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Premierenkritik

Leben ist Traum nach Calderón de le Barca - Eine Open-Air-Produktion des Zygmunt Wolski Theaters auf dem catwalk im ACUD Innenhof



Leben ist Traum - Foto (C) Zygmund Wolski Theater

Bewertung:    



Das ACUDtheater im Haus des 1990 gegründeten Kunstvereins ACUD e.V. in der Berliner Veteranenstraße 21 feiert sein rundes Gründungsjubiläum. Ob nun das 20. oder 25., da ist man sich allerdings nicht ganz sicher. Sicher ist aber - als Geschenk führt das gastierende Zygmunt Wolski Theater den ganzen August über ein Stück nach Pedro Calderón de le Barca (1600-1681) auf dem Open-Air-catwalk im Innenhof des Kunsthauses ACUD auf. Premiere war gestern (9. August).

Der recht erfolgreiche spanische Dichter und katholische Geistliche Calderón verfasste im 17. Jahrhundert über 100 Dramen und etliche sakrale Fronleichnamsspiele. Zweifellos ein spanischer Vorreiter des Österreichers Hugo von Hofmannsthal (Dichter des Jedermann). Und so hatte jener auch eines von Calderóns bekanntesten Stücken La vida es sueño (dt.: Das Leben ein Traum) für sein Trauerspiel Der Turm bearbeitet. Weitere Übertragungen ins Deutsche stammen von Franz Grillparzer und Johann Diederich Gries. Für welche der vielen Übersetzungen des 1635 in Madrid uraufgeführten Versdramas sich das 1996 in Berlin gegründete Zygmunt Wolski Theater entschieden hat, ist nicht bekannt. Vermutlich ist es aber schon die gebräuchliche Fassung von J. D. Gries aus dem Jahr 1817.

Regisseur Felix Goldmann hat Calderóns mit ellenlangen Monologen versehene Drama leicht bearbeitet, sinnvoll auf ca. 90 Minuten gekürzt und Leben ist Traum genannt. Auf eine übliche Modernisierung oder ironische Zwischentöne verzichtet er aber weitestgehend. Man spricht die barocken Verse und trägt zum Teil heutige Kleidung. Die Schauspieler laufen gleich zu Beginn zur Präsentation der einzelnen Charaktere über den hölzernen Catwalk, zu dessen beiden Seiten das Publikum sitzt. An einem Ende des Laufstegs ragt der Kopf eines der Darsteller wie geistesabwesend aus einer Öffnung in den Brettern.

Es ist der eingesperrte Prinz Sigismund (Heiko Schendel), Erbe eines fiktiven Königreichs Polen und an eine Art barocken Kaspar Hauser erinnernde Hauptperson des Stücks. Sigismund wurde wegen böser Prophezeiungen, er werde sich zu einem Tyrannen entwickeln, von seinem Vater Basilius (Rike Eckermann), dem König von Polen, nach der Geburt in einen Turm gesperrt. Nach Jahren, in denen nur der Lehrer Clotald (Samuel Zekarias) Zugang zum Turm hatte, lässt ihn sein Vater für einen Tag auf Probe frei. Falls er sich als würdig erweisen sollte, würde ihm Basilius seine Krone übergeben. Sollte sich aber die Prophezeiung erfüllen, was sie dann auch tut, dann müsste man Sigismund betäubt wieder in den Turm werfen. Seine Herrschaft wäre dann nichts als ein kurzer Traum.

Hätte, wäre, wenn… Was wie eine griechische Schicksals-Tragödie des Sophokles klingt, hat Calderón aber als christlich-philosophisches Lehrstück gedacht. Jahre vor der Aufklärung und Schillers ästhetischer Erziehung beschäftigte sich der spanische Dichter offensichtlich schon mit der Frage: "Was macht den Mensch zum Menschen?" Ist Calderóns Sigismund noch wie ein wildes Tier, mit Fellen behängt und in Ketten sein Schicksal beklagend, wirkt Heiko Schenkels Sigismund, nackt bis auf einen Short, zunächst wie ein unschuldiges Kind. Die plötzlich gewonnene Freiheit nutzt der in einen roten Uniformrock gesteckte, unbeholfene Herrscher, wie es ihm beliebt. Seine Macht ungestüm erprobend, trägt er einen Diener, der ihn ermahnen will, nach draußen und wirft ihn vom Balkon ins Meer.

