Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Premierenkritik

Sommer 14 von Rolf Hochhuth zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs - inszeniert von Torsten Münchow im Theater am Schiffbauerdamm



Plakataushang Sommer 14 am Berliner Theater am Schiffbauerdamm - Foto (C) Stefan Bock

Bewertung:    




Nachdem es noch im Juni 2013 die üblichen Drohgebärden von Seiten Rolf Hochhuths in Richtung Claus Peymann, dem der Senat das Gebäude des Berliner Ensembles untervermietet, und sogar eine Kündigungsklage gegen den Senat gegeben hatte, war es in der letzten Zeit etwas ruhiger um die beiden Streithähne geworden. Wenn nicht bei unsachgemäßen Bauarbeiten am Dach des BE die Sprinkleranlage ausgelöst worden wäre, die die Bühne dann mit mehreren Tausend Litern Löschwasser überflutete, man hätte vermutlich gar nicht erfahren, dass es Rolf Hochhuth in diesem Jahr tatsächlich gelungen ist, eines seiner Stücke im Theater am Schiffbauerdamm, wie die Immobilie im Besitz der Hochhuth'schen Ilse-Holzapfel-Stiftung für die Sommerbespielung dann wieder heißt, zur Aufführung zu bringen.

Nicht nur passend zur Jahreszeit, auch anlässlich der 100. Wiederkehr des Beginns des Ersten Weltkriegs hat Hochhuth sein 1990 am Wiener Akademietheater uraufgeführte Stück Sommer 2014 - Ein Totentanz wieder ausgegraben und die Premiere pünktlich zum 1. August angesetzt. Aber wie immer geht auch das bei Hochhuth nicht ganz ohne Querelen ab, und so bauscht dann der Autor kurz vorher in der Presse die Inszenierung seines Stücks zur Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts zu einer mittleren Bühnenkatastrophe auf und rät dem potentiellen Publikum vom Besuch der Aufführung ab. Noch vor ein paar Tagen zeigten sich Hochhuth und der in letzter Minute engagierte Regisseur Torsten Münchow bei einem Pressetermin im BE [richtiger: im Theater am Schiffbauerdamm] zuversichtlich Seite an Seite. Nun plötzlich der Bruch. Hochhuth lässt verlauten, Münchow habe sein Stück verhunzt und verjuxt. Der Schauspieler, Gelegenheitsregisseur und die Synchronstimme von Kinostars wie Antonio Banderas, Gérard Depardieu oder Adam Sandler würde seine Schauspieler persönlich und ihre historischen Rollen total entwürdigen.

Die Frage nur, die sich angesichts solcher Vorwürfe stellt: War es bei Hochhuths Sommertheater je anders? Erst 2010 floppte sein Stück Inselkomödie oder Lysistrate und die Nato als peinliche Musical-Nummer unter Regisseur Florian Fries am Berliner Ensemble. Nun hat also Torsten Münchow eine Schauspieltruppe zusammengecastet, die (wie damals) aus Ex-Stars-und Sternchen der deutschen Unterhaltungskunst sowie hoffnungsvollen Jungtalenten besteht. Darunter (wie schon 2010) Fernsehschauspielerin und Moderatorin Caroline Beil, Schauspieler und Ex-Liedermacher Reiner Schöne, der nicht erst durch einen Auftritt im Dschungelcamp bekannte Film- und Fernsehmime Mathieu Carrière und last but not least Serienstar Ottfried Fischer als Kaiser Franz Josef. Ebenfalls einen kurzen Gastauftritt hat der „Coiffeur der Leidenschaft“, Promifriseur Udo Walz.

Prominente der Zeitgeschichte lässt auch Rolf Hochhuth in seinem eher moralisch inspirierten Enthüllungsstück über die Ursachen des Ersten Weltkriegs auftreten. Er legt die 13 Spielszenen, in denen Waffenlobbyisten, führende Politiker und die gekrönten Häupter Europas jener Zeit ihre wahren Motivationen am Krieg offenbaren, dann auch nicht wirklich ironisch an. Das hat nun Torsten Münchow in seiner Inszenierung, für die kaum vier Wochen Probenzeit waren und nur knapp 8 der ursprünglich 13 Szenen übrig blieben, zur Erschütterung des Autors etwas anders gesehen.

In einer Saunalandschaft als Wellnesshölle (oder -himmel, je nach Sichtweise) mit flauschigem Flokati-Teppich tummeln sich die verblichenen Oberhäupter der fünf sich feindlich gegenüberliegenden europäischen Reiche in Bademänteln und Schlappen. Vormontiert ist ein Prolog über die Unzulänglichkeit des schaffenden Menschen (Homo faber), die Errungenschaften der Wissenschaft friedlich zu nutzen. Hierbei treffen in griechischem Tragödienton aufeinander: der Kentaur Nessos (nackt und mit Erde beschmiert: Kathrin Höhne), Daidalos (im Overal mit Vogelkopf: Vitesha Benda) als Bringer des Fortschritts wie moderner Flugzeuge und der Tod (Kathrin Höhne), der erst als Putzfrau den Müll der Geschichte aufkehrt und dann im schwarzen Gewand bedeutsam über das Schicksal raunt. Die Drei wohnen weiter stumm und nur gelegentlich kommentierend dem Geschehen bei.

Das lässt sich zunächst recht gut an, wird aber im Folgenden zu einem Defilee der Peinlichkeiten und einer Offenbarung inszenatorischer wie darstellerischer Defizite. Das geht von Ottfried Fischer, der seinen Text als greiser Kaiser Franz Joseph eher beiläufig ironisch zur Seite weg nuschelt, über eine Dart spielende zynische Churchill-Karikatur (Jens Schleicher) bis zum täppischen Knallchargenstadel preußischer Offiziere wie Großadmiral von Tirpitz (Rüdiger Joswig) und Generalstabschef von Moltke (Christian Mey). Man nimmt ihnen im flauschigen Bademantel die Einfädelung ihrer kriegerischen Machenschaften nicht wirklich ab. Dagegen kommt Großfürst Nikolai, Cousin Zar Nikolaus II. und Oberbefehlshaber der russischen Streitkräfte (Hans Leonard Wales als russischer Bär mit blanker behaarter Brust) mit einem Cocktail deutsch verwässerten russischen Blutes noch vergleichsweise gut weg.

Auch der Kurzauftritt von Udo Walz mit Kaiser-Wilhelm-Bart fällt, da nicht weiter sinnführend, halbwegs harmlos aus. Man hätte ihm so ausstaffiert eigentlich auch noch gut die Rolle des deutschen Kaisers übertragen können. Gänzlich ohne Bart gibt nun Mathieu Carrière den mehrfach gehandicapten Hohenzollernspross und großen Flottenfanatiker Wilhelm II. im Bademantel mit festgebundenem Krüppelarm und Sonnenbrille. Dieser windet sich noch angesichts des Attentats in Sarajewo ob seiner Kriegsunschlüssigkeit und ist doch längst von seiner intriganten, Boccia spielenden Regierungsriege unter Reichskanzler Bethmann Hollweg (Reiner Schöne) ausgebootet. Da bleibt ihm nur in einer neuen Schlafanzughose den Krieg zu erklären.

Dass es auch Stimmen des Zweifels und zur Kriegsvermeidung vor allem in Frankreich gegeben hat, klingt in Hochhuths Stück ebenfalls an. Hier lässt Münchow gnadenlos Boulevard spielen. So knallt die Frau (Caroline Beil) des französischen Premierministers und Kriegsgegners Caillaux den rechten Journalisten Calmette (Hans Piesberger) über den Haufen. Der französische Sozialist Jean Jaurès (wieder Hans Piesberger), der am Vorabend des Weltkriegs einem nationalistisch aufgehetztem Attentäter zum Opfer fiel, muss sein Plädoyer gegen den Krieg in einer Art Fernsehshow halten. Und der Disput zwischen Giftgaserfinder Dr. Haber (Thomas Giebel) und seiner Frau (Vera Tavares) über die Verantwortung des Wissenschaftlers gerät schließlich zum Rührstück.

Die Stimmen aus dem gemeinen Volk und der Waffenindustrie sind bis auf zwei Ausnahmen weitestgehend ausgeblendet. Die lose und qualitativ recht unterschiedlichen Spielszenen werden durch Lehar-Walzer und alte Revuenummern von Walter Kollo wie "Der Soldate, der Soldate und Ich glaube, da oben fliegt 'ne Taube" (gesungen von Wiltrud Weber) zusammengehalten. Und so tanzt alles lustig eine Polonaise in den Abgrund. Ganz zum Schluss kommt noch mal der Hochhuth'sche Zeigefinger raus, als Timothy Stachelhaus als junger gefallener Soldat von der Rampe ein zorniges „Gehorcht nicht!“ ruft. Das Ganze klingt wie eine deutsche Parodie auf Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus. Aber das ist hier eben nicht Wien oder Salzburg, sondern nur das Theater am Schiffbauerdamm. Doch scheitern kann man überall. Torsten Münchow hat sich bemüht und macht den Abend lautstark dem vergrätzten Autor Hochhuth zum unerwünschten Geschenk. Draußen bei der Premierenfeier ruft er dann sein Ensemble im Kasernenhofton zum Shooting für die Pressefotografen. Wenigstens einer, der mit seiner Stimme für mächtig Stimmung sorgte.




Sommer 14 von Rolf Hochhuth im Berliner Theater am Schiffbauerdamm - Foto (C) Barbara Ellen Volker



Stefan Bock - 2. August 2014
ID 7983
SOMMER 14 (Theater am Schiffbauerdamm, 01.08.2014)
Regie: Torsten Münchow
Bühne und Kostüme: Andreas R. Bartsch
Musik: Tom Leonhardt und Wiltrud Weber
Mit: Mathieu Carrière, Diana Körner, Reiner Schöne, Caroline Beil, Rüdiger Joswig, Hans Piesbergen, Christian Mey, Kathrin Höhne, Vitesha Benda, Jens Schleicher, Barbara Frey, Thomas Giebel, Vera Tavares, Maike Knirsch, Timothy Stachelhaus, Ottfried Fischer und Udo Walz
Premiere war am 1. August 2014
Weitere Termine: 3., 7. - 9. 8. 2014
Eine Produktion der Ilse Holzapfel Stiftung
Kartentelefon: 0170-7334629 und üblicher Vorverkauf
Infos: sommer-1914@gmx.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)