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nachDRUCK # 6

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Repertoire

Fegefeuer

auf dem

Dorfe



Paula König (oben) und Cennet Rüya Voß in Shoot/Katzelmacher/Repeat | Foto © Birgit Hupfeld

Bewertung:    



Auf dem Land gibt es nicht nur saubere, sondern manchmal auch erstaunlich dicke Luft. Sich aus dem Weg zu gehen, ist hier schwer. Neue Eindrücke sind begrenzt, wenn das kulturelle Wochenhighlight die Sonntagspredigt ist. Gerade für junge Menschen ist das Landleben oft eintönig; aus Langeweile wird schnell auch Frust. Argwöhnisch beäugen acht junge Menschen Jorgos (Till Werths), einen griechischen Gastarbeiter, der zu ihrer vertrauten Dorfgemeinschaft dazustößt. Für Jorgos bietet sich im Dorf die Möglichkeit mehr Geld zu verdienen als in seiner Heimat. Er ist der deutschen Sprache nicht mächtig, dient jedoch einigen der Dorfbewohnerinnen mit seinem fremdländischen Aussehen und seinem Fleiß als Projektionsfläche für allerlei Fantasien. Aufgrund von Vorurteilen, Vermutungen und Ängsten entstehen Gerüchte. Bald stellt sich eine Gruppengemeinschaft aggressiv schreiend und fluchend gegen Jorgos. Die Stimmung ist angeheizt; eine Diskussion kaum möglich. Hass, Potenzneid und zunehmende Gewaltbereitschaft liegen in der Luft.

Der Begriff „Katzelmacher“ leitet sich aus dem Mittelhochdeutschen „kezzel“ ab und bedeutet ursprünglich „Kesselmacher“. Mit diesem Wort wurden in den 50er und 60er Jahren abschätzig Gastarbeiter aus dem Mittelmeerraum bezeichnet, mit denen der Arbeitskräftemangel in der Nachkriegszeit ausgeglichen werden sollte. In ihrem Regiedebüt kombiniert die bekannte Berliner Schauspielerin Susanne Wolff Rainer Werner Fassbinders Drama Katzelmacher (1968) mit der Szenenfolge „Gestern gab es einen Vorfall“ aus Mark Ravenhills Drama Shoot/ Get Treasure/ Repeat (2007). Katzelmacher steht dabei im Zentrum von Wolffs Collage und wird von Ravenhills Szenenfolge umrahmt.

Wie Balletttänzerinnen bewegen sich die Darsteller anfangs Tutus tragend (Kostüme: Raphaela Rose) weitestgehend homogen und athletisch zu Techno von Modeselektor und später zu Popmusik von den Beatles. Die Performance wirkt grotesk. Die Studierenden im dritten Ausbildungsjahr Schauspiel der Hochschule für Musik und darstellende Kunst Franfurt am Main (HfMDK) treten nah an das stehende Publikum heran und bewegen sich bald zwischen den Zuschauern. Plötzlich rufen einzelne Figuren, dass es am Vorabend im Theater einen Anschlag gab. Ein Schauspieler wurde am Vorabend der aktuellen Vorführung schwer verletzt. Einzelne Zuschauer werden gefragt, ob sie etwas gesehen hätten. Diese Annahme wirkt etwas abstrus, denn in der Regel besuchen Zuschauer ja nur einmal eine Vorstellung. Die Aufregung der Figuren, die schnell zur Panik eskaliert, erscheint dramaturgisch aufgesetzt und wirkt überzogen. Bald ist von „schwarzen Schafen“ unter den Zuschauern und von deren „Brandmarkung“ die Rede. Die Wut richtet sich hier gegen die Zeugen des Gewaltverbrechens. Zur Brandmarkung werden die Zuschauer über die Bühne hinweg zu ihren Sitzplätzen geführt. Die Figuren beschimpfen dabei mit üblen Worten ihre jeweils eigenen großformatigen Porträtbilder, die seitlich an den Bühnenwänden hängen – eine der stärksten Szenen der Inszenierung. Aggressionen brechen sich ungefiltert Bahn. Die Schimpfarien übertönt hier Paula König in der Rolle der Ingrid mit kräftigem Gospelgesang „Holy – Everything is holy“, der die unreflektierte Gläubigkeit der Dorfbewohner reizvoll versinnbildlicht. In der Bühnenmitte baumelt eine Schaukel mit einem Baseballschläger als Sitzfläche – ein Symbol schwelender Gewalt (Bühnenbild: Anne Ehrlich).

Eindringlich beleuchtet Shoot/ Katzelmacher/ Repeat Fremdenhass und Aggressionen gegen Migranten. Im starken Ensemble setzen insbesondere Cennet Rüya Voß in der Rolle der verliebten Marie, Alrun Hofert als charmant-durchtriebene Gunda und Robert Will als naiver Mitläufer Paul aufregende Akzente. Durchgehen thematisiert die Inszenierung eine Sehnsucht nach autoritären Strukturen. Gewalt und eine kollektive Aggression sind stets präsent. Im vielversprechenden Debüt der Regisseurin Wolff überzeugt besonders die Fassbinder-Adaptation, während die Verknüpfung mit dem Ravenhill-Drama interessant ist, jedoch nur teilweise funktioniert. Die etwa 80minütige, temporeiche und beklemmende Vorführung stimmt in Zeiten von AfD, Pegida und dem NSU-Prozess nachdenklich.



Shoot/Katzelmacher/Repeat am Schauspiel Frankfurt | Foto © Birgit Hupfeld

Ansgar Skoda - 7. Juni 2016
ID 9362
SHOOT/KATZELMACHER/REPEAT (Bockenheimer Depot, 28.05.2016)
Regie: Susanne Wolff
Bühne: Anne Ehrlich
Kostüme: Raphaela Rose
Musik: Sebastian Purfürst
Dramaturgie: Dagmar Borrmann
Besetzung:
Gunda … Alrun Hofert
Helga … Gesa Köhler
Elisabeth … Isabella Knöll
Ingrid … Paula König
Marie … Cennet Rüya Voß
Erich … Felix Bold
Bruno … Niklas Hugendick-Braasch
Jorgos … Tim Werths
Paul … Robert Will
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 20. Mai 2016
Weiterer Termin: 12. 6. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.schauspielfrankfurt.de


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



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