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nachDRUCK # 6

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Wiederaufnahme

Komödie der Irrungen mit SHAKESPEARE und PARTNER beim Sommertheater in der Klosterruine am Alex



Dierk Prawdzik und Rike Joeinig in Komödie der Irrungen - Foto (C) SHAKESPEARE und PARTNER

Bewertung:    



„Wer bin ich?“ ist seit jeher eine der wichtigsten und auch immer wieder verwirrendsten Frage des Menschen. Die Verwechslungskomödie setzt dem meist noch zahlenmäßig einen drauf und vervielfältigt das Identitätsdilemma der Protagonisten durch gottgewollte Doppelgänger oder auch ganz irdische Zwillinge. Wir kennen Sie aus Molières Komödie des Amphitryon (1668), die Kleist inspirierte und durch die Lektüre Immanuel Kants 1803 sogar ins Tragikomisch-Philosophische erhob, oder Shakespeares Komödie der Irrungen (1594), einem zugegebener Maßen seltener gespieltem Frühwerk des englischen Dichters, dessen 450. Geburtstag in diesem Jahr weltweit begangen wird. Beide Stücke gehen aber jeweils auf eine lateinische Komödie des römischen Dichters Plautus (254-184 v. Chr.) zurück.

*

Das Genre der Verwechslungskomödie ist demnach fast so alt, wie das Theater selbst. All das ist neben dem großen Spaß am Spiel selbst natürlich Grund genug für die 2001geründete Truppe SHAKESPEARE und PARTNER, den unterschätzten Erstling Shakespeares mal wieder aus der Schublade zu holen. Das tat die Truppe bereits im Oktober 2012 für das Bürgerhaus in Pullach. Seither gastierte die Inszenierung des 1970 in Bombay geborenen indischen Regisseurs Kenneth Philip George schon an vielen Bühnen quer durch Deutschland, bis sie 2013 die neue Sommerspielstätte in der Ruine der Franziskaner-Klosterkirche in der Nähe des Alexanderplatzes bezog.

Nachdem im letzten Jahr Molières Amphitryon in der Version des Hexenkessels im Monbijoutheater den Shakespeare-Jüngern noch die Show gestohlen haben dürfte, eröffnete nun am 22. Juli wieder die Komödie der Irrungen ganz optimistisch den diesjährigen Theatersommer am Alex. Das Ensemble spielt dann auch von Anbeginn mit sehr viel Leidenschaft für und mit dem Publikum in der Klosterruine. Selbst der Verkauf der Programmhefte gerät da zu einer kleinen Performance. Fast noch wichtiger ist für das Open-Air-Sommertheater neben dem aufopferungsvollen Spiel ein flotter, gängiger Text. Mit der eher prosaischen Erstübersetzung von Christoph Martin Wieland oder der etwas geschraubten Versfassung von Wolf Graf Baudissin für die Schlegel/Tieck-Ausgabe ist da heute kein Stich mehr zu machen. Fast jede Neuinszenierung bedient sich daher moderner Neuübertragungen.

Erstaunlich nur, dass sich das fast ausschließlich aus den alten Bundesländern stammende Ensemble hier für die Übersetzung des unter dem Pseudonym E. S. Lauterbach schreibenden Journalisten Erich Selbmann (1926-2006) - wenigen vielleicht noch als großes Tier im Rund- und Fernsehfunk der DDR sowie Chefredakteur der Aktuellen Kamera bekannt - entschieden hat. Eine "richtig rote Socke" also, wie es Schauspieler Kai Frederic Schrickel etwas ironisch in seiner kleinen Einführung zum Stück erwähnt. Selbmanns Übersetzung entstand 1968 für Peter Kupkes Inszenierung am Hans-Otto-Theater Potsdam. Bei seinem Gang in den Westen nahm Kupke die Übersetzung in den 1980er Jahren mit ans Staatstheater Wiesbaden. Irgendwo da muss sie eines der bereits an etlichen deutschen Stadttheatern engagierten Mitglieder der Truppe jedenfalls aufgeschnappt haben.

Und der Text E. S. Lauterbachs scheint wie gemacht für das schnelle Spiel der Darsteller. Kein Stelzen oder Holpern, die Worte gehen allen recht flüssig von den Lippen. Die Pointen sitzen zielsicher und sind selbst noch für manchen humoristischen Sidegag gut. Der erst 20jährige Shakespeare bewies hier schon ein gutes Gespür für Witz mit Hintersinn und versteckte tagespolitisch aktuelle Seitenhiebe. Soweit geht es bei SHAKESPEARE und PARTNER nicht, man konzentriert sich ganz auf den Spaß der Verwicklungen und Verwirrungen, die zwei sich gänzlich unbekannte Zwillingspaare bei sich selbst und den übrigen Protagonisten auslösen. Auch wenn ihn viele nicht gerade für ein Meisterstück halten, Shakespeares Plot geht Dank seiner Situationskomik und gut getimten Dramaturgie ganz vorzüglich auf.

