Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Rosinenpicken (369)

Diesseits,

jenseits



Continu von Sasha Waltz | Foto (C) Julieta Cervantes, Bildquelle: radialsystem.de

Bewertung:    



Sollte es unter den Tanzfreaks u.U. noch Leute geben, die das Sasha Waltz-Stück Continu nicht oder noch nicht kennen - heute Abend wäre (vorerst) eine letzte Chance, es im Radialsystem live zu erleben!

*

2010 kreierte es die Choreografin, die zudem (mit Thomas Schenk und Pia Maier Schriever) auch für seine Bühne mitzuständig war; seit seiner Zürcher Uraufführung tourt es da- und dorthin - nunmehr ist es wieder in Berlin "gelandet".

Waltz pflegt ihr jahrzehntelanges Repertoire mit derart inbrünstiger Konsequenz und heißblütigem Aufwand, dass die Rezipienten resp. Sasha-Waltz-Freaks nie Gefahr liefen, das Eine oder Andere durch eine zufällige "Unterlassungssünde" gar verpasst zu haben. Sie hat einen sicheren Instinkt dafür, welches der mittlerweile unzähligen Werke von ihr aufbewahrenswert und -wichtig ist. Hierzu zählt zweifelsohne Continu:

Es ist - nach meinem unmaßgeblichen Dafürhalten - das Beste, was ich je von ihr gesehen und gehört habe!!

"Thematisch wird das konfliktreiche Verhältnis von Individuum und Gruppe bearbeitet. Die aktuellen Erfahrungen mit Flucht, Migration und der Vielfalt kultureller Identitäten eröffnen einen neuen Wahrnehmungshorizont", heißt es ganz lapidar in der synoptischen Zusammenfassung auf radialsystem.de.

Das Stück hat, über jenen angezeigten Allgemeingültigkeitspassus weit hinaus, diverse Handlungssplitter. Deren Anzahl ist immens, und es fällt schwer - vielmehr: es scheint unmöglich - sie zu einem "ordnenden" oder geordneten System als Nacherzählungen noch einmal aufblitzen zu lassen. Doch das Drei- bzw. Zweiteilige der weit über zweistündigen Extraordinär-Performance hat, so wie ich finde, eine klare Botschaft, birgt in sich unmissverständlich ein zeitläuftenes Prinzip: Diesseits & Jenseits.

Die Percusserin Robyn Schulkowksy trumpft gleich zu Beginn mit Iannis Xenakis' Rebonds B gewaltig auf! Der Schlagwerkklang ist underb-warm, sein Schall inmitten der drei ziemlich hoch geratenen Einwandungen verteilt sich "gleichmäßig" nach oben und (zu mir) nach vorn. Eine ihn stark verinnerlichende Gruppe von Frauen fängt das pausenlos Pulsierende als Herzschlagrhythmus auf. Das Anmutige wird zum Inbegriff eines Matriarchats. Es hat - in seiner selbstbewussten Ausgeschlossenheit (von Männern) - einen (für uns Männer) arg beunruhigenden Grad an Urgründigem, und es sieht doch irgendwie antik aus...

In demselben Schwarz (des Raumes) wird es daraufhin gemischt: Männer & Frauen, und die Einen erdfarben, die Andern schwarz umhüllt (Kostüme: Bernd Skodzig). Das, was folgt, erscheint als wie beim Tanztheater allerorts und allgemeinst verübte oder zu verübende Konfliktdarstellung: Frau und Mann, Liebe und Hass, Gewalt und Zärtlichkeit, Wärme und Kälte usw. usf.; dazu das mittels Tonträger kommunizierte Arcana Edgar Varèses. / Waltz gelingen hier - wie schon am Anfang angedeutet - messerscharf verewigte Momente; ganz spontan fällt mir da dieser Veitstanz [mit Idan Yoav?] ein. Einzelne aus der Gruppe, und mithin die ganze Gruppe, wollen dieses Außerkontrollegeratensein des Veitstanzenden "bändigen"... // Schwer auszuhalten dann das einschneidende Schlussbild vor der Pause: eine Exekution. Einer steht rechts am Bühnenrand und brüllt in hartem Bellton die Gewehrsalven daher. Die Reihe mit den aufgestellten Opfern lichtet sich, allmählich fallen alle nacheinander um - ein Liebespaar, wirr-mutig, setzt sich ab und sucht/versucht mit der Gewaltorgie, wirr-abgesondert, Schritt zu halten; erst fällt der Geliebte der Geliebten um, später sie selbst; allein Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola bleibt bei dem Massaker übrig.

