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Unsere Neue Geschichte (Teil 10)

Die Rückeroberung
des amerikanischen
Traums



Bewertung:    



Nur Niederlagen: die US-Militärs sind so verzweifelt darüber, dass sie seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Krieg mehr gewonnen haben, dass sie nun den Chaos-Kultregisseur Michael Moore auf einen Ein-Mann-Feldzug schicken. Der 61jährige Eroberer wirkt zwar ein bisschen fußlahm, begibt sich aber dennoch voller Enthusiasmus auf seine Mission. Mit US-Flaggen und großer Neugier bewaffnet, beginnt er mit der Invasion Italiens, wo er freundlich begrüßt wird. In der Doku-Comedy Where to Invade Next nimmt Michael Moore die Eroberungslust der USA aufs Korn, und was zunächst absurd erscheint, ist die vernünftigste Invasion aller Zeiten. Er will kein Land und keine Rohstoffe stehlen, sondern die besten Ideen der Länder und diese nach Amerika mitnehmen.



Michael Moore ganz alleine auf Eroberungstournee | © Dog Eat Dog Film


Von den Italienern will er wissen, „warum die immer so gesund und glücklich aussehen, als hätten sie gerade Sex gehabt“. Die Antwort haut ihn fast um. Die Italiener haben sechs bis sieben Wochen Urlaub im Jahr und ein dreizehntes Monatsgehalt. In den USA gibt es in der Regel keinen bezahlten Urlaubsanspruch, in Ausnahmefällen gerade mal 14 Tage. Auch eine zweistündige Mittagspause ist für einen Amerikaner unvorstellbar. Die Italiener essen kein Fastfood, sondern kochen und essen mittags zu Hause, und noch wahnsinniger, den italienischen Firmenbossen sind zufriedene Mitarbeiter wichtiger als höhere Profite.



Michael Moore erfährt, dass einem italienischen Unternehmer gesunde und zufriedene Mitarbeiter wichtiger sind als höherer Profit | © Dog Eat Dog Film


Außerdem arbeiten die Italiener besser und sind gesünder. Ein Gewerkschaftsboss erklärt, dass dies allerdings erkämpft werden musste. Moore ist dann schon ganz schön fertig, als er hört, dass es auch bezahlte Elternzeit gibt. Die USA sind zusammen mit Papua-Guinea das einzige Land, in dem die Arbeitgeber der Mutter eines Neugeborenen keine Lohnfortzahlung leisten müssen.

Achtung Spoiler: In der Folge berichten wir über alle Länder, die Moore bereist.

Irgendwo in der Provence in Frankreich marschiert Moore in eine Schulmensa ein. Die Kinder haben eine ganze Stunde lang Zeit zum Essen, sitzen an runden Tischen, essen von Porzellantellern und bekommen ein mehrgängiges Menü. Dies wird in Schüsseln serviert, so dass die Kinder nicht nur schon früh Essenskultur, sondern auch Sozialverhalten beim Austeilen lernen. Getrunken wird Wasser. Moore versucht, ihnen Cola aufzuschwatzen, aber mit wenig Erfolg. Nach weiteren Beutezügen in Frankreich macht sich Moore auf den Weg nach Finnland. Finnische Schüler gehören zu den besten der Welt, während die amerikanischen im Ranking nur Platz 29 einnehmen. Moore kann es kaum glauben, wie Finnland das geschafft hat. Die Kinder bekommen keine Hausaufgaben auf, haben nur wenige Stunden Unterricht und verbringen ihre Zeit stattdessen in der Natur, mit Freunden und kreativen Beschäftigungen. Es gibt keine Privatschulen in Finnland, so dass die Kinder aus allen sozialen Schichten zusammen lernen müssen. Fazit im Film: „Jugendliche verlassen die Schule als glückliche und sozial eingestellte Persönlichkeiten, die andere Menschen und sich selbst respektieren.“

Moore setzt seinen Kulturraub in Slowenien fort, wo man kostenlos studieren kann. Während die Privatschulen in den USA schon extrem teuer sind, müssen sich die Jugendlichen auch noch oft auf sehr viele Jahre verschulden, wenn sie zur Universität gehen. In Slowenien können sie ohne diese Art von Schulden ins Leben gehen. Moore rechnet nach: in vielen europäischen Ländern sind die Steuern zwar höher als in den USA. Sie sind aber überschaubar. Die Schulden, die Amerikaner für ihre Bildung ausgeben müssen, gehen ins Uferlose, und so zahlt man in den USA unterm Strich wesentlich mehr.

Auch in Deutschland wird der einmarschierende Moore freundlich begrüßt. Er besucht u.a. den Geschichtsunterricht, in dem es um den Holocaust geht, und berichtet von den Stolpersteinen. Das sind Messingplatten mit den Namen von Deportierten, die vor ihrem Haus in den Gehsteig eingelassen werden. Moore wünscht sich, dass auch die Amerikaner sich ihrer Geschichte stellen, deren Wohlstand aus dem Genozid an den Indianern und durch die Sklaverei hervorgegangen ist. An den Überresten der Berliner Mauer bewundert er, was eine entschlossene Zivilgesellschaft alles erreichen kann.



Michael Moore an den Überresten der Berliner Mauer | © Dog Eat Dog Film


In Portugal darf man schon seit Längerem Drogen konsumieren und besitzen. Die Kriminalitätsrate ist seitdem gesunken. Moore weiß, dass in den USA insbesondere Schwarze wegen Drogendelikten eingesperrt werden. Sie verlieren dadurch ihr Wahlrecht, was den Konservativen nützt, und arbeiten im Knast zu Billiglöhnen. „Parallel ist ein moderner Sklavenmarkt entstanden, von dem die US-Wirtschaft profitiert.“ - Moore bewundert auch das Justizsystem in Norwegen. Die Todesstrafe ist abgeschafft und Haftstrafen auf 21 Jahre beschränkt. Das gilt auch für Anders Behring Breivik, der 2011 u.a. 69 Jugendliche auf der Insel Utoya ermordete. Auch die Haftbedingungen sind selbst im Hochsicherheitsgefängnis sehr human. Die Insassen haben helle Zellen und eine eigenes Bad. Während die Rückfallrate in Norwegen bei 20 Prozent liegt, beträgt sie in den USA 80 Prozent.

Vigdus Finnbogadottir !?! Die Isländerin war die weltweit erste Frau, die zur Regierungschefin gewählt wurde. Das war 1980 und hatte zur Auswirkung, dass in Island auch relativ viele Frauen in Führungspositionen arbeiten. Nach der Bankenkrise 2008 retteten die Isländer die Banken NICHT und sperrten die kriminellen Banker ein. Island hat sich inzwischen wirtschaftlich erholt und steht besser da als vorher.

Michael Moores Bilanz überrascht dann, denn viele der Errungenschaften, die er in Europa umgesetzt fand, stammen ursprünglich aus den USA. „Das sind unsere Ideen“, konstatiert er, „wir müssen sie nur umsetzen.“

*

Wir haben den Inhalt des Film in groben Zügen nacherzählt, obwohl die europäischen Errungenschaften von Moore durch die rosarote Brille gesehen werden. Das ist der Komödie geschuldet, denn Moore überzeichnet seinen Film so sehr, dass er richtig lustig ist. Aber da verraten wir an dieser Stelle doch nicht alles.

Gesunde Ernährung, freie Bildung, menschenwürdiger Strafvollzug und Arbeitnehmerrechte sind in Europa noch relativ weitverbreitet. Wenn man genau hinschaut, wird schon deutlich, wie immens schlecht es den Menschen in den USA geht. Die nicht-staatlichen Schulen sind teuer, durch Hypotheken und Studiengebühren entsteht eine enorme Verschuldung, die dazu führt, dass die Amerikaner oft mehrere Jobs annehmen müssen, was auch noch als Tugend verkauft wird. Es besteht dort eine weitverbreitete Schulden- und Lohnsklaverei. Bei aller Heiterkeit ist das der Wermutstropfen in Moores Komödie.

Wenn wir nicht aufpassen, wird es uns durch TTIP, TiSA und CETA genau so ergehen, wenn sich die europäische Demokratie selbst abschafft und Konzernen und Kartellen die Macht überlässt. Im Gegensatz zu Ihnen, Mr. Moore, wissen offensichtlich viele unserer Politiker die europäischen Werte und Errungenschaften nicht so zu schätzen. Wenn TTIP trotz massiver Widerstände Wirklichkeit werden sollte, dann wird Ihre optimistische Sicht Europas wehmutsvolle Geschichte sein. Danke, Mr. Moore, dass Sie dieses wunderbare Zeitdokument noch rechtzeitig gedreht haben - als Beleg für das goldene Zeitalter, das es vor TTIP dereinst einmal gegeben hat. Es sei denn...


Helga Fitzner - 16. Februar 2016
ID 9143
Weitere Infos siehe auch: http://wheretoinvadenext.com


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EUROPÄISCHES JUDENTUM IM FILM

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