Filme, Kino & TV
Kunst, Fotografie & Neue Medien
Literatur
Musik
Theater
 
Redaktion, Impressum, Kontakt
Spenden, Spendenaufruf
Mediadaten, Werbung
 
Kulturtermine
 

Bitte spenden Sie!

Unsere Anthologie:
nachDRUCK # 6

KULTURA-EXTRA durchsuchen...

Premierenkritik

Aussicht

ohne Einsicht



Sophie Basse als Ada Freifrau von Stetten in Zur schönen Aussicht am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Bewertung:    



Reichtum kann Individuen als besonders attraktiv erscheinen lassen. Das männliche Personal im Hotel "Zur schönen Aussicht" umschwänzelt hingebungsvoll den einzigen Gast, die alleinstehende Adlige Ada Freifrau von Stetten. Die männerverzehrende ältere Dame genießt die alleinige Aufmerksamkeit der Herrenrunde und kokettiert mit üppigen Trinkgeldern. Insbesondere den Hoteldirektor Strasser verleitet sie zum illusionären Träumen, etwa von der Aussicht auf eine heilsbringende Mitgift, die ihm das Leben dauerhaft versüßen könnte. Das Hotel-Etablissement ist heruntergekommen. Es bevölkern nur müde und gescheiterte Existenzen die Räumlichkeiten, die alle auf ihren eigenen Vorteil bedacht scheinen. Doch da taucht plötzlich eine junge Frau auf, eine Liaison des Hoteldirektors vom vergangenen Jahr. Wird sie Strasser und Ada auseinanderbringen können? Andere Günstlinge wittern schon ihre Chance.

*

Der österreichisch-ungarische Schriftsteller Ödön von Horváth schuf mit Zur schönen Aussicht 1926 ein Volksstück mit schrägen Charakteren und sarkastischem Potential, das Dummheit, Selbstsucht und Gefühlskälte in einer verhärteten und desillusionierten Gesellschaft liebevoll entlarvt. Sebastian Kreyer (der beispielsweise schon Tschechov´s Die Möwe am Theater Bonn knallbunt, schrill und effekthascherisch verhunzte ) peppt auch diese Vorlage mit einem detailreichen Bühnenbild und einem übertriebenen Wirrwarr aus Video-Collagen und eingespielter Schlagermusik auf. Der 39jährige Regisseur selbst steht als Erzähler auf der Bühne und berichtet Anekdoten aus Erlebnissen Ödön von Horváths unter anderem im oberbayerischen Murnau, wo eine realhistorische Vorlage für das titelgebende Hotel vermutet wird. Choreographische Einlagen ergänzen neben schwülstigem Schlagergesang einzelner Darsteller eine recht kuriose Klamotte, die die Vorlage überbordend und konfus erweitert. Auf eine im Bühnenzentrum wiederholt herabgelassene Leinwand projizierte Videobilder kombinieren Walt Disney-Zeichentricksequenzen mit sinnfreien Äußerungen von Möchtegernsternchen und Videobildern aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Angesichts all der Wendungen übt die Vorführung eine augenfällige Kritik an Fremden- und Frauenfeindlichkeit. Neben Konfettikanonen kommen auch Hexenbesen, Palmwedel, eine Jukebox, Faschingszähne, falsche