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Premierenkritik

Schwarze

Fahnen


DIE DÄMONEN am
Münchner Vokstheater


Carolin Knab und Jakob Immervoll in Die Dämonen am Münchner Volkstheater | Foto (C) Gabriela Neeb

Bewertung:    



Alle handelnden Figuren erscheinen schon zu Beginn versammelt auf der nackten, schwarzen Bühne (Stefanie Grau). Dunkel bewegen sie sich in zerhackter Slow-motion nach vorne und pflanzen riesige, schwarz-glänzende Fahnen auf. Anarchisten und Revolutionäre werden sie schwingen, große Windmaschinen werden sie blähen, flattern und knattern lassen. Im Verlauf der Inszenierung verwandeln sie die Bühne in ein rauchendes, loderndes Inferno, verbreiten Furcht und Schrecken, Terror und Tod. Und sie hüllen all diejenigen ein, die auf ihr zum Sterben verurteilt sind: das schwarze Banner - Leichentuch der Geschichte.

Böse Geister, „Dämonen“ haben von Russland Besitz ergriffen. Russland ist „ein zu großes Missverständnis“, als dass es die herrschende Generation der Besitzenden hätte „aufklären“ können. Denn die hat nun mal keine Meinung, „weil man nur eine Meinung haben kann, wenn man arbeitet und das haben wir nie getan“ - konstatiert die ältere, feudale Generation, repräsentiert vom Hauslehrer Stepan Werchowenskij. Dafür schwirren jede Menge abstrakter, vager Ideen durch den leeren Raum: Atheismus, Nationalismus, Sozialismus: „Die Welt als Wille und Vorstellung“ ruft der Chor immer wieder frei nach Schopenhauer. Diese düstere Welt ist voll von ideologischen Phrasendreschern („Das ist interessant, darüber kann man den Verstand verlieren.“). Diffuse Unzufriedenheiten nähren den Fanatismus einer radikalen Jugend unter der Führung des Nihilisten Pjotr Werchowenskij, Stepans Sohn. Die Lust an der Destruktion verbindet ihn mit dem übersättigten und passiven Erben Stawrogin, der aus dem weltmännischen Westen ins dörfliche Russland zurückgekehrt ist. „Ich hab sie mir ausgedacht, sobald ich Sie sah“, bekennt Pjotr und erhofft sich von ihm die Utopie. Vergeblich. Ein Stawrogin kann sich nur umbringen.

„Il faut confronter les idées vagues avec des images claires.“ Dieses Zitat vom Jean-Luc Godard stellt der junge und hocherfolgreiche Regisseur Felix Hafner (2017 Nestroy-Theaterpreis) seiner Textbearbeitung des 800-Seiten-Romans Die Dämonen (Übersetzung Swetlana Geier) voran. Fjodor Dostojewskij hat dieses vielschichtige und komplexe Werk 1871 geschrieben. Es beschwört in einer überreichen Polyphonie von Stimmen die Dämonen der Revolution und den bösen Geist der liberalen westlichen Zivilisation, Gottlosigkeit und Materialismus. Davon bleiben nur Gedankenfetzen übrig, die Schauspieler fungieren vor allem in der langen ersten Hälfte der dreistündigen Aufführung als Träger von Thesen, die in dieser Verkürzung weitgehend unverständlich bleiben. Zudem verwirrt die Inszenierung durch Doppelrollen und die Besetzung zweier Männerrollen mit Frauen, das Opfer Kirillow (berührend: Mara Widmann) und den Anführer Werchowenskij (brillant und intensiv: Pola Jane O´Mara). Als ob es nicht schon schwierig genug wäre, sich in den vielen Vor-, Vaters- und Nachnamen zurechtzufinden! Ein „klares Bild“ in Sinne von Godard bietet nur die Bühne.

Der zweite Teil der Inszenierung nimmt Fahrt auf, man versteht manches nachträglich und es gelingt, Dostojewskijs Vorahnung der totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts in beklemmenden Szenen deutlich zu machen. Nur wer sich nicht gleichschalten läßt, bleibt am Leben. Die Wahrheit hat eine kleine Elite gepachtet, ansonsten gibt’s Fake news.

Was allerdings die verzweifelte Hauptfigur Stawrogin (cool: Silas Breiding) mit aktuellen Befindlichkeiten zu tun hat, bleibt rätselhaft. Seine breit ausgestellte Geschichte, wie er aus einer Sauflaune heraus eine Verrückte heiratet, ihren Tod nicht verhindert und ein 12-jähriges Mädchen in den Selbstmord treibt, nur um den „Rausch des quälenden Bewusstseins meiner Gemeinheit“ zu genießen, dieser Stawrogin erinnert eher an einen de Sade. Das sind wohl kaum die Nöte der heutigen Jugend.

Wie sagte gegen Ende der Hauslehrer Werchowenskij (Jörg Lichtenstein) sinngemäß in einer witzigen Impro-Szene? "Schon blöd, wenn man als einziger älterer Darsteller engagiert ist! So viel Dialog gekürzt. Von einem jungen Regisseur, in Klammer 26, der sich nur für die Jugend interessiert.“

Hätte er doch!



Die Dämonen am Münchner Volkstheater | Foto (C) Gabriela Neeb

Petra Herrmann - 26. Oktober 2018
ID 10993
DIE DÄMONEN (Münchner Volkstheater, 25.10.2018)
Regie: Felix Hafner
Bühne: Stefanie Grau
Kostüme: Slavna Martinovic
Musik: Clemens Wenger
Choreografie: Dunja Jocic
Dramaturgie: Rose Reiter
Besetzung:
Nikolaj Wsewolodwitsch Stawrogin ... Silas Breiding
Pjotr Stepanowitsch Werchowenskij ... Pola Jane O‘Mara
Iwan Pawlowitsch Schatow ... Jakob Immervoll
Alexej Nilytsch Kirillow ... Mara Widmann
Liputin ... Jonathan Hutter
Wirginskij / Hauptmann Lebjadkin ... Jonathan Müller
Schigaljow ... Harry Schäfer
Lisaweta Nikolajewna Tuschina / Marja Timofejewna Lebjadkina ... Carolin Knab
Stepan Trofimowitsch Werchowenskij ... Jörg Lichtenstein
Julija Michajlowna von Lembke / Fedjka ... Ensemble
Premiere war am 25. Oktober 2018.
Weitere Termine: 30., 31.10. / 04., 14., 18.11. / 01.12.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.muenchner-volkstheater.de


Post an Petra Herrmann

petra-herrmann-kunst.de

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