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DVD-Kritik

Fundstück

Zweisamkeit



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Die Meeresbrandung tost. Eine Frau mittleren Alters erforscht mit wachem Blick die Meeresklippen. Sie trägt einen schweren, dunklen Rock aus der Mode des neunzehnten Jahrhunderts. Plötzlich klettert sie bedacht eine Klippe hinauf. In etwa drei Meter Höhe unterhöhlt sie mit bloßen Händen ein großes Stück Erdbrocken. Sie bricht es bald aus dem Hügel heraus. Ungeschickt klettert sie mitsamt dem Brocken den Hügel hinunter und fällt beinahe zu Boden. Sie freut sich. Sie hat ein großes Ammonitfossil entdeckt.

Ammoniten sind eine ausgestorbene Gruppe der sogenannten Kopffüßler. Sie lebten über 350 Millionen Jahre im Wasser, zur Zeit der Dinosaurier. Heute findet man Außenschalen von Ammoniten oft als versteinerte Fossilien in Museen. Für die Geologie und Paläontologie sind diese Leitfossilien zur zeitlichen Bestimmung von großer Bedeutung. Im Fossilienhandel sind Ammoniten wegen ihrer Häufigkeit und Vielfältigkeit bis heute sehr beliebt.

Nach seinem gefeierten Spielfilmdebüt God‘s own country besorgte der englische Filmemacher Francis Lee auch in seinem leisen Liebesdrama Ammonite die Regie und das Drehbuch. Ammonite erzählt eine fiktive Liebesgeschichte, die lose inspiriert ist vom Leben der realen berühmten Fossiliensammlerin Mary Anning (1799-1847), einer Mitbegründerin der Paläontologie. 12-jährig fand Anning das Fossil eines Fischsauriers, das später im British Museum ausgestellt wurde.

Der Film spielt 1840 in Lyme Regis an der Südwestküste von England, wo auch die reale Forscherin lebte. Mary Anning (Kate Winslet) hat sich aus der von Männern dominierten Wissenschaftswelt zurückgezogen, um ihre kranke Mutter zu pflegen. Gemma Jones, die in God’s own Country noch die gutmütige Mutter des jungen Schafhirten Johnny Saxby spielte, mimt hier nun Marys lungenkranke Mutter Molly. Mary bestreitet den gemeinsamen Lebensunterhalt mühsam durch den Verkauf von Fossilien in einem wohnungsnahen Laden. Unerwartet erhält sie Besuch vom wohlhabenden Ehepaar Murchison aus London. Der anerkannte Geologe Roderick Murchison (James McArdle) fragt Anning, ob sie sich um seine Frau Charlotte (Saoirse Ronan) kümmern könne, um ihr so viel wie möglich über die Fossiliensuche beizubringen. Er erhofft Charlotte so etwas Ablenkung zu verschaffen, um sie von der Trauer abzulenken, unter der sie leidet, seitdem sie das gemeinsame Kind verloren hat. Es entwickelt sich eine Annäherung zwischen den beiden recht unterschiedlichen Frauen, die bald über Freundschaft hinausgeht.

Kate Winslet, deren Filmdebüt Heavenly Creatures (1994) bereits von einer vermeintlich homosexuellen Beziehung der beiden Hauptfiguren handelte, mimt Mary Anning eher herb, verhärmt und burschikos. Saoirse Ronan (Little Women,2019) ) stattet ihre Charlotte mit einer vornehmen Blässe und zunächst mit zurückhaltender Zerbrechlichkeit aus. Später erleben wir Charlotte bei einem Konzertempfang auf dem gesellschaftlichen Parkett jedoch in kostbarer Abendgarderobe deutlich weltgewandter und einnehmender als die verschämte und spröde Mary. Bald zeichnet sich ein Konflikt zwischen den beiden Frauen ab, da Charlotte in der privilegierten Oberschicht ganz andere Maßstäbe auch an eine Beziehung setzt als Mary, die aus ärmerem Hause kommt und deren Lebenselixier ihre Arbeit ist.

Der Kontakt des Geologen Roderick Murchison (1792-1871) und seiner Frau Charlotte (1788-1869) zu Mary Anning gilt übrigens als historisch belegt. Anders jedoch als im Film, wo Mary gut 18 Jahre älter ist als Charlotte, war Charlotte real 11 Jahre älter als Mary und selbst Geologin.

Im bildgewaltigen Film wird vieles nur angedeutet, etwa der Kindstod der Murchisons. Der Plot erinnert ein bisschen an Céline Sciammas Liebesdrama Portät einer jungen Frau in Flammen (2019), das auch eine Frauenbeziehung vor Meerespanorama bebildert, hier gegen Ende des 18. Jahrhunderts.

Francis Lee erzählt eindringlich von beengenden gesellschaftlichen Konventionen. Der 53jährige zeigt eine unerwartete, sanfte, emotionseiche Liebesgeschichte voller Verletzlichkeit, in der eine stoische, bestimmte und eigenwillige Forscherin im Zentrum steht. Zwei Frauen unterstützen, ermutigen und motivieren sich bald gegenseitig. Mary Anning hat zu Lebzeiten als Forscherin vielleicht weniger Anerkennung erhalten, als ihr zugestanden hätte. Hier erfährt sie die Bewunderung und Wertschätzung einer anderen Frau. Die DVD wird bereichert durch ein Making-Of, ein fast 30minütiges B-Roll, in dem man die Crew beim Filmdreh beobachten kann, und Interviews mit den beiden Hauptdarstellerinnen und dem Regisseur. Alleine das erhellende Gespräch mit der vielfach ausgezeichneten Kate Winslet hat eine Dauer von fast 40 Minuten.
Ansgar Skoda - 26. Januar 2022 (2)
ID 13423
Weitere Infos siehe auch: https://tobis.de/titel/ammonite


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