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Akute Ignoranz einer untereinander zerstrittenen Linken vor dem Erstarken rechter Kräfte



Italienische Nacht von Ödön von Horváth in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Arno Declair

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Für Schaubühnenintendant Thomas Ostermeier trägt die kriselnde Linke nicht nur in Deutschland eine Mitschuld am Erstarken rechter, populistischer Kräfte in Europa. Mit seiner Adaption von Didier Eribons autobiografischem Roman Rückkehr nach Reims hat er bereits zu Beginn des Jahres versucht, die Theorien des französischen Soziologen vom Niedergang der französischen Linken und dem Abdriften einst linker Arbeiter in den ländlichen Gebieten zum Front National auf Deutschland zu übertragen. Eine zerstrittene Linke war schon einmal in der deutschen Geschichte nicht in der Lage den drohenden Faschismus zu verhindern. Der 1zu1-Vergleich der aktuellen Situation, bei der sich die AfD im Wähleraufwind befindet und die SPD in einem andauernden Sinkflug, mit der Weimarer Republik verbietet sich allerdings in mancherlei Hinsicht.

Ganz von der Hand zu weisen ist die herrschende Hilflosigkeit der links-liberalen Parteien vor einer Bedrohung der Demokratie angesichts der Wahlerfolge der AfD aber nicht. 1931 hat Ödön von Horváth in seinem Volksstück Italienische Nacht das Szenario einer unfähigen und untereinander zerstrittenen Sozialdemokratie auf recht satirische Art beschrieben. Sein Lustspiel handelt von einem republikanischen Schutzbund unter Führung des sozialdemokratischen Stadtrats einer bayrischen Kleinstadt, der sich von auf den Straßen aufmarschierenden Faschisten eine für den Sonntagabend im hiesigen Wirtshaus geplante „Italienische Nacht“ nicht verderben lassen will. „Von einer akuten Bedrohung der demokratischen Republik kann natürlich keineswegs gesprochen werden.“ heißt es da vollmundig und auch, dass die Republik ruhig schlafen könne. Man zieht es vor weiter Karten zu spielen und schließt den zu radikaleren Gegenmaßnahmen aufrufenden Junggenossen Martin, der die „Italienische Nacht“ der arglosen Genossen sprengen will, einfach aus dem Schutzbund aus.

Viel zu spät erkennen die sich gegenseitig zerfleischenden Genossen, dass das Wirtshaus von den Faschisten belagert wird, die sich für eine Schändung des Kriegerdenkmals durch Martins Kameraden rächen wollen. Horvath geißelt in seinem Stück politische Phrasendrescherei, die Ignoranz gegenüber der gesellschaftlichen Realität und das Spießbürgertum der kleinstädtischen Linken. Bereits im März dieses Jahres sollte Ostermeiers aktualisierte Fassung des Stücks an der Schaubühne herauskommen. Durch eine Krankheit im Ensemble musste die Premiere aber auf den November verschoben werden. Erst jetzt nach den letzten Landtagswahlergebnissen u.a. auch in Bayern entfaltet trotz der grünen Stimmengewinne Horvaths prophetische Analyse linker Harmlosigkeit seine aktuelle Brisanz.

Thomas Ostermeier hat sich für seine Inszenierung von Nina Wetzel eine originalgetreue Kopie eines bayrischen Landgasthauses auf die Drehbühne bauen lassen. Von der Eingangsseite sieht man grauen Putz und Fenster mit Gardienen. Auf der anderen Seite ist das Haus offen und zeigt einen piefig holzmöblierten Gastraum, in dem die SPD-Ortsgruppe unter Stadtrat Ammetsberger (Hans-Jochen Wagner) Karten spielend den Abend plant und sich von den draußen „Hier regiert der nationale Widerstand“ brüllenden Neonazis trotz der scharfen Proteste des Linksaußen Martin (Sebastian Schwarz) nicht aus der Ruhe bringen lassen will. Der Gastwirtin Lehninger (Traute Hoess) ist allerdings „sauwurscht, wer ihre Wurst zammfrißt“. Sie hat die Kneipe am Nachmittag an die Nazis verpachtet, was kurz für etwas Unmut bei den Sozis sorgt, deren Feierlaune aber auch nicht trübt.

In dieser ganz und gar naturalistischen Szenerie entwickelt Ostermeier seine provokant wirken sollende ländliche Fabel von der Uneinigkeit rivalisierender Linksdemokraten, wobei Horvath da schon die sich bekämpfende SPD und KPD im Auge hatte, man hier in der Schaubühne aber nur an eine sich selbst zerlegende bürgerliche Sozialdemokratie denken muss. Die Charaktere sind bis auf den Lederjacken-Proletarier Martin fast ausschließlich Angestellte, Mittelständler und Intellektuelle wie der Künstler Karl (Christoph Gawenda), der wegen seiner „Weibergeschichten“ u.a. mit der unpolitischen Leni (Veronika Bachfischer) bei Martin als unzuverlässig gilt. Es wirkt da oft schon richtig niedlich, wie sich der alte Horvath und der um Aktualität bemühte Ostermeier im Weg stehen.