Nach der Pause fällt das Augenmerk sofort auf den inzwischen ausgewechselten Bodenbelag - in Weiß. Als ob, über den (weißen) Wolken, eine Art von Seinsveränderung sprich Übergang ins Jenseits stattgefunden haben sollte. Das, was Einzelne und Gruppeneinzelne jetzt vorführen, wirkt wie in einer völlig andern Sphäre. TänzerInnen tragen weiße, erdfarbene Kleidung; ein paar wenige auch Schwarz. Man malt mit Füßen Ornamente. Und zum Schluss fällt Tänzer Orlando Rodriguez adamhafter Weise ganz besonders auf - sofort assoziiere ich daher: Buonarotti, Die Erschaffung Adams... Von ganz fern erklingt Mozarts Oboenquartett KV 370, wie aus einer unschuldigen, schönen und noch "unberührten" Welt.

Grandioses Stück.



Continu von Sasha Waltz | Foto (C) Tanja Dorendorf, Bildquelle: radialsystem.de

Andre Sokolowski - 8. Februar 2016
ID 9123
CONTINU (Radialsystem V, 07.02.2016)
Regie und Choreographie: Sasha Waltz
Tanz und Choreographie: Liza Alpízar Aguilar, Blenard Azizaj, Jirí Bartovanec, Davide Camplani, Maria Marta Colusi, Luc Dunberry, Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola, Delphine Gaborit, Maya Gomez, Hwanhee Hwang, Florencia Lamarca, Sergiu Matis, Thomas Michaux, Michal Mualem, Virgis Michal Mualem, Virgis Puodziunas, Sasa Queliz, Zaratiana Randrianantenaina, Orlando Rodriguez, Mata Sakka und Joel Suárez Gómez
Percussion: Robyn Schulkowksy
Bühne: Thomas Schenk, Pia Maier Schriever und Sasha Waltz
Kostüme: Bernd Skodzig
Dramaturgie: Jochen Sandig
Licht: Martin Hauk
Repetition: Virgis Puodziunas
Uraufführung im Schauspielhaus Zürich war am 20. Juni 2010
Weiterer Berliner Termin: 8. 2. 2016
Eine Produktion von Sasha Waltz & Guests in Koproduktion mit dem Schauspielhaus Zürich/Zürcher Festspiele, spielzeit'europa Berliner Festspiele und Sadler’s Wells, London

"Mit ZUHÖREN öffnet Sasha Waltz & Guests vom 03. bis 09. Februar 2016 einen 'dritten Raum der Begegnung' für Kunst, Kultur und und Kommunikation. Ausgangspunkt für das Programm ist das expressive Tanzstück Continu (2010), das sich mit den Themen Gewalt, Individuum und Gruppe beschäftigt. Sasha Waltz lädt angesichts der aktuellen Situationen von Flucht und zivilem Engagement zu Begegnungen und Gesprächen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten. Was sind unsere künstlerischen Strategien, um politisch Einfluss zu nehmen? Modellhafte Initiativen aus Berlin stellen sich vor."


Weitere Infos siehe auch: http://www.radialsystem.de


http://www.andre-sokolowski.de

Rosinenpicken



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

THEATERTREFFEN

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)