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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Amerikanisch

Roulette



Amerika am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) David Baltzer

Bewertung:    



Am Ende, als im Theaterrestaurant fast alle Lobeshymnen schon gesungen waren, sprach der eigens aus Prag angereiste, hochbetagte Pavel Kohout [der, zusammen mit Ivan Klíma, die Theaterfassung zu Kafkas Amerika schrieb] von „einer Befreiung Kafkas vom Düsteren“. Und hatte natürlich recht damit.

Dabei konnte das Bühnenbild, das der Eiserne Vorhang zu Beginn freigab, schon Angst machen: Ein riesiges Rad im Zentrum, eine vertikale Drehbühne, nur spärlich mit einigen Messingstangen ausgestattet und in vier Viertel geteilt, eine Schiffsschraube vielleicht oder ein Hamsterrad. Dass dieses Konstrukt im Laufe des Stücks nahezu jeden beliebigen Ort glaubhaft abbilden konnte, lag nicht nur an dem erneut meisterhaften Entwurf von Olaf Altmann, sondern auch an einer geschickten Untersetzung mit Musik und Soundeffekten (Thomas Hertel).

Vor jenem Rad kommt ein offensichtlich argloser Bengel in Amerika an, dem für ihn vorgesehenen Verbannungsort nach familiären Scherereien. Nahezu rührend naiv büßt er zunächst seinen Koffer ein und stürzt sich dann voller Empathie in einen Gerechtigkeitskampf für seine Zufallsbekanntschaft, den Heizer. Dass er damit eher Schaden anrichtet, sei verziehen, denn Empathie ist ein feiner Zug, und einem wie Karl Roßmann kann man nicht böse sein.

Kafkas Roßmann durchwandert oder besser durchleidet im Land der Unmöglichkeiten ohne Grenzen, wo man genauso schnell vom Tellerwäscher zum Millionär wird wie umgekehrt, viele Stationen, ist ein moderner „Karl im Glück“, wird ge- und missbraucht, getäuscht, beraubt und verprügelt, aber er verliert nie sein Grundvertrauen in das Gute im Menschen. Letztlich ist seine Wehrlosigkeit, seine Ohnmacht seine schärfste Waffe, ihm kann man mit nichts wirklich schaden, auch hier wäre wieder Janis Joplin zu zitieren mit der Textzeile von der Freiheit und dem Nichts-zu-verlieren-Haben.

Ob Karl das selber bewusst ist, scheint fraglich, aber darauf kommt es auch nicht an. Im Finale – zuvor hat das Bühnenbild seine Schuldigkeit getan, es dreht und taucht ab, die Bühne ist einfach nur noch leer - wird er nach vielen bürokratischen Hürden (das gewöhnlich passende Adjektiv soll in diesem Text nicht verwendet werden) schließlich Mitglied der Werbertruppe für das Große Theater von Oklahoma, mit Pauken und Trompeten wird er dort aufgenommen, wo „jeder willkommen ist“.

Passiert das wirklich, im Traum oder in Folge von bewusstseinserweiternden Maßnahmen? Egal, ein schöner Schluss ist es auf jeden Fall.

In den gut zwei Stunden bis dahin passiert so viel Skurriles, Bezauberndes, Akrobatisches, Verblüffendes, Poetisches, Lachhaftes, Herzergreifendes, Ulkiges und Versponnenes auf der Bühne, dass man auch als Zuschauer erschöpft ist am Ende. Die sieben Schauspieler turnen auf schönste Weise in, an und mit diesem großartigen Objekt - das sich stetig ändert, in dem es sich einfach nur dreht - und vergessen dennoch nicht das Spielen dabei. Sehr wandlungsfähig sind sie alle, Christian Clauß ist (logisch) der beste Sportsmann an den Geräten, bezaubert aber auch als Klara und Therese. Philipp Lux ist als meist betrunkener Robinson ein Ereignis, Duran Özer vor allem als Oberportier, Thomas Schumacher beeindruckt nicht nur als Oberkellner. Und Torsten „Zigeunerjunge“ Ranft spielt den Onkel und den alten Diener ebenso perfekt wie die Oberköchin und räumt dann natürlich mit seiner Brunelda ab.

Der einzige, der immer er selbst bzw. Karl Roßmann bleibt, ist Jonas Friedrich Leonardi, dies aber auf einem Niveau, für das er am Ende völlig zu Recht bejubelt wird vom Saal.

Man fühlt sich zeitweilig ins Grand Budapest Hotel versetzt, die phantasievollen Kostüme von Nehle Balkhausen tun das ihre zur entrückt-poetischen Stimmung, ganz wie im Film. Alles hatte eine sagenhafte Leichtigkeit, eine anrührende Verspieltheit, da verzeiht man auch einige Längen im Mittelteil, wo dem Text eine Straffung gut getan hätte.

Vielleicht ist das Dreh-Dings auf der Bühne ja auch eine Lotterietrommel für das amerikanische Roulette. Zu gewinnen gibt es dabei nichts, den american dream muss sich jeder selbst erfüllen, zur Not in der Imagination.

Bei den Arbeiten von Wolfgang Engel spürt man immer eine große Gelassenheit, hier muss niemandem mehr etwas bewiesen werden, hier weiß einfach einer, wie es geht. Es geht auch anders, aber so geht es eben auch.



Amerika am Staatsschauspiel Dresden - Foto (C) David Baltzer

Sandro Zimmermann - 8. März 2015
ID 8486
AMERIKA (Schauspielhaus, 07.03.2015)
Regie: Wolfgang Engel
Bühne: Olaf Altmann
Kostüm: Nehle Balkhausen
Musik / Sound: Thomas Hertel
Licht: Andreas Barkleit
Dramaturgie: Simon Strauß
Besetzung:
Karl Roßmann ... Jonas Friedrich Leonhardi
Franz Butterbaum, ein Bekannter / Klara Pollunder / Therese Berchthold / Liftjunge / Student ... Christian Clauß
Kapitän / Robinson, ein Ire / Ausrufer / Führer: Philipp Lux
Schiffsdiener / Delamarche, ein Franzose / Giacomo, ein Liftjunge / Beamter ... Benjamin Pauquet
Herr Pollunder / Pensionswirtin / Kellner / Oberportier Feodor / Beamter ... Duran Özer
Onkel Jakob / alter Diener / Oberköchin Grete Mitzelbach / Brunelda, eine Sängerin / Betrunkener ... Torsten Ranft
Heizer / Herr Green / Oberkellner Isbary / Polizist / der Personalchef ... Thomas Schumacher
Premiere war am 7. März 2015
Weitere Termine: 16., 27. 3. / 15., 28. 4. / 5., 24. 5. 2015

Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


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