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Gastspiel

Wie machen die das?

1. CIRCUSSPEKTAKEL LUDWIGSBURG mit dem
Chinesischen Nationalcircus

Bewertung:    



Ein Hauch von Kindheit umweht den Circus (oder auch Zirkus). Er ist eine demokratische Kunstform, klassenübergreifend und ohne jenen Anspruch auf Bildung als Voraussetzung, den noch das fortschrittlichste Theater erhebt, ohne die furchteinflößende Architektur bürgerlicher Repräsentationsbauten. Der Geruch von gebrannten Mandeln ruft die Kindheitserinnerung ab und lässt vergessen, dass die Geschichte des Circus eine Geschichte seiner permanenten Krisen ist.

Das gilt freilich vor allem für Westeuropa. In Russland und in China hat der Circus eine lange Tradition, die auch heute noch aufrecht erhalten wird. Er ist nicht eine marginale Spielart der darstellende Künste, sondern eine hochprofessionell betriebene und großzügig subventionierte Variante vom gleichen Rang wie Theater, Oper oder Performance.

Vor fast einem Jahrhundert schrieb Viktor Šklovskij in Zoo oder Briefe nicht über die Liebe, einem der schönsten Bücher des 20. Jahrhunderts: „Das Lebendigste in der zeitgenössischen Kunst sind der Aufsatzband und das Varietétheater, das auf die einzelnen Nummern, nicht auf deren Verbindendes setzt.“ Wie Circus und Story dennoch vereinbar sind, hat Max Ophüls bereits 1955 auf geniale Weise mit seinem Film Lola Montez vorgemacht.

Die Ästhetik der Auflösung in einzelne autonome Szenen hat der Circus mit bahnbrechenden Theaterstücken wie den kürzlich in Wiener Neustadt inszenierten Letzten Tagen der Menschheit gemeinsam. Während Paulus Manker aber den Einschränkungen durch den Bühnenrahmen entflieht, indem er die Zuschauer an die unterschiedlichen Orte des Geschehens führt (ein Verfahren, das sich – beispielsweise in Sanctuary von Brett Bailey und seiner südafrikanischen Gruppe Third World Bunfight, in A HETZ oder Die letzten Tage der Menschlichkeit beim Theater Hausruck oder in den Performances von LIGNA – häuft, seit das Theater der Installation angenähert wird), kommen im Circus die heterogenen Elemente in einem Raum, der Arena, zusammen. Darin gerade besteht eine Eigenheit dieser Kunstform.

*

Beim Gastspiel des Chinesischen Nationalcircus in Ludwigsburg freilich ist die „Arena“ eher eine Metapher. Was sich MHP Arena nennt, ist die unwirtliche, nach Bratwurst statt nach gebrannten Mandeln duftende Heimstatt einer Basketball-Mannschaft und hat mit einem Zirkuszelt so viel gemeinsam wie die Grugahalle mit der Carnegie Hall. Auch die Bezeichnung „Chinesischer Nationalcircus“ sorgt für Verwirrung. Unter diesem Namen tritt am Abend der Ludwigsburger Premiere eine Truppe im Rahmen einer Tournee durch Deutschland und die Niederlande in Stade auf. Wie sich die Unternehmen zueinander verhalten, bleibt ein Geheimnis.

Die klassischen Nummern des Programms sind locker in eine eher belanglose Rahmenhandlung und in eine Choreographie eingebettet, für die vorwiegend elektronischer Kitsch die Untermalung liefert. An chinesische Musik erinnern nur sparsame Anklänge. Da gibt es Jonglage mit dem Diabolo und mit Hüten, eine schlichte Demonstration des Palmierens von einer Dame, die die Prinzipalin zu sein scheint, Schleuderbrettakrobatik, Antipoden-Nummern mit halbmetergroßen Würfeln und mit Sonnenschirmen. Gleich am Anfang steht eine Kontorsion, und man mag zweifeln, ob es tatsächlich bewundernswert ist, wenn eine junge Frau ihre Beine über dem Kopf nach vorne strecken und die Wirbelsäule um 180 Grad verdrehen kann. Aber genau das macht den Circus aus: Man fragt nicht, wie im Theater, „was bedeutet das“, sondern „wie machen die das“. Und so ertönt der meiste Applaus, wenn die Akrobaten auf den Schultern ihrer Kollegen stehend einen Turm bilden oder auf einem solchen aus Stühlen balancieren. Clowns gibt es hier ebenso wenig wie lebendige Tiere. Dafür tollen jeweils zwei Akrobaten im stilisierten Löwenkostüm herum, und der traditionelle Drachentanz sorgt für Kolorit.



Der Chinesische Nationalcircus beim 1. Circusspektakel Ludwigsburg | Bildquelle: mhparena.ludwigsburg.de

Thomas Rothschild - 5. Januar 2019
ID 11132
Weitere Infos siehe auch: https://mhparena.ludwigsburg.de


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