Neben dem ziemlich großspurigen aber feigen Stadtrat, der öffentlich seine Frau Adele (Marie Burchard) runterputzt, und „seinen Marx“ an ein Stück Land aus einer Zwangsversteigerung verkauft hat, sind da noch der mit Freud und Nietzsche glänzende Staatsobersekretär Betz (Lukas Turtur) und die beiden, wie man bayrisch sagen würde, Spezl des Landrats, Engelbert (Johannes Flaschberger) und Kranz, den David Ruland als etwas tumben, Zoten reißenden und berlinernden Ex-Ossi spielt. Mit dieser Besetzung aus Klapskopf, Klischee-Hansel und Politiker-Karikatur will Ostermeier den Sieg der Rechten begründen. Die sieht man hier nur im schwarzen Rudel (Statisterie), das zu Nazipunk abhottet und „Deutschland erwache“ brüllt.

Als namenloser Faschist im adretten Poloshirt tritt Laurenz Laufenberg auf und widerlegt den Stadtrat, der dämlich vom mangelnden ideologischen Unterbau der Reaktion schwafelt, mit den üblichen rechten Thesen von einer hirnlosen Migrationspolitik, vom bösen Establishment, entfesselten Finanzkapital und globalen Welthandel. Dass diese Schlagwörter durchaus auch links anschlussfähig sind, verdeutlicht nur noch mehr das Dilemma linken Zerwürfnisses. Mit diesen recht unaufgeregt vorgetragenen Rechts-Parolen versucht der Faschist bei Anna (Alina Stiegler) zu landen. Martin hat seine Freundin auf den „politischen Strich“ geschickt, um die Vorhaben der Nazis auszuspionieren, was letztlich in einer Vergewaltigung durch den adretten Faschisten auf dem Wirtshausklo endet.

Nachdem Martin mit seinen Kumpanen die Santa Maria und Azzurro singende SPD-Geselligkeit gesprengt und auch noch einen linken Magdeburger Konkurrenz-Provokateur (Konrad Singer) zum Teufel gejagt hat, nimmt der von den Nazis belagerte Stadtrat schließlich seinen Hut. Im Hintergrund skandiert die rechte Meute „Volksverräter“. Hier beendet Ostermeier vor dem eigentlichen Horvath‘schen Finale seine Parabel von der Uneinigkeit der Linken und dem Untergang der Demokratie. Das ist dann schon stark vereinfachend und überzeugt nur bedingt. Für diese Erkenntnis hätte es auch nicht den Gang in die Schaubühne bedurft. Dieser Abend ist für eine satirische Komödie zu lahm geraten und für ernsthaftes Diskurstheater insgesamt zu schwach.



Italienische Nacht in der Schaubühne am Lehniner Platz | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 29. November 2018
ID 11071
ITALIENISCHE NACHT (Schaubühne am Lehniner Platz, 27.11.2018)
Regie: Thomas Ostermeier
Bühne: Nina Wetzel
Kostüme: Ann Poppel
Musik: Nils Ostendorf
Dramaturgie: Florian Borchmeyer
Licht: Urs Schönebaum
Besetzung:
Stadtrat ... Hans-Jochen Wagner
Martin ... Sebastian Schwarz
Karl ... Christoph Gawenda
Leni ... Veronika Bachfischer
Anna ... Alina Stiegler
Wirtin ... Traute Hoess
Adele ... Marie Burchard
Kranz ... David Ruland
Betz ... Lukas Turtur
Engelbert ... Johannes Flaschberger
Ein Kamerad aus Magdeburg ... Konrad Singer
Faschist ... Laurenz Laufenberg
Genossen von Martin ... Juri Padel, Andrej Reimann und Benjamin Schröder
Erste Prostituierte, Gattin ... Annedore Bauer
Zweite Prostituierte, Gattin ... Inga Wolff
Kind ... Lioba Jacoby
Musiker: Martin Klingeberg, Antonio Palesano und Thomas Witte
StatistInnen: Sandra Bourdonnec, Sophia Fabian, Marcel Frank, Hannes Fritzer, Lars Hartje, Christian Kassubeck, Konstantin Klemm, Andreas Klinger, Pia Koch, Paul Löwenstein, Michael Matuszewski, Marvin Münstermann, Michael Naroditski, Fabrice Riese, Marta Sroka, Iva Topolovec und Theresa Tripp
Premiere war am 23. November 2018.
Weitere Termine: 31.12.2018 // 04.-08.01.2019


Weitere Infos siehe auch: http://www.schaubuehne.de/


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