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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Rasender

Stillstand



Hanna Scheibe und Thomas Gräßle in Dostojewskijs Der Spieler im Residenztheater München | Foto (C) Matthias Horn

Bewertung:    



In stetig wachsender Menge hieven [auch Münchens] große Theater Prosa-Texte auf ihre Bühnen. Dabei wagt man sich auch an dickleibige Schwergewichte: Tolstojs Anna Karenina etwa wurde im Volkstheater erfolgreich dramatisiert, Joseph Roths Hiob in den Kammerspielen. Und nun also Dostojewskijs Der Spieler im Residenztheater - ein schmaler, atemlos rasant geschriebener Roman. Das hätte, auch deshalb, gut gehen können. Der rasende Stillstand dieses dreistündigen Abends jedoch zog sich hin.

Dostojewskij schrieb seinen Spieler in nur 26 Tagen, selbst spielsüchtig und schwer verschuldet. Seinem Verleger, der ihn mit 3.000 Rubeln rettete, musste er zusichern, dafür einen neuen Roman zu liefern. Sollte der nicht bis zum Stichtag 01.01.1866 fertig werden, müsse er ihm die Rechte aller vollendeten und noch folgenden Werke innerhalb der nächsten 9 Jahre abtreten. Dostojewskij schafft es pünktlich, wird weltberühmt und seine Spielsucht überwinden. Der Spieler ist seine literarische Teufelsaustreibung.

*

Die große Dreh-Bühne des Residenztheaters hat Harald B. Thor mit rohen Brettergängen auf einem Stahlgerüst überbaut. Dazwischen Abgründe, darunter Müll. In der Mitte ein Spieltisch mit stummen Spielern und Croupiers, darüber ein glitzernder Leuchter. Die Kugel dreht sich ununterbrochen, mit ihr die gesamte Szenerie. Auftritte kreisen nach hinten, gleichzeitig schieben sich andere nach vorne. An der Rampe schnipsen und singen die Spieler, die gerade nicht dran sind, immer wieder ein nerviges Schubidu, getrieben, freudlos.

Das Drehmoment, ein überzeugendes, zentrales Symbol. Der junge Hauslehrer Alexej (fulminant gehetzt: Thomas Lettau) steht im Mittelpunkt der Geschichte. Er wird beinahe selbst zur Spielkugel, so springt er wie beim Roulette zwischen den einzelnen Fächern ruhelos hin und her. Alexej ist mit seinem Arbeitgeber, dem verschuldeten russischen General (großartig tragikomisch: Thomas Loibl), in den deutschen Kurort Roulettenburg gekommen. Alle warten dort auf das viele Geld einer Erbtante der Familie. Aber die Dame beliebt nicht zu sterben. Inzwischen macht der General Schulden und verfällt der geschäftstüchtigen Kokotte Blanche. Alexej aber liebt Polina, die Stieftochter des Generals, die ihn auch lieben könnte, wäre sie nicht von einer Affäre mit einem Marquis abhängig, der dem General Geld geliehen hat.

Jetzt könnte etwas passieren, aber es wird endlos räsoniert: Klischees über den Nationalcharakter der Deutschen (kreuzbrav), Franzosen (formvollendet) und Russen (genial, aber versoffen). Dann endlich der Höhepunkt der Inszenierung. Die Erbtante Antonida (hinreißend: Charlotte Schwab) erscheint quicklebendig, kauft Polina und Blanche je einen Fummel, gönnt aber dem General nicht einen Rubel. Klarsichtig und sarkastisch seziert sie die Gesellschaft und ihr Spiel ums Leben, bevor sie sich selbst an den Roulettetisch setzt und ein Vermögen verliert. Wie sie selbst zur Süchtigen wird, wie sie alle Ratschläge Alexejs, vorsichtig zu sein, in den Wind schlägt, erlebt man mit auf einer Videoprojektion, die jedes Zucken der Wimper zeigt. Spannung pur. Großes Kino, pardon: Theater!

Nach der Pause - die Erbtante ist zurück in Moskau - steht die inzwischen abgetakelte Dreh-Bühne vor der müde roten Brandmauer still. Ein wenig Ruhe für rare Momente von ein bisschen Liebe, bevor sie sich hin und wieder erneut bewegt. In die andere Richtung. Alexej, der glaubt, er könne gewinnen, wenn er nur für sich selbst spiele, verliert wie alle anderen – sein Geld und sich selbst. Auch dieser Teil dauert trotz schöner Momente einfach zu lange.

Zurück bleibt ein ermüdetes Publikum. Viel Beifall für die Darsteller, deutliche Buhs für Regisseur Andreas Kriegenburg.




Thomas Lettow als Der Spieler am Residenztheater München | Foto (C) Matthias Horn

Petra Herrmann - 15. Dezember 2018
ID 11103
DER SPIELER (Residenztheater München, 14.12.2018)
Regie: Andreas Ktriegenburg
Bühne: Harald B. Thor
Kostüme: Andrea Schraad
Licht: Tobias Löffler
Dramaturgie: Angela Obst
Mit: Thomas Lettow, Thomas Loibl, Lilith Hässle, Hanna Scheibe, Charlotte Schwaab, Philip Dechamps, Thomas Grässle und Arnulf Schumacher
Premiere war am Bayerischen Staatsschauspiel: 14. Dezember 2018
Weitere Termine: 16., 21.12.2018 // 03., 13., 19.02.2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.residenztheater.de


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petra-herrmann-kunst.de

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