So schlägt dann auch pünktlich um 20 Uhr die Kirchenglocke der benachbarten Parochialkirche und gibt das Signal für den Auftritt von Kai Frederic Schrickel der (neben Solinus und den Herzog von Ephesus) den Kaufmann Ägeon von Syracus gibt, welcher sich den landläufigen Gesetzten der Stadt zuwider in Ephesus aufhält und sich, an den Rollstuhl gefesselt, mangels nötigem Kleingeld nicht von der Verurteilung zum Tode freikaufen kann. Mitleid erheischend erzählt er dem Herzog die Geschichte seiner Zwillingssöhne namens Antipholus, die samt Zwillingsdienerpaar Dromio durch eine Schiffskatastrophe voneinander getrennt wurden. Das Gespann aus Syracus kommt justament im Hafen von Ephesus an und gerät nun in einen Strudel zufälliger grotesker Situationen, in denen sie für die ihnen nicht bekannten Exemplare gleichen Aussehens Antipholus und Dromio aus Ephesus gehalten werden.

Was für den Herren Antipholus aus S. noch so manchen Reiz ausmachen dürfte - ihm wird ungefragt Schmuck und Geld angetragen, fremde gut aussehende Damen verfluchen und begehren ihn gleichermaßen - ist für den Diener sowohl des einen wie des anderen Herren durchaus von existentieller Not. Neben den Launen der Beiden (abwechselnd verkörpert von Andreas Erfurth) sowie der angedrohten bzw. verabreichten Schläge ergibt sich für sie nicht allzu viel Neues außer einer etwas zu rundlich geratenen Köchin und einem Weib des Dromio aus E., dem sich Dromio aus S. dann doch lieber entziehen würde. Eine Glanzrolle für Sebastian Bischoff, der als Brechts Guter Mensch von Sezuan beim Theatersommer noch in einer weiteren berühmten Doppelrolle zu sehen sein wird. Bischoff hält als doppelt angeschmierter Dromio seine schmalen Schultern hin, kann sich aber dank bauernschlauer Wesensart aus so mancher kniffligen Situation herausreden und heimst damit natürlich die meisten Sympathiepunkte beim durchweg amüsierten Publikum ein.

Die Damen sind nicht minder taff. Rike Joeinig als geplagte Ehefrau des nicht gerade pflegeleichten Gatten Antipholus aus E. und Jillian Anthony (neu im Ensemble) als deren Schwester Luciana sowie aufreizender Kurtisane Adriana mit fulminantem Blondperücken-Aufritt kämpfen tapfer gegen die Geräuschkulisse der angrenzenden Grunerstraße an. Aber wir sind hier schließlich im Live-Open-Air-Theater. Übertriebene Perfektion und Akkuratesse sind da nicht primär gefragt. Man spielt ganz körperbetont auf fast leerer Bühne. Wenige Requisiten und schnelle Kostümwechsel bestimmen das Geschehen. Nach der Pause bessern sich Laut- und Lichtsituation, und es kommt noch ein richtig gutes Sommerkomödienfeeling auf, bis sich über Koffer-auf-und-Zu, einige Geldverwicklungen, fälschliche Verhaftungen eines tumben Büttels (Kai Frederic Schrickel) und eines kuriosen Exerzitium des mittlerweile für wahnsinnig erklärten Antipholus von E. (oder doch von S.?) durch einen muskelbepackten blonden Recken (Dierk Prawdzik als Dr. Pinch sowie als Goldschmied und Überraschungs-Äbtissin) alles doch noch zum Guten hin auflöst.




Dierk Prawdzik, Jillian Anthony, Andreas Erfurth, Sebastian Bischoff, Rike Joeinig und Kai Frederic Schrickel (v.l.n.r.) nach der Komödie der Irrungen - Foto (C) SHAKESPEARE und PARTNER



Stefan Bock - 24. Juli 2014
ID 7975
KOMÖDIE DER IRRUNGEN (Ruine der Franziskaner-Klosterkirche, 22.07.2014)
Regie: Kenneth Philip George
Kostüme: Ulrike Eisenreich
Bühne: Susanne Füller
Assistenz: Natascha Jeutter
Mit: Rike Joeinig, Jillian Anthony, Sebastian Bischoff, Andreas Erfurth, Dierk Prawdzik und Kai Frederic Schrickel
Premiere war am 22. Juni 2013
Wiederaufnahme: 22. 7. 2014
Weitere Termine: 24. - 26., 29., 30. 7. 2014

[Ab 6. August gibt es den nächsten Shakespeare in der Klosterruine am Alex. Mit Wie es euch gefällt in der Übersetzung von Frank-Patrick Steckel begeben sich SHAKESPEARE und PARTNER in den direkten Vergleich zu den anderen einschlägigen Berliner Open-Air-Bühnen der Shakespeare Company und dem Hexenkessel-Amphitheater. Und wem es gefällt, kann das dann auch ausgiebig genießen. | s.b.]


Weitere Infos siehe auch: http://www.shakespeareundpartner.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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