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Premierenkritik

Sittsamkeit

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Mareike Hein als Luise und Daniel Breitfelder als Karl in Goethes Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

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Es herrscht Zwielicht. Bedrohlicher Donner ertönt aus Lautsprecherboxen. Das Bühnenbild ist karg. Im Zentrum liegt eine längliche, flache, mit Wasser gefüllte Wanne. Davor und dahinter versetzt stehende Darsteller kehren dem Publikum ihre Rücken zu. Bald drehen sich ihre Körper elegant wie die von Marionetten oder Puppen. Ihre Silhouetten bewegen sich schattenhaft leicht synchron im dunklen Raum. Ausdruckslose Gesichter blicken schließlich mit starrem Blick ins Publikum. Auf eine der Figuren fällt plötzlich Scheinwerferlicht, und sie beginnt sodann zu sprechen. Mit gekünstelter Stimme wird über die komplexen Herausforderungen des Schauspielers am Theater referiert.

Goethe schrieb in der Zeit nach der Französischen Revolution eine Novellensammlung, Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten (1795). Dieses Werk adaptierte jetzt für die Bonner Werkstattbühne die junge Regisseurin Luise Voigt höchst artifiziell und experimentell. Es wird keine synchrone Handlung dargeboten. Erzählte Geschichten werden regelmäßig unter- oder aufgebrochen. Die Handlung spielt in einer historischen Umbruchphase – französische Revolutionstruppen besetzen das Rheinland. Es wird befürchtet, dass die Umwälzungen und Hinrichtungen, die in Frankreich stattfinden, nun auch auf Deutschland übergreifen. Aus diesem Grund flieht Baronesse von C. (Birte Schrein) mit ihrem Sohn (Manuel Zschunke), ihrer Tochter (Mareike Hein), einem Vetter (Daniel Breitfelder) und einem langjährigen Vertrauten (Bernd Braun) der Familie von ihrem linksrheinischen Schloss auf ihren Landsitz, der rechtsrheinisch und daher etwas geschützter vor den Invasoren liegt. Alle haben Angst und sehen die alte Ordnung schwinden. Aus diesem Grund ordnet die Baronesse an, dass nur noch Konversation betrieben werden soll, in der die Geselligkeit, Sittlichkeit und Schönheit im Vordergrund stehen. Gespräche und Erzählungen werden jedoch fortwährend vom bedrohlichen Kanonendonner begleitet.

Mit Blick auf die Novelle Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten drängen sich Parallelen auf zur politisch-gesellschaftlichen Lage der Gegenwart. Ähnlich den Revolutionstruppen sehen viele eine Bedrohung und einen Umsturz der Werte durch Rechtspopulisten, die in vielen Ländern an Zulauf gewinnen. Der politische Diskurs wird immer polemischer. Medien und Institutionen versuchen, sprachlich und thematisch etwas dagegenzuhalten und bestimmte gesellschaftliche Werte zu erhalten. Neben den Chancen werden in letzter Zeit auch immer mehr die Gefahren für die Gesellschaft durch das Internet deutlich: Polarisierungen, Falschmeldungen, Echoräume durch sogenannte Social Bots. Einen Bezug zur Gegenwart stellt Luise Voigts Inszenierung über die politische Umbruchsstimmung am Ende des 18. Jahrhunderts leider nicht her. Sie orientiert sich formal sehr an Setzungen des Theaters aus Goethes Epoche: es werden die Positionen auf der Bühne, die Körper- bis in die Fingerhaltung und die Art des Sprechen bis ins Kleinste festgelegt. Diese Vorgaben überlagern das Individuelle, was die Inszenierung auch dadurch noch unterstreicht, dass einige Textpassagen von einem Schauspieler gesprochen werden, während ein anderer seinen Mund dazu bewegt. Manchmal sprechen aber auch beide unterschiedlich akzentuiert, was das akustische Verständnis für die Zuschauer dann erschwert. Es gibt gelungene Momente, in denen sich die Gemeinschaft auf lange verinnerlichte Tugenden lachend rückbesinnt, im nächsten Augenblick angesichts des Kanonendonners jedoch nacheinander hochschreckt. Insbesondere das Lichtdesign überrascht mit verschieden Zwischentönen (Licht: Lothar Krüger). Der Inszenierung hätte jedoch eine dynamischere Personenregie und mehr Interaktion zwischen den Figuren nicht geschadet. Einige Längen ermüden dann doch etwas. Die letzte Szene, in der ein vergesslicher und desorientiert wirkender Senior eine Tasche in seinem Rucksack sucht, mutet allzu sinnentleert an.



Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten am Theater Bonn | Foto (C) Thilo Beu

Ansgar Skoda - 30. November 2016 (2)
ID 9716
UNTERHALTUNGEN DEUTSCHER AUSGEWANDERTEN (Werkstatt, 24.11.2016)
Regie und Raum: Luise Voigt
Kostüm: Maria Strauch
Musik: Björn SC Deigner
Licht: Lothar Krüger
Dramaturgie: Nadja Groß
Besetzung:
Baronesse von C. … Birte Schrein
Der Geistliche … Bernd Braun
Friedrich … Manuel Zschunke
Karl … Daniel Breitfelder
Luise … Mareike Hein
Premiere am Theater Bonn: 24. November 2016
Weitere Termine: 2., 16., 29. 12. 2016 / 11., 14., 19. 1. 2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de/


Post an Ansgar Skoda

http://www.ansgar-skoda.de



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