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Premierenkritik

History Repeating: Dantons Kampf für demokratische Werte



Dantons Tod am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

Bewertung:    



Paris 1794: Die Stimmung ist ausgelassen. Kurz zuvor ist der Nationalkonvent begründet worden, der im Zuge der seit 1789 eingeleiteten Revolution dem Volk eine demokratische Stimme geben soll. Grandios betten Alexander Charim, Ivan Bazak und Maria Schneider das Geschehen von Georg Büchners Revolutions-Drama Dantons Tod in ein Szenario ein, das klar auf Godards Spielfilm Die Chinesin anspielt. Gleich auf mehreren Ebenen liefern sie einen großartigen Brückenschlag auf verschiedene Ereignisse, die aufzeigen, dass sich bestimmte Kapitel der Geschichte zu wiederholen scheinen: Die WG einer politisch ambitionierten Gruppe junger Menschen stellt das Bühnenbild dar, neben dem originalsprachigen Plakat des besagten Films zieren Poster mit den Konterfeis der Revolutionäre Che Guevaras und Fidel Castros die Wände. Das lasziv lächelnde Gesicht Marylin Monroes stilisiert die personifizierte Freiheit auf dem berühmten Gemälde Eugène Delacroix' zum Archetypus der Attraktivität. Die Gruppe um das Konvent-Gründungsmitglied Danton trifft sich hier zu sprachgewaltigen Sitzungen, philosophischen Diskursen und Debatten über die sprichwörtliche Lage der Nation.

Wenngleich dem Regime einst Idealismus zugrunde lag und viele kluge Köpfe beteiligt waren, etabliert sich entgegen aller Erwartungen eine hausgemachte Diktatur, die die Situation der Bevölkerung keineswegs verbessert. Bereits der klägliche Zustand der karg eingerichteten Wohnung und der inflationäre Genuss von hochprozentigem Alkohol lassen erahnen, dass die Zeiten sicherlich besser sein könnten. Die hemmungslose Atmosphäre – in der Wohnung wird getanzt, gefeiert und geliebt - kippt alsbald, Anspannung macht sich breit. Die Elenden rebellieren auf den Straßen; sie nagen am Hungertuch, Prostitution wird zur Hauteinnahmequelle für die Verzweifelten, um das Überleben der Familien zu sichern. Innerhalb weniger Tage überschlagen sich die Ereignisse. Danton und seine Weggefährten Desmoulins und Lacroix, ehemals als philosophische Vordenker der Revolution gefeiert, werden inhaftiert und schließlich an den Pranger gestellt.

Fein pointiert ausgearbeitete Charaktere transportieren Hoffnung, Kampfeslust und Leid gleichermaßen. Starke Frauenbilder werden gezeichnet, denn Monika Vivell (Lucile/Marion) und Helene Stupnicki (Julie) beteiligen sich nur gleichberechtigt am Diskurs, sondern gehen bis an die Grenzen - schließlich sogar in den Freitod - für ihren Idealismus. Thomas Kienast, der gleich mehrere Rollen bedient (Lacroix/St. Just/Thomas Payne), Janosch Schulte als Danton und Valentin Klos als Camille Desmoulins liefern ein perfekt eingespieltes Miteinander, das jede Gefühlsregung und jede einzelne Situation greifbar und nachspürbar werden lässt. Selbst im Angesichts des Todes, dem sie mit erhobenen Haupt entgegenblicken, halten sie die mit Farbe auf ihre nackten Oberkörper gemalte Fahne des französischen Volkes hoch und stehen als Sinnbild der Integrität zusammen, nicht ohne zuvor noch einmal eine philosophische Grundsatzdiskussion zu führen.

Besonders eindrucksvoll ist Stefan Haschke zu erleben, der als Robespierre, der pedantische und neurotische Gegenpart zum Lebemann Danton, auftritt, im nächsten Moment aber in die Rolle eines glühenden Redners schlüpft, dessen wutenbrannte Äußerungen als Echo wiedergegeben werden, die lange nachhallen und vom Volk als vermeintliche Wahrheit lautstark wiederholt werden. Die verführerischen Parolen der Demagogen kommen gerade recht. Pauschalisierende und geradezu radikale Forderungen nehmen überhand. „Totgeschlagen, wer schreiben und lesen kann“, heißt es. Verbündete werden zu Feinden, denn es werden Verantwortliche für die Misere gebraucht. Während an einem Tag der eine Politiker im Fadenkreuz steht, ist es kurz darauf ein anderer, dessen Kopf gefordert wird. Haschke zeigt, wie absurd dieses naive Wechselspiel mit Ängsten und gefährlich derartige Meinungsmache ist: Er referenziert gekonnt auf unsere Gegenwart, denn „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“.

Ein großes Kompliment an die beteiligten Theaterschaffenden für dieses intelligent inszenierte, detailverliebte und mahnende Stück Literaturtheater, das eindrucksvoll vor Augen führt, welch hoher Preis für die Durchsetzung der kostbaren demokratischen Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gezahlt wurde und welche gesellschaftlichen Risiken es birgt, wenn nicht kritisch hinterfragt und aus Geschichte gelernt wird.



Dantons Tod am Theater Osnabrück | Foto (C) Uwe Lewandowski

Sina-Christin Wilk - 5. Februar 2017
ID 9823
DANTONS TOD (Emma-Theater, 04.02.2017)
Inszenierung: Alexander Charim
Bühne, Kostüme: Ivan Bazak
Musik: Eberhard Schneider
Dramaturgie: Maria Schneider
Besetzung:
Georg Danton ... Janosch Schulte
Camille Desmoulins ... Valentin Klos
Robespierre/Simon, Souffleur ... Stefan Haschke
Lacroix/St. Just/Thomas Payne ... Thomas Kienast
Lucile/Marion ... Monika Vivell
Julie ... Helene Stupnicki
Das Volk ... Ensemble
Premiere am Theater Osnabrück: 4. Februar 217
Weitere Termine: 09., 10., 11., 15., 18.02.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-osnabrueck.de/


Post an Sina-Christin Wilk

scriptura-novitas.de



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