Die so düpierten Granden des Hofes, Astolf (Anders Kamp), Herzog von Moskau und Estrella (Sabine Roßberg), Nichte des Königs, sehen nun ihre Chance, selbst die Nachfolge Basilius' antreten zu können, wieder gekommen. Die beiden Intriganten wollen sich durch eine Heirat die Krone sichern. Parallel dazu erzählt Calderón die Geschichte Rosauras (Susanne Heubaum), die einst von Astolf in Moskau verführt und dann verlassen wurde. Um sich zu rächen und ihre Ehre wieder herzustellen, kommt sie als Mann verkleidet mit einem riesigen Schwert bewaffnet nach Polen. Sie hat den Narren Clarin (Barbara Smilowska) im Schlepptau. Der gewiefte tragikomische Schalk dient sich sofort dem nächst besten an, und versucht auch sonst, möglichst schadlos über die Runden zu kommen.

Sigismund, der Rosaura, die ihm als Kammerzofe im Dienste Estrellas am Hofe begegnet, begehrt und fast vergewaltigt, wird schließlich mit einem großen Netz, das über der Szene hängt, gefangen, betäubt und wieder in sein Verließ geschleppt. Der Weg für Astolf und Estrella scheint nun frei. Durch eine Revolte des Volkes, die sich lautstark hinterm Vorhang abspielt, wird Sigismund jedoch wieder befreit und erneut inthronisiert. Er zieht gegen seinen Vater in den Krieg. „Die Freiheit hofft auf dich“, skandiert der Chor der Aufständischen. Aber nicht grausam und stolz demütigt er den Unterlegenen, sondern beugt sich, geläutert durch seinen ersten missglückten Versuch als Herrscher, den er wie die ganze Welt für einen gottgewollten Traum hält, dem Urteil des Vaters. Als gelehriger Schüler wird Sigismund nun zu einem gerechten König. Er nimmt standesgemäß Estrella zur Frau und verzichtet auf Rosaura, die durch die Heirat mit Astolf ihre Ehre wieder herstellen kann.

Das ist so eine heute kaum noch zeitgemäße Denk- und Handlungsweise. Berechtigte Zweifel sind da durchaus angebracht. Wird hier doch eher restaurativ die alte Herrschaft wieder hergestellt. Felix Goldmann inszeniert das Drama dann auch ganz zuallererst als Ränkespiel um Macht und persönliche Interessen, an dem sich alle vortrefflich beteiligen. Aber auch aktuelle, moralische Aspekt und philosophische Fragen werden nicht vernachlässigt. Ist die Welt, alles Leben und Herrschen nur ein Traum? Gibt es einen freien Willen, ein wahres Leben vor dem Tod? Sigismund ist auch ein Herrscher, der sein Tun und damit sich selbst in Frage stellt. Seine Schlüsse daraus sind jedoch immer wieder neu zu bewerten. Und so schauen auch die Darsteller zum Schluss etwas ungläubig ob der Entscheidungen Sigismunds in die kleine Videokamera.



Leben ist Traum - Foto (C) Zygmund Wolski Theater


Stefan Bock - 10. August 2014
ID 8012
LEBEN IST TRAUM (ACUDtheater, 09.08.2014)
Regie: Felix Goldmann
Ausstattung: Jens Uwe Behrend
Musik: Grit Lindau & Anders Kamp
Technik: Daniel Semke
Mit: Rike Eckermann (Basilius), Susanne Heubaum (Rosaura), Anders Kamp (Astolf), Sabine Roßberg (Estrella), Heiko Schendel (Sigismund), Barbara Smilowska (Clarin) und
Samuel Zekarias (Clotald)
Premiere war am 9. August 2014
Weitere Termine: 9., 10., 15., 17., 21.-24., 27.-29., 31. 8. 2014
Eine Zygmunt-Wolski-Theaterproduktion
http://wolskitheater.de


Weitere Infos siehe auch: http://www.acud.de/


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de




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