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Premierenkritik

Matthes & Koch



Don Quijote am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

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Ulrich Matthes und Wolfram Koch gelten zurecht als eines der Traum-Duos des deutschsprachigen Theaters. In der Regie von Jan Bosse spielten die beiden bereits als Hamm und der blinde, ihn terrorisierende Clov die Rollen Diener und Herr in Becketts Endspiel. Nun, zwölf Jahren später, stehen sie wieder gemeinsam auf der Bühne des Deutschen Theaters Berlin. Matthes als fahrender Ritter Don Quijote von der Mancha, hier zwar nicht gerade blind, aber als weltberühmte Romangestalt des Spaniers Miguel de Cervantes mit einer bekanntlich doch ganz eigenen Sicht auf die Realität ausgestattet, und Koch als der ihn begleitende Knappe Sancho Panza, etwas tumb, dafür aber ausgerüstet mit einer gewissen Bauernschläue. Der Dramatiker Jakob Nolte hat Cervantes Roman in einer Übersetzung von Susanne Lange textlich überarbeitet, um ihn theatertauglich zu machen. Noltes Fassung feierte im Juli dieses Jahres in einer Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen im dortigen Theater am Kornmarkt seine Erstaufführung.

Auch wenn es immer wieder nur Niederlagen und blutige Prügel hagelt und sein Knappe ihn auf seine Irrtümer hinweist, ist der „Ritter von der traurigen Gestalt“, wie sich Don Quijote auf Vorschlag Sancho Panzas bald selbst nennt, in seinem Tatendrang kaum zu bremsen. Es geht natürlich gegen das Unrecht, die Mächtigen, aber auch eine sich breit machende Trägheit und natürlich um die Freiheit der Fantasie alles behaupten zu können, selbstbestimmt zu denken gegen die einen hindernden Gedanken der anderen, auch wenn diese Gedanken anderen Gewalt antun könnten. So imaginiert sich Don Quijote in eine andere Welt, in der in seiner Vorstellung Windmühlen zu Riesen und Schafherden zu Armeen mutieren, oder ein Schloss auch schon mal in einer kleinen Sackgasse stehen kann.

*

Die Kraft der Imagination ist bekanntlich auch das, was das Theater antreibt. So lässt Jan Bosse seinen beiden Darstellern auch freien Lauf und verlässt sich ganz auf deren Schauspielkunst. Aus Worten Bilder entstehen zu lassen, ist die große Kunst des Theaters, um die es hier geht. Cervantes Text gäbe das durchaus her. Jakob Noltes halbmoderne Überschreibung wechselt etwas behäbig vom Prosa-Ton in den Dialog und erzählt so die Geschichte zweier Träumer, die aus unterschiedlichen Motiven aneinander hängen wie zwei große Kinder im Spiel. Das sich hier mal poetisch, anrührend melancholisch, dann wieder albern mit viel Situationskomik und einem sich wiederholendem Umfall-Slapstick Sancho Panzas vor der Pause doch etwas zu sehr in die Länge zieht. Nolte will hier auch mal die wenigen Frauen im Stück thematisieren, was leider verpufft, und schreibt dem zweiteiligen Roman gleich noch die Rezeption und Reaktionen seiner Zeit mit ein.

Die Bild- und Nebelmaschine, mit der Wolfram Koch alles immer wieder sanft umwölkt, läuft auf Hochtouren. Ja, hier wird viel Qualm gemacht und auch erzählt. Wobei Matthes den idealistischen Schwafler gibt und Koch als Stichwortgeber mal widerspricht, dann wieder aufmunternd beisteht. Dabei stehen den beiden Recken auf fast leerer Spielwiese (Bühne: Stéphane Laimé) nur ein großer Holzcontainer und statt Pferd Rosinante ein Supermarkt-Einkaufswagen zur Fortbewegung zur Verfügung. Kostümbildnerin Kathrin Plath hat Ulrich Matthes mit einem weißes Nachthemd über dem ein Hauch von Kettenhemd hängt und einer grauen Jogginghose ausgestattet. Auf dem Kopf trägt er einen mit Blumen bekränzten schäbigen Helm aus Alupapier. Auch Wolfram Kochs Kostüm zielt mit hautengen Jeansleggins und buntem Hemd, das später zum spanischen Flamenco-Kleid der Dulcinea von Toboso wird, ins Lächerliche. Dazu trägt er einen ständig verrutschenden Fatsuit.

Die beiden geben sich redlich Mühe, dem Text mit Wort und Spiel Leben einzuhauchen. Da schwenkt Matthes eine riesige Teleskopstange als Lanze gefährlich über den Köpfen des Publikums und zieht später auch Koch mit einem Seil durch die Sitzreihen. Ein herrlich jaulendes Ständchen gibt Don Quijote ohne Hosen von Sancho Panza am sich verselbständigen Dudelsack begleitet. Zwei tragikomische Clowns, die nicht voneinander lassen können, selbst als Don Quijote in den vom hilfreichen Knappen zugeführten Bäuerinnen seine Angebetete Dulcinea nicht erkennen will und das versprochene Eiland für Sancho Panza bei aller „Aventüre“ nicht herausspringt. Auch wenn diese „Ritterei“ nichts als Lüge und Hirngespinst ist, wie Don Quijote am Ende selbst zugibt, lässt man sich hier doch gern mal für 2,5 Stunden von den beiden bestens aufgelegten Schauspielern bezaubern. Für eine tiefergreifende Gegenwartsanalyse reicht die etwas weitschweifige Text-Vorlage allerdings nicht.



Don Quijote am Deutschen Theater Berlin | Foto (C) Arno Declair

Stefan Bock - 13. Oktober 2019
ID 11744
DON QUIJOTE (Deutsches Theater Berlin, 12.10.2019)
von Jakob Nolte nach Miguel de Cervantes

Regie: Jan Bosse
Bühne: Stéphane Laimé
Kostüme: Kathrin Plath
Musik: Arno Kraehahn
Licht: Robert Grauel
Dramaturgie: David Heiligers
Mit: Ulrich Matthes (als Don Quijote) und Wolfram Koch (als Sancho Panza)
Premiere im Theater am Kornmarkt Bregenz: 20. Juli 2019
DT-Premiere war am 12. Oktober 2019.
Weitere Termine: 13., 14., 20., 22.10. / 03., 30.11. / 26.12.2019
Koproduktion mit den Bregenzer Festspielen


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


Post an Stefan Bock

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