr, doch das Zusammenleben gestaltet sich sehr anstrengend. Marie ist groß, ungelenk und ungeschickt, Satomi als Geisha in der feinen Lebensart unterrichtet, zu der Tanzen, Musizieren und die berühmte Teezeremonie gehört. Bei Satomi ist sogar das Fegen der Stube ritualisiert und wird mit Anmut ausgeführt, und allmählich entwickelt auch Marie einen Sinn für die achtsame und bewusste Arbeitsweise der alten Dame.



Kehrwoche auf japanisch. Satomi (Kaori Momoi) lehrt Marie (Rosalie Thomass) die Regeln bewusster Haushaltsarbeit | © Hanno Lentz, Majestic


Während es Marie besser geht und sie zunehmend zu sich selbst findet, ängstigt sich Satomi immer mehr, denn sie hat in der Vergangenheit große Schuld auf sich geladen. Nachts kommt es zu übersinnlichen Erscheinungen, vor denen sie sich verstecken will. Marie ist da robuster und will den Dingen auf den Grund gehen. Der strenge Bewegungs- und Verhaltenskodex von Satomi wird als Deckmantel erkennbar, sich den Traumata der Vergangenheit nicht stellen zu müssen. Eine sehr effektive und hartnäckige Überlebensstrategie. Doch da hat Satomi die Rechnung ohne die forsche Deutsche gemacht, die es schafft...



Das zerstörte Haus von Satomi (Kaori Momoi) ist auch ein Sinnbild der inneren Zerstörungen seit der Reaktorkatastrophe | © Mathias Bothor, Majestic


Doris Dörries Film Grüße aus Fukushima kommt fast auf den Tag genau fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe heraus und stellt eine Verbeugung vor dem anhaltenden Leid dar, das dadurch ausgelöst wurde. Doris Dörrie hat schon lange eine große Affinität zur japanischen Kultur, seit sie 1985 ihren Film Mitten ins Herz auf dem Tokio International Filmfestival präsentierte. Ihr erster Film mit einem japanischen Drehort war Erleuchtung garantiert von 2000 und Kirschblüten – Hanami von 2008. Mit Grüße aus Fukushima ist ihr ist ein Werk gelungen, das realistisch und poetisch zugleich ist, in distanzierendem Schwarzweiß gedreht und mit Mut und Hingabe gespielt. Der Geigerzähler gehörte mit zur Ausrüstung, auch im Film, und die riesigen Halden von Plastiksäcken mit abgetragener, kontaminierter Erde vermitteln einen sehr realen und ausreichenden Eindruck von den verheerenden Verwüstungen. Die politisch engagierte Regisseurin übt sich aber in japanischer Zurückhaltung. Sie will mit dem Film dem Vergessen entgegenwirken, was ihr auch gelingt, verzichtet aber auf platte Querverweise, wie den verschleppten Atomausstieg. Das hätte das cineastische Kunstwerk nur beeinträchtigt, das im sensiblen Zuschauer noch lange nachhallt. Vielleicht haben am Schluss Satomi und Marie die Geister ihrer Vergangenheit nicht besiegt, aber sie haben gelernt, trotz allem weiterzuleben und die unermessliche Kraft der menschlichen Seele erfahren.


Helga Fitzner - 9. März 2016
ID 9192
Weitere Infos siehe auch: http://www.gruesseausfukushima.de


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