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Online-Premiere

Ovid &

Kompliz*innen



Metamorphosen [overcoming mankind] an der Volksbühne Berlin | Foto (C) Julian Röder

Bewertung:    



Im Reigen der coronabedingt ins Internet abgewanderten Theaterinszenierungen brachte nun auch Claudia Bauer ihre Fassung von Ovids Metamorphosen an der Berliner Volksbühne als Online- Premiere heraus. Die Zeit drängt, neigt sich die kurze Intendanz von Klaus Dörr doch dem Ende zu. Im Herbst wird René Pollesch das Haus am Rosa-Luxemburg-Platz übernehmen. Ob bis dahin nochmal live vor Publikum gespielt werden kann, bestimmen weiterhin sogenannte Fall-Inzidenzen und Hygienekonzepte. Unter diesen Bedingungen Kunst für Publikum zu machen, ohne das Theater gänzlich ins Internet abzudrängen, ist sicher ein Balanceakt mit vielen Kompromissen.

Die Voraussetzungen sind also nicht die allerbesten, das Spielen mit menschlichen Verwandlungen, um die es ja in Ovids Metamorphoseon libri (dt.: Bücher der Verwandlungen) geht, aber ureigentliches Schauspielgeschäft. Die 250 Verwandlungsgeschichten nach mythologischen Vorbildern, die der römische Dichter Ovid Anfang des 1. Jahrhunderts in 15 Büchern in Verse fasste, sind also immer mal wieder Ausgangsstoff für die Auseinandersetzung des Theater mit sich und der Gegenwart. So hat auch Claudia Bauer nur ein paar von Ovids Geschichten nach besonderem Muster ausgewählt. Sie handeln zumeist von männlicher Hybris und der Ausübung von Macht und sexueller Gewalt gegen Frauen, aus der sich diese selbst oder mit der Hilfe von Göttern durch eine Verwandlung in Pflanzen oder Tiere zu befreien versuchen. Auch die Götter selbst nutzen die Fähigkeit der Verwandlung in sexueller Absicht. Ovids Bücher enthalten aber auch eine Schöpfungsgeschichte der Erde mit der Erschaffung unterschiedlicher Zeitalter, an deren Ende, dem „Goldenen Zeitalter“, die Menschen sich als böse erweisen und von Gott Jupiter in einer Sintflut vernichtet werden.

Chaos, Krise, Gewalt gehören seit jeher zur Menschheitsgeschichte. Zeit den als alternativlos geltenden Kreislauf zu durchbrechen. Claudia Bauer nennt ihre Inszenierung daher Metamorphosen [overcoming mankind] nach Ovid & Kompliz*innen. Bei diesem verwandlungsintensiven Spiel zur Überwindung der Menschheit nimmt die Regisseurin neben Ovid also auch weitere AutorInnen wie Margaret Atwood (Gedichte), Thomas Köck (Klimatrilogie), Peter Licht (Lob der Realität), John von Düffel (Die Troerinnen/ Hekabe nach Euripides), Donna Haraway (Unruhig bleiben) sowie Originalbeiträge des Ensembles in Komplizen(sc)haft.

Eine feministische und kapitalismuskritische Textcollage, die zunächst noch etwas mühsam mit dem Ovid’schen Schöpfungsmythos beginnt. Es herrscht das Chaos einer Theaterklamotte, bei dem die Türen des Bühnenbilds (Andreas Auerbach), das die Volksbühnenwandverkleidung fortführt, im Sekundentakt auf und zu gehen.

Dazu laufen über dem wortlosen, pantomimischen Geschehen Livevideos aus dem Bühneninneren, in denen wechselnd Ensemblemitglieder den Text von Ovid in einer modernen Übersetzung von Gerhard Fink sprechen. Wie oft bei Claudia Bauer performen die DarstellerInnen stark durchchoreografiert im Takt der Live-Musik von Hubert Wild, der auch wieder barocke Arien intoniert. Das durch verschiedene Pfeile des Liebesgottes Cupido heraufbeschworene Liebeschaos zwischen Gott Apoll und Nymphe Daphne wird zum Büroslapstick mit Schreibmaschine und Gummibaum. Man könnte hier Belästigung am Arbeitsplatz vermuten. Aber auch wesentlich schlimmere Varianten der männlichen Zudringlichkeit werden hier mit Ovid kolportiert. Von der Vergewaltigung bis zur Genitalverstümmelung wird sogar ein A-Z der Beweismittel gegen Männergewalt verlesen.

So zieht sich das schützende Verwandlungsspiel von Actaeon und Diana über Teureus und Procne bis zu Peleus und Tetis. Ein immerwährender Akt männlicher Lust, der sich Frauen zu entziehen versuchen. Hosenschlitze werden im Takt hoch- und runtergezogen und Schauspielrinnen tanzen wie Sexpuppen. Aber Claudia Bauer verschneidet auch männliche Gier, Fraß und Perversion mit dem Kapitalismus. Im Text von John von Düffel zu Karin Henkels zum Theatertreffen eigeladener Inszenierung Beute Frauen Krieg kommt die Männerfantasie Helena, angeblicher Grund des Trojanischen Kriegs zu Wort. Aber vielleicht waren es ja doch ein eher wirtschaftliches Interessen. „Willkommen im Zeitalter der seltenen Erden.“ heißt da.

Witzig wird es noch einmal mit Fama, der Göttin des Gerüchts. Eine Welle von verschwörungstheoretischem Gemurmel („C:Ovid-19“), die nicht erst seit Corona aus den Tiefen des Internets schwappt. Herausragend noch ein Monolog von Emma Rönnebeck im Medusenkostüm mit Gedanken von René Polleschs derzeitigen Lieblingsphilosophin Donna Haraway zur Transformation der Menschheit ins „tentakuläre Zeitalter“. Tentakulär denken heißt das Fremde umarmen, anstatt zu bekämpfen. Human kommt hier von Humus. Die Menschheit als Kompost für neue Ideen. Das ist im Zeitalter der Klimakatastrophe, die sich hier am Ende mit der großen Sintflut ankündigt, eine schöne Utopie, aber am Ende tanzt mit Goethes Gesang der Geister über den Wassern doch wieder alles um die überdimensionalen Götterbüsten von Ex- und zukünftigen Volksbühnenintendanten. Verwandlung oder schöne Illusion? Neuanfang oder „Welcome tot he End“? Das kann dieser 2stündige Zwitter zwischen Theater und Netz noch nicht wirklich beantworten.



Metamorphosen [overcoming mankind] an der Volksbühne Berlin | Foto (C) Julian Röder

Stefan Bock - 15. Februar 2021
ID 12750
Metamorphosen [overcoming mankind] (Volksbühne Berlin, 12.02.2021)
Regie: Claudia Bauer
Bühne: Andreas Auerbach
Kostüme: Patricia Talacko
Musikalische Leitung: Hubert Wild
Video: Jan Isaak Voges
Sounddesign: Alexandra Holtsch
Dramaturgie: Daniel Richter, Elif Sözer
Mit: Malick Bauer, Katja Gaudard, Amal Keller, Mathis Reinhardt, Emma Rönnebeck, Teresa Schergaut, Hubert Wild sowie den Musikern Valentin Butt, Andrew Krell und Andrej Ugoljew
Online-Premiere war am 12. Februar 2021.
Stream mit Ticket auf dringeblieben.de


Weitere Infos siehe auch: https://www.volksbuehne.berlin


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