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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Kein

„Uhh!!“,

nirgends.



Othello am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Krafft Angerer

Bewertung:    



Man soll immer mit dem Positiven anfangen.

Das Dresdner Schauspielhaus war ein gutes halbes Jahr Baustelle, nun hat es das Publikum wieder, dezent erneuert, auch die Toilettenfrage scheint gelöst.

Und nach der Premiere gab es ein wirklich wirklich wirklich großartiges Konzert von Schlägerpunk, einer Kapelle aus Schauspiel-Studenten, die die alten Mauern und fast noch den Intendanten zum Tanzen brachte.

Und sonst?

Eine Premiere war auch, ja. Ich bin gemeinhin ein höflicher Mensch und würde gern darauf nicht weiter eingehen, aber so etwas ist im Genre Premierenkritik nicht vorgesehen, also lassen wir dem Unheil seinen Lauf...

*

Eigentlich begann es ziemlich großartig, Ahmad erzählte aus seinem Leben als Fremder wider Willen. Schon lustig, wenn man als Prenzelberg-Geborener plötzlich für sein gutes Deutsch gelobt wird. Er führt damit fast unmerklich in das Stück hinüber, der Abend hat senen besten Moment gehabt, wie man nachher wissen wird.

Im Kontrast zur kärglichen Vorspiel-Bühne schweben nun Damen in kostümierter Opulenz vom Bühnenhimmel, Jago bindet das Publikum ein in seine Intrige, der Mohr hat deutlich mehr als seine Schuldigkeit an des Senators Tochter getan und kann nun mit ihr gehen. Besser gesagt, er muss, die Türken stehen vor Zypern. Er trifft eine falsche Personalentscheidung, der goldgestrichene Doge von Venedig (Thomas Schumacher) rappt fast abendfüllend irgendwas, was sich zumindest akustisch gut anhört. Ein dicker Nackedei (Simon Käser wurde mit dem Rodrigo wofür auch immer bestraft) karrt einen Sandhaufen auf der Bühne zusammen, putzige Wesen üben dabei Gymnastik. Kling blöde, war auch so.

Das Ganze formt sich dann doch zu einem hübschen Bühnenbild (Julia Hansen), das die Handlung davor allerdings noch blasser aussehen lässt. Rodrigo darf sich in seinem eigenen Sandhaufen einbuddeln, was Cassio und Jago (Daniel Sträßer a.G. mit einer passablen Leistung, aber auch nicht völlig überzeugend) nach deren alberner Sekt-Szene auch zu gönnen gewesen wäre. So bleibt es bei der Fremdscham des Berichterstatters.

Selbst der stückprägende Dialog zwischen Othello und Jago bleibt blass im fahlen Bühnenlicht, das vermag alles nicht zu fesseln, man hat zwischendurch viel Zeit zum Nachdenken. Oftmals sind die Darsteller (von Mesgarha abgesehen) auch schlicht zu leise dafür, dass sie oftmals nach und von hinten sprechen müssen. Da wird dann doch das gediegene Regie-Handwerk vermisst, das man sonst am Hause gewohnt ist.

Was er weiß, macht ihn heiß, was er zu wissen glaubt, noch mehr, so ist das mit dem Mohren. Da wird dann das Bühnenbild zerlegt, zur Hälfte zumindest, bis der reitende Bote des Dogen kommt, in sehenswerter Bekleidung (Sunneva Ása Weishappel mit schönen venizianischen Zitaten), aber einem beklagenswert dämlichen Rollenansatz. Othello soll zurück an die Heimatfront, der eben erst geschasste Cassio wird General, warum auch immer. Nicht nur dies lässt mich in der Pause rätseln.

Eine Pause bekommt Alexander Angeletta als Cassio nicht, er muss durch das Premierenpublikum streunen, das sich an der gewohnt behäbigen Wein-Ausgabe des Restaurants geduldig aufreiht. Die letzten dürfen wie immer ihren Becher stürzen, was den ganzen Unfug dann vielleicht erträglicher macht.

Dass Cassio dann seine Geliebte Bianca (Paula Skoruba ohne Chance, irgendetwas anderes als Beine und Po zu zeigen) am Unterleib erschnüffelt und sich weiter besaufen darf, dass Jago seinem Werkzeug Rodrigo nach der neuerlichen Gehirmwäsche den Filzstift ins Gesäß rammt - - es wird einem schnell gleichgültig. Soll‘n die doch machen da oben, der Abend ist eh im Eimer.

