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Mutter Courage und das Arrangement mit dem nie endenden Krieg



Mutter Courage und ihre Kinder am Theater Osnabrück | Foto (C) Marek Kruszewski

Bewertung:    



Mutter Courage und ihre Kinder – ein Klassiker der deutschen Literatur, der tragsicherweise nach wie vor nicht an Aktualität und Brisanz verliert. Für das Theater Osnabrück hat sich die Regisseurin Schirin Khodadadian den Stoff, aus dem Albträume sind, vorgenommen und den Dreißigjährigen Krieg als Parabel auf alle nachfolgenden Konflikte auf die Bühne geholt.

Die zweistündige Inszenierung lebt vor allem von einem beeindruckenden Bühnenbild, das geradezu einmalig zugleich Schlichtheit und Symbolkraft ausstrahlt, und einer Mutter Courage, die ihrem Namen alle Ehre macht. Die Schrecken des Krieges werden durch einen omnipräsenten Schwall aus Blut symbolisiert, der durch bauschige Stoffmassen in strahlendem Rot stets Mittelpunkt der Aufmerksamkeit ist. Das vergossene Blut scheint von der Decke zu tropfen und nimmt zudem den Großteil des Bodens ein. Immer wieder kommt es im Zuge der Kriegsereignisse zu einem sprichwörtlichen Blutbad, in dem sich einzelne Charaktere verlieren. Sowohl die asymmetrische Anordnung der Bodenebenen als auch die schräg überlappenden Deckenabhängungen verraten, dass die Welt buchstäblich aus den Fugen geraten ist. Beklemmend zeigen sich auch die abgerissenen Gestalten, die dieser Krieg hervorgebracht hat. In schlichten Grautönen gehalten wirkt die Zivilbevölkerung nur noch als Schatten ihrer selbst und ist kaum von der eintönigen und tristen Kulisse des Kriegstreibens zu unterscheiden.

Monika Vivell sticht als Mutter Courage hervor und zeigt zwei Stunden lang herausragende Bühnenpräsenz und dass die Marketenderin durch und durch für Charakterstärke steht. Während des gesamten Krieges gibt sich Mutter Courage kämpferisch und ist stets auf das Wohl ihrer drei Kinder bedacht, die sie dennoch nach und nach an den Krieg verliert. Insgesamt gibt es eine interessante Charakterentwicklung, während der sich die Marketenderin zunehmend mit den Kriegswirren arrangiert. Entschlossen versucht sie das Beste aus ihrer Situation zu machen, scheitert aber genauso wie die Menschen in ihrem Umfeld. Schnell wird deutlich, dass das Sprichwort „Krieg kennt keine Sieger“ keine leere Floskel ist, sondern ein unausweichlicher Schluss in Hinblick auf die Fatalität der Umstände. Jeder lässt im Krieg unwiederbringlich etwas zurück. Wenn nicht Eigentum, dann zumindest die persönliche Würde und nahestehende Menschen. Letztlich steht einzig das Überleben im Vordergrund, jeder versucht hierfür seinen eigenen Weg zu gehen. Triebhaftigkeit schlägt durch, denn die Gewissheit, dass der Krieg niemals endet, manifestiert sich. Moralische Maßstäbe werden alsbald verworfen. Das vermeintliche Kriegsende 1632 durch den Tod des schwedischen Königs Gustaf II Adolf geht mit einem dreitägigen „Ausnahmezustand“ einher, der einen Hauch Normalität suggeriert. Die Fortführung des Krieges trifft nicht nur die dargestellten Charaktere mit aller Wucht, sondern macht sich auch als Erkenntnis vor der Bühne breit: Gut die Hälfte des Krieges steht noch bevor. Darstellerisch überzeugen hier alle Schauspieler, wirken jedoch gelegentlich bedingt durch die Charakterzeichnung ein wenig klamaukig.

Gerade vor dem Hintergrund, dass in Osnabrück der Westfälische Friede verhandelt wurde und das Ende der wütenden Vernichtungsmaschinerie herbeiführte, scheint es beinahe obligatorisch Parallelen zur aktuellen Weltlage aufzugreifen. Der syrische Schauspieler Ahmad Kiki, der 2015 aus seiner Heimat flüchtete und für die aktuelle Spielzeit am Theater Osnabrück spielt, soll für Authentizität sorgen und tritt in den Dialog mit Christina Dom. Leider fehlt bei diesem kurzen Intermezzo ein gekonnter Brückenschlag zur Handlung des Stücks. Das Gespräch wirkt zu losgelöst und verliert sich, wodurch die Zuschauer abgehängt werden. Erst als Dom das zunächst vertraut und freundlich wirkende Zwiegespräch mit dem resoluten Wunsch, ihr Gesprächspartner möge angesichts des vermeintlichen Kriegsendes – das tatsächlich nicht eingetreten ist - doch nun „nach Hause gehen“, beendet, lässt sich die Intention erahnen.

Letztlich hat die Inszenierung ihre Höhen und Tiefen. Obwohl einzelne Aspekte gut durchdacht sind, kann das Stück in dieser Variante nicht gänzlich überzeugen. Die Botschaft des scharfsinnigen Pazifisten Brechts wird zu stark heruntergebrochen und lädt nicht ausreichend zum Diskurs ein. Bedauerlich ist ebenfalls, dass die Leistungen des Ensembles nicht zur Geltung kommen - brillante Köpfe allesamt, die weitaus mehr können als ihnen diese Inszenierung zugesteht.



Mutter Courage und ihre Kinder am Theater Osnabrück | Foto (C) Marek Kruszewski

Sina-Christin Wilk - 22. Februar 2018
ID 10544
MUTTER COURAGE UND IHRE KINDER (Theater am Domhof, 20.02.2018)
Inszenierung: Schirin Khodadadian
Bühne: Carolin Mittler
Kostüme: Charlotte Sonja Willi
Musikalische Leitung: Michael Barfuß
Dramaturgie: Sven Kleine
Mit: Christina Dom, Thomas Kienast, Julius Janosch Schulte, Valentin Klos, Niklas Bruhn, Marie Bauer, Elaine Cameron, Klaus Fischer und Ahmad Kiki sowie den Musikern Michael Barfuß, Mischa Vernov und Falk Zimmermann
Premiere am Theater Osnabrück: 17. Februar 2018
Weitere Termine: 25.02. / 09., 20.03. / 17., 22.04. / 07., 16.052018


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-osnabrueck.de


Post an Sina-Christin Wilk

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