Erichs Asche
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Sven Prietz in Theresia Walsers Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Bewertung:
Was wäre geschehen, wenn Prominente, die zur gleichen Zeit und möglicherweise sogar am gleichen Ort gelebt haben, einander aber nie begegnet sind, auf einander getroffen wären? Die literarische Fantasie kann leisten, was die Wirklichkeit verweigert hat. Tom Stoppard ließ in Travesties James Joyce, Tristan Tzara und Lenin in Zürich auf einander treffen, Peter Henisch erfand in seinem Roman Vom Wunsch, Indianer zu werden eine Begegnung zwischen Franz Kafka und Karl May.
Theresia Walser hat in dem Stück mit dem umständlichen Titel Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel drei Diktatorengattinnen zusammengebracht: Margot Honecker, Imelda Marcos von den Philippinen und Leila Ben Ali aus Tunesien. Sie sitzen neunzig Minuten lang vor – also hinter – einem geschlossenen Vorhang und bereiten sich, betreut von einem Übersetzer, auf einen Bühnenauftritt vor. Auch dieser Übersetzer, der, wenn, was er übersetzen soll, unbequem ist, seine eigenen Texte erfindet, ist kein origineller Einfall, aber Theresia Walser beutet ihn geschickt aus. Er selbst erklärt: „Ein guter Übersetzer ist immer einen Satz voraus.“
Das kammerspielartige Konstrukt freilich ist wenig bühnenwirksam, erst recht für die große Bühne. Burkhard C. Kosminski, auf Theresia Walser abonniert, hat es bereits 2013 in Mannheim uraufgeführt und jetzt zur Auffüllung seines Eröffnungsprogramms als neuer Intendant in Stuttgart wiederaufgenommen. Als Farce ist es zu wenig komisch, als Polittheater zu wenig tiefgründig. Bleibt das Vergnügen an den darstellerischen Leistungen von Christiane Roßbach als Frau Margot, Anke Schubert als Frau Imelda und Sven Prietz, der wie ein kleiner Günther Jauch aussieht, als Übersetzer, neben denen allerdings Paula Skorupa als Frau Leila mit halb geöffnetem Mund und fuchtelnden Armen chargiert, als verböte ihr die Tendenz zur Karikatur, Gesten und Gesichtsausdrücke zuende zu führen. Der Titel des Stücks entstammt einem Gedicht von Muammar al-Gaddafi, das sie wie im Schülertheater vortragen darf.
Am Schluss kommt Bewegung in die Talkshow. Erichs Asche wird aus der Urne, die Frau Margot mit sich herumträgt, verschüttet und dann in eine Tasche gekehrt. Komik der Pietätlosigkeit. Auch dieser Einfall ist nicht neu. Bei Georg Kreisler heißt es: „Wer warf seine Zigarettenasche / In die Urne überm Sofasitz?“, worauf sich, komischer als bei Walser und jedenfalls sehr viel konzentrierter, „Onkel Fritz“ reimt.
Bei Theresia Walser räsoniert Margot Honecker am Schluss: „Es kommt der Zeitpunkt, da wird mein Mann wieder gebraucht.“ Gebraucht wird dieser gehobene Boulevard nicht unbedingt, aber für eine Abendunterhaltung reicht er allemal.
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Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel am Schauspiel Stuttgart | Foto (C) Björn Klein
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Thomas Rothschild - 30. November 2018 ID 11073
ICH BIN WIE IHR, ICH LIEBE ÄPFEL (Schauspielhaus, 29.11.2018)
Inszenierung: Burkhard C. Kosminski
Bühne: Florian Etti
Kostüme: Ute Lindenberg
Musik: Hans Platzgumer
Licht: Nicole Berry
Dramaturgie: Ingoh Brux
Mit: Anke Schubert (Frau Imelda), Christiane Rossbach (Frau Margot), Paula Skorupa (Frau Leila) und Sven Prietz (Gottfried)
Premiere am Schauspiel Stuttgart: 23. November 2018
Weitere Termine: 30.11. / 03., 09., 11., 18., 31.12.2018 // 05., 15., 16., 30.01.2019
Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspiel-stuttgart.de/
Post an Dr. Thomas Rothschild
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Ich bin wie ihr, ich liebe Äpfel (Renaissance-Theater Berlin, 09.10.2014)
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