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Der Mann aus Podolsk

von Dmitry Danilov


Bewertung:    



Nach dem kraftvollen Auftakt des "Radar Ost" mit Who Is Happy In Russia? von Kirill Serebrennikov bei den AUTORENTHEATERTAGEN im Deutschen Theater Berlin setzte ein kleines kafkaeskes Kammerspiel des Russen Dmitry Danilov am letzten Tag des kurzen Festivals noch einmal Akzente.

In Der Mann aus Podolsk, vorgestellt vom Weißrussischen Jugend-Staatstheater Minsk, wird der Mitdreißiger Nikolai aus der Moskauer Trabantenstadt Podolsk verhaftet und auf dem Polizeirevier einem recht merkwürdigen Verhör unterzogen. Zunächst fürchtet er misshandelt zu werden. Und wie in einem inneren Film laufen auch solche Gewaltszenen in einem Video auf der Bühnenrückwand ab, bei denen Nikolai von zwei clownsgesichtigen Polizisten verprügelt wird. Mehr und mehr surreal verläuft auch das Verhör, bei dem Nikolai auf seine Frage, warum er festgenommen wurde, die Antwort erhält, das werde man schon noch anhand der Antworten auf die ihm gestellten Fragen herausfinden.

Scheinbar ohne erkennbaren Plan verwickeln die beiden Polizisten den verängstigten Nikolai in ein Frage-Antwort-Spiel, bei dem er etwa die Einwohnerzahl von Podolsk nennen, oder auch Sehenswürdigkeiten auf seinem Weg zur Arbeit beschreiben soll. Nikolai wird weiter nach seiner Arbeit und seinem Privatleben befragt. Er ist ein kleiner Redakteur eines Bezirksanzeigenblattes, hat aber Geschichte studiert und macht den nicht sehr gut bezahlten Job nur aus Mangel an anderen Gelegenheiten. Nikolai spielt außerdem umsonst für eine unbekannte Industrial-Rock-Band, mit der er schon bei einem Festival in Amsterdam war. Seine letzte Freundin hat ihn wegen eines anderen Musikers verlassen, die neue, die ihn wegen seiner Musik anhimmelt, liebt er aber nicht wirklich.

So dringen die Polizisten, später noch durch die attraktive Reviervorsteherin unterstützt, immer tiefer in den Mann aus Podolsk. Sie bearbeiten ihn dabei nach dem Muster Zuckerbrot und Peitsche. Während die beiden männlichen Polizisten Nikolai durch die Androhung, ihm falsche Beweise unterzuschieben, zum Mitmachen zwingen, baut die Polizistin den langsam Verzweifelnden immer wieder wohlwollend auf. Als Beispiel für ihre Macht demonstrieren die Polizisten Nikolai einen in einem Käfig gefangenen Mann aus Mytistschi, den sie bereits bestens abgerichtet haben. Das ganze Verhör entpuppt sich nämlich als eine Art staatliche Umerziehungsmaßnahme. In dem mit seinem eintönigen mechanischen Leben in der grauen Trabantestadt unzufriedenen Nikolai, soll die Liebe zur Heimat wieder geweckt werden. Die Polzisten zwingen ihn zu dümmlichen „Hirntänzen“ mit wortakrobatischen Diphthong-Vokalen, schuhplattlern, oder singen eine melancholische Hymne auf die Stadt Moskau. Und irgendwann steckt auch der andere Gefangene in einer Uniform.

Die absurde Polizeilogik hinterlässt auch beim Mann aus Podolsk ihre Wirkung. Der sichtlich Zerrüttete muss vor der Freilassung noch sein Vernehmungsprotokoll unterzeichnen, bei dem im attestiert wird, ein Tier zu sein, ein Automat, der die ihn umgebende Realität nicht erkennt. Danach stellt man ihm noch ein baldiges Wiedersehen in Aussicht. Das ist natürlich ein dystopisch anmutender Brainwash, der die tatsächlich real existierende Gesellschaft schönfärben soll. Auf der Videoleinwand erscheinen noch weitere Gesichter von Menschen, die tatsächlich wie Automaten, den Text des Protokolls herunterbeten. Dmitry Danilovs bereits 2017 vom Teatr.doc in Moskau uraufgeführte Satire ist ein gutes Beispiel absurden Theaters, das auch an Stücke von Daniil Charms oder Nikolai Erdman erinnert. Dem Minsker Ensemble gelingt es mit der nötigen satirischen Überspitzung sehr gut, aktuelle Tendenzen autokratischer Staatsgewalt zu karikieren.




Der Mann aus Podolsk am Belarussian State Youth Theatre Minsk | (C) Vepshkovsky

Stefan Bock - 28. Mai 2019
ID 11444
DER MANN AUS PODOLSK (Kammerspiele des DT Berlin, 26.05.2019)
Regie: Dmitry Bogoslavsky
Choreografie: Irina Shirokaya
Komposition: Mikhail Obukhov
Besetzung:
Mann aus Podolsk ... Igor Vepshkovsky
Mann aus Mytishchi ... Andrey Gladky
Polizistin ... Marina Blinova
1. Polizeibeamter ... Kirill Novitsky
2. Polizeibeamter ... Denis Moiseychik
Gastspiel des Belarusian State Youth Theatre, Minsk zu den AUTORENTHEATERTAGEN | RADAR OST 2019


Weitere Infos siehe auch: https://www.deutschestheater.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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