Wer Gewalt
sät…
|
|
Bewertung:
Es mag zwar purer Zufall sein, aber gleich zwei der stärksten Kinofilme des Jahres sind (Spät-)Western, die von der Ungerechtigkeit und Unterdrückung der Siedler gegenüber den jeweiligen Ureinwohnern, dem Konflikt zwischen unterschiedlichen Zivilisationen und der mühsamen Etablierung eines zivilisierten Miteinanders handeln. Nach dem kraftvollen, hochdramatischen US-Drama Hostiles vom Frühsommer kommt nun der nicht minder kraftvolle und ebenfalls hochdramatische australische Western Sweet Country zu uns nach Deutschland, mit dem der Regisseur Warwick Thornton einmal mehr auf das schwierige Verhältnis zwischen den Aborigines und den aus Europa stammenden Weißen blickt.
Schon die ersten Szenen machen deutlich, dass auch in den 1920er Jahren im australischen Binnenland raue Sitten herrschten: Die auf versprengten Farmen wohnenden Siedler sehen nicht nur ihre jeweilige Scholle als ihr Eigentum an, sondern auch ihre indigenen Nachbarn, die sie unter harten Bedingungen als billige Erntehelfer oder Hausmädchen benutzen bzw. teils missbrauchen. Jeder Widerspruch oder kleine Vergehen bedeuten harte Züchtigungen durch die männlichen Farmer, die unter der sengenden Sonne zu ungehobelten Eigenbrötlern werden, wenn sie als Soldaten im Ersten Weltkrieg im fernen Europa nicht ohnehin schon brutalisiert wurden. So wie Harry Marsh (Ewan Leslie), dem sein primitiver Rassismus nicht davor gehindert hat, mit einer Aborigine ein Kind zu zeugen. Den kleinen Jungen hält Marsh eher wie einen Hund als wie seinen Sohn.
Glück hat der gutmütigen Aborigine Sam Kelly (eindringlich: Hamilton Morris), der zusammen mit seiner Frau bei seinem ebenfalls sehr gutmütigen Hausherrn Fred Smith (Neuseelands Superstar Sam Neill, bekannt vor allem aus Jurassic Park I & III) lebt. Smith ist ein sehr frommer Mann, der die christlichen Gebote sehr ernst nimmt und Gewalt verabscheut. Anders als die Figur, die Gregory Peck im Western Weites Land (The Big Country, 1958) spielte, ist er bisweilen zu naiv in seinem Glauben an das Gute, das auch in aggressiven Mitbürgern vermeintlich verborgen ist. Das sein einige Kilometer entfernter, von Alkoholkonsum gezeichneter Nachbar Harry Marsh sich seinen Adlatus Kelly ausleiht, bereut er schon sehr bald.
Aus der Perspektive des jungen Kindes auf Marshs Farm erlebt der Zuschauer die schon befürchtete Eskalation zwischen dem Rassisten und dem Aborigine, der in Notwehr seine Frau beschützen muss und Marsh über den Haufen schießt. Damit beginnt der zweite, mittlere Teil des Films, die Suche eines Trupps weißer, bewaffneter Männer nach dem in die Steppe geflüchteten Aborigine-Paar. Ihr Anführer, der knorrige Sergant Fletcher (Aussie-Star Bryan Brown, bekannt aus der Serie Die Dornenvögel und F/X I & II), verkörpert den Zwiespalt der weißen Übermacht: einerseits angeblich an Gesetze und moralische Prinzipien gebunden, andererseits voller Skepsis und Ablehnung gegen die vermeintlich unzivilisierten Ureinwohner.
Auch visueller Höhepunkt der Verfolgungsjagd ist sein dickköpfiger Versuch, Fred Smith durch die endlose Salzwüste im australischen Kernland zu jagen, wo die Sonne besonders erbarmungslos vom Himmel brennt. Fletcher, aber auch Fred Smith, werden am Ende der Menschenjagd hinzugelernt haben – aber was ihre Mitbürger in den Dörfern betrifft, ist berechtigte Skepsis angebracht. Zu tief sind Überheblichkeit und Hass in ihrer Psyche verwurzelt. Der brave Vertreter der (weißen!) Zivilisation hat allergrößte Mühe, die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit aus good ol‘ England in die versengte Steppe des australischen Hinterlands zu transformieren.
Regisseur Warwick hat das an sich schon sehr spannende und emotionsstarke Drama (Drehbuch: Stephen Cleary) mit visuellen Metaphern und beeindruckenden Landschaftsaufnahmen bereichert. Außerdem hat er viele kleine Bilder in die Szenen eingefügt, die auf Ereignisse in der Vergangenheit oder in der Zukunft verweisen, anhand derer er deutlich macht, dass die individuellen Handlungen immer auch Wurzeln und Folgen haben, die in einem größeren Kontext stehen. Eine Spezialität des englischen Ex-Cutters und Regisseurs Nicolas Roeg (Wenn die Gondeln Trauer tragen, 1973), die auch hier sehr gekonnt die Neugier auf den Verlauf der Story zusätzlich schürt.
Ein zeitlos dramatisches Thema, ein epischer Atem der Erzählung, eine raffinierte Regie, kraftvolle Bildsprache und eine starke Besetzung runden Sweet Country zu einem der wenigen Meisterwerke dieses Kinojahres ab.
|
Sweet Country | (C) GRANDFILM
|
Max-Peter Heyne - 27. September 2018 ID 10942
Weitere Infos siehe auch: http://grandfilm.de/sweet-country/
Post an Max-Peter Heyne
Dokumentarfilme
Filmkritiken
Interviews
Neues Deutsches Kino
Hat Ihnen der Beitrag gefallen?
Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!
Vielen Dank.
|
|
|
Rothschilds Kolumnen
BERLINALE
DOKUMENTARFILME
DVD
EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM Reihe von Helga Fitzner
FERNSEHFILME
HEIMKINO
INTERVIEWS
NEUES DEUTSCHES KINO
SPIELFILME
TATORT IM ERSTEN Gesehen von Bobby King
UNSERE NEUE GESCHICHTE
= nicht zu toppen
= schon gut
= geht so
= na ja
= katastrophal
|