Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Premierenkritik

Kommando Himmelfahrt spielte Paradise Lost nach John Milton



Kommando Himmelfahrt: Paradise Lost - Foto (C) Distruktur | Bildquelle http://www.kampnagel.de

Bewertung:    



Es ist lichtlos, dunkel die Bühne, um die großen Fragen des Lebens aufzuwerfen.

Luzifer, einst Lichtträger, wurde zum Gott der Finsternis. Hochmütig wollte er seinen Thron über den Sternen Gottes aufstellen, er wurde verachtend als Bastard hinab gestoßen. Durch den Glanz seiner venusgleichen Schönheit hatte er die Himmelsbewohner verführt, den Neid in die Welt gebracht. Im Jammertal unseres Daseins bleibt ihm allein der Wille, der unbezwingliche. Ihm ist die harte Freiheit lieber als das Dienen im Himmel. Es entsteht die Frage: Wer ist nun Herrscher, wer der Unterwerfer? Es gibt fortan ein Oben und ein Unten. Hier unten, wo die Menschen sind, aus welchem Stoff auch immer gemacht - wie kann man sie beherrschen? Gott wird zum Feindbild, das ist die Rache des Teufels. Aus mit der Erlösung. Es gibt kein Zurück.

Die Niederlage ließ sich also von Luzifer umarmen, und so stürzte dieser Erzengel mit hartem Aufprall in die Realität und auf unsere Erde. Größe? Was nennt man nun groß? Es bleibt allein der unbezwingliche Wille; Satan ist einer, der sich nie unterwirft.

Die Projektionsleinwand wird erstmals entrollt und zeigt die Weltkarte. „The New World.“ Der Teufel kriecht und schleicht sich heran. Wir wissen, er ist hinterlistig, er sagt, Gott habe es gesät, das Böse. Der Himmel war sein Wohnsitz einst, jetzt ist er fern, Bosheit und Zweifel kamen über die Welt. Des Teufels Worte: „In mir traf ich die Hölle. Die Sonne blendend, hasste ich den Strahl zutiefst. Wo? - Wo nur ist die Liebe?“ Nicht auf der Bühne, nicht hinter dem Publikum, nirgends kann der Teufel die Liebe finden. Die Leere nahm ihn auf.

In den Garten Eden ging der Teufel, sah Adam in voller Haarpracht und Eva mit goldenen Locken, beider fleckenlose Unschuld, in Liebe sich umarmend. Tiere umgrasten sie. Die Schlange, das klügste aller Tiere, wählte der Teufel sich zu seiner Bosheit. Fortan will ich „sie“ zum Teufel sagen.

*

Stellen Sie sich also den Teufel (Sarah Sandeh) als ein sexy schönes Objekt der Begierde vor, in Gestalt einer wunderschönen Frau mit vollem dunklem Haar, mit sexy Silberhose und spitzen Hackenschuhen, am Rücken tiefblaue Luftballons als Flügel. Ein Flüchtling des Himmels?

Als Luzifer einst vom Himmel gefallen, fristet sie ihr Dasein nun im tiefsten Dunkel der Welt. Die Flügel stutzt sie sich selbst mit einer Nadel, denn es sind ja Luftballons. Sie knallen und läuten eine neue Ära ein: den Rausschmiss aus dem Paradies. Wir haben das Paradies nie gesehen, auch hier auf der Bühne erscheint es nicht, es wird ewig in unserer Vorstellung bleiben.

Ein Männerchor (Bernd Breckwoldt, Michael Dvorak, Reinhard Flemisch, Toni Grotzke, Werner Homann, Rainer Kudziela, Atli Samel, Wolfgang Schreiber, Rainer Sprunkel und Stephan Peiffer) - wie es heißt, aus dem Umfeld der 68er - hat die Bühne betreten. Diese Bühne ist spartanisch, ein Nichts, jedoch beeindruckend klar aufgeteilt, vorne in Reihe, dieser Herrenchor, dazwischen der Teufel, mittig dahinter das Schlagzeug mit einem grandiosen Mann an den Stöcken, mal wild, dann wieder leise auf den Punkt. Daneben links der Gitarrist und der Bass und Keyboard und Orgel rechts. Und wieder wird von den Herren die Leinwand entrollt, welche das gepeinigte Gesicht der Teufelin im Großformat zeigt.

Vieles ist passiert, hat uns unweigerlich geprägt. 100jährige, 30jährige Kriege, Kreuzzüge, Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon, Internet, Börsensturz - was ist nur alles geschehen?

Mann contra Frau - ist es das? Wie verhält sie sich zu ihm, und er zu ihr? Wer stellt sich über wen? Es geht in dieser unserer Welt um Macht und Überlegenheit. Was ist eigentlich die Todessünde? War es das Essen des Apfels, die Gier Adams, die brünstige Sinnenlust? Sie schreit es hinaus und wird immer schöner mit ihrem Hass. Dem Vertrauen war Zwietracht gewichen, der sexy Teufel in Silberglamé schreit es heraus: Morde, Kriege, Eroberungen, eine nicht endende Geschichte von Gewalt, Staatsreligionen, Entdeckungen, Leonardo da Vinci, Kolumbus, die Thesen Luthers…

Die Alt-68er sind alt geworden, brauchten sie eine weiße Weste oder eine Maskierung, als sie sich ihre T-Shirts auszogen, ihre nackte Brust zeigten und sie mit weißer Schminke bedeckten, ebenso ihre Gesichter? Weiß - die Farbe der Unschuld, doch nicht alles lässt sich bedecken. Sie sind nackt, wohl wissend um die nackten Tatsachen der Welt. Fühlen auch sie sich schuldig am Lauf der Dinge trotz all der Proteste und Aufbegehren gegen die bürgerliche Gesellschaft?

Nebel steigt auf, Rauchschwaden von Drogen, die 68er singen vor der Projektionswand, auf der Formeln zu sehen sind. Man ist an den Drogenpapst erinnert, wie er im Kalifornischen Labor bewusstseinserweiternde Drogen ersinnt, LSD, Pflanzen der Ekstase. „Dont be a victim!“ -„Haschrebellen! Hippies! - seid nicht Opfer, genießt das Böse, den freien Sex, den Rausch, all das was die Gesellschaft euch verbietet!“ Und wenn man die gesungenen Texte des Chores auch oft akustisch nicht versteht, weil bisweilen in englischer Sprache, verbuche ich es unter „Entertain the world“. Dazu wechselt die Teufelin ihr Kostüm. In einer grün leuchtenden Halskrause, welche weit über ihren Kopf hinaus ragt, mit Lichtern bestückt und langer Tüllschleppe, schreitet sie über die Bühne. Wie grüne Schwaden zog sich der eingebildete Marihuana-Geruch die Ränge hinauf durch das Publikum.

Und der Baum im Paradies war voller Früchte, jetzt vollzog sich eine Wahrnehmung der Geschlechtlichkeit, verführerischer Fülle, voll Lust, instinkthaft scheint Vernunft fern zu sein. Die Sprache erweckt durch den Geist spricht von „schön und gut“. Die Verlockung flüstert „Ihr könnt nicht sterben. Der Biss in den Apfel wird alles ändern. Erkenntnis wird die Folge sein, weil ihr euch über die Geschicke erhebt.“ Die Teufelin spricht klar und deutlich, Texte, dass einem schwindelig wird. Sie erzählt die Geschichte von uns Menschen.

So endet diese schöne Welt. Verflucht ist sie.

Diese epische Reise in die Urgeschichte der Rebellion mit dem gefallenen Engel, der die Wut herausschreit, weil verstoßen - überall hat sie die Liebe gesucht und nicht gefunden. Alle Aufstände, Rebellion waren vergeblich. Gegen was hat man eigentlich gekämpft? Oder ist alles nur Fantasie? Gott der Finsternis. Gott ist tot!

Über den Apfel also wurde die Saat der Rebellion weitergetragen, ewiger Sündenfall, willenlos passierte die Verführung. Oder war doch Wille im Spiel? Der Apfel, starkes Symbol bis zum heutigen Tage - auch er ist Teil unserer Geschichte. Fortan wird Gewalt unser Weg. Und dann werden wir alt, müssen sterben, das Paradies ist verloren, die Unschuld dahin.

Paradise lost - uns bleibt nur das Weitermachen.

Und mögen wir nicht alle die Rolle des Bösewichts? Satan, ein stolzer ehrgeiziger Engel, der sich gegen Gott auflehnte und den Höllensturz erleidet. Intelligent und aufklärerisch, als er den Garten Eden betritt und in Gestalt der Schlange Adam und Eva verführt, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Satan ist das Böse, aber zugleich auch Luzifer, das Licht, die Kehrseite des Bösen und somit das Gute. Und wisset: Auch das geringste Licht wird die Dunkelheit erhellen.




Kommando Himmelfahrt: Paradise Lost - Foto (C) Julia Kneuse | Bildquelle http://www.kampnagel.de



Liane Kampeter - 7. Juni 2014
ID 7895
PARADISE LOST (Kampnagel, 04.06.2014)
Von Kommando Himmelfahrt (Jan Dvorak, Thomas Fiedler und Julia Warnemünde) in Zusammenarbeit mit niedervolthoudini (Carl-John Hoffmann) & Claudio Pohle sowie Hannah Barbara Dittrich, Hilke Geppert, Maria Graf und Anika Väth
Mit: Sarah Sandeh, Männerchor (Bernd Breckwoldt, Michael Dvorak, Reinhard Flemisch, Toni Grotzke, Werner Homann, Rainer Kudziela, Atli Samel, Wolfgang Schreiber, Rainer Sprunkel, Stephan Peiffer) und der Band »Himmelfahrt Music Hall« (Christian Bekmulin, Jan Dvorak, Andrew Krell, Leo Lazar)
Premiere war am 4. Juni 2014
Weitere Termine: 7. + 8. 6. 2014
Eine Produktion von Kommando Himmelfahrt in Koproduktion mit Kampnagel


Weitere Infos siehe auch: http://www.kommando-himmelfahrt.com


Post an Liane Kampeter

http://www.liane-kampeter.de



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

THEATERTREFFEN

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)