„Alles auf Anfang“ wäre eine gute Idee, aber Othello belässt es bei der Ankündigung. Den Rest der Bühne zerlegt nun Desdemona, Katharina Lütten hat ihre Rolle ab da mit Gebrüll und Hysterie zu füllen. Die eigentlich famos gedachte Schwarz-Färbe-Szene wäre ohne diese Lautmalerei deutlich eindrücklicher gewesen, und wenn ich nicht den naheliegenden Island-Scherz hätte machen wollen, würde dieser Text „Paint it black“ heißen. Aber so ist man im Saal spürbar erleichtert, als dem Gekreisch ein Ende gemacht wird. Das ist aber noch nicht die Würge-Szene, zuvor wird noch dramatisch geblickt, gestanden und gegangen, dass man in jeder Schulaula damit brillieren würde, eine Kostümdiskussion geführt – die in einer guten Inszenierung eine willkommene Auflockerung gewesen wäre, hier aber nur Peinlichkeit verbreitet – und shakespearegerecht zahlreich gestorben, zumeist nackend und am Rotwein. Immerhin, singen kann er, der Daniel Sträßer.

Seltsam freischwebend – also zusammenhanglos – dann noch eine Ansprache zu den Frauenrechten (Lucy Emons als Emilia gefiel mir gut), und endlich neigt das Gewürge sich dem Ende entgegen, bekanntlich mit Gewürge. Das ist ganz hübsch vertheatert, das Playback hilft der Verständlichkeit, und Ahmad Mesgarha kann sich endlich in das Stück zurückmelden, in dessen Regie-Konzept er seit einer Stunde nicht mehr vorkam. Schade, aber unter diesen Bedingungen blieb auch er unter seinen großen Möglichkeiten.

Die Schlussszene versinkt im Bühnenboden. Zumindest dieses Bild ist trefflich gewählt.

Das kleine Island hat im Sommer nicht nur mit „Uhhh!!!“ auf sich aufmerksam gemacht. Ein klein wenig von dieser Kraft wär schön gewesen, und dann vielleicht auch in eine theatralere Richtung. Thorleifur Örn Arnarsson? Ein beeindruckender Name, aber merken muss man ihn sich wohl nicht.

(Dass die in diesen Übergangszeiten als (alles andere als graue) Eminenz am Hause fungierende Chefdramaturgin Beate Heine ebenjene bei diesem Betriebsunfall verantwortete, treibt mir dann aber schon die Sorgenfalten auf die Stirne. „Sowas wollen unsere Menschen nicht sehen“, … manche Zitate sind zeitlos, auch in ihrer Anmaßung. Ich präzisiere also: „Sowas“ möchte ich bitte nicht mehr sehen.)




Othello am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Krafft Angerer

Sandro Zimmermann - 31. Oktober 2016
ID 9651
OTHELLO (Schauspielhaus, 29.10.2016)
Regie: Thorleifur Örn Arnarsson
Bühne: Julia Hansen
Kostüm: Sunneva Ása Weishappel
Musik: Arnbjörg María Danielsen
Video: Wanja Saatkamp
Licht: Michael Gööck
Dramaturgie: Beate Heine
Besetzung:
Othello ... Ahmad Mesgarha
Jago, Othellos Fähnrich ... Daniel Sträßer
Desdemona ... Katharina Lütten
Cassio, Othellos Leutnant ... Alexander Angeletta
Emilia, Jagos Frau ... Lucie Emons
Bianca, Cassios Geliebte ... Paula Skorupa
Rodrigo, ein junger Herr aus Venedig ... Simon Käser
Brabantio, Senator, Desdemonas Vater ... Lars Jung
Der Doge von Venedig ... Thomas Schumacher
sowie Maria Hänsel, Karola Hanke, Anne Heinelt, Annett König-Mucka, Tina Lohse und Sigrid Woehl
Premiere am Staatsschauspiel Dresden war am 29. Oktober 2016
Weitere Termine: 31. 10. / 9., 18., 25. 11. / 1. 12. 2016


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


Post an Sandro Zimmermann

teichelmauke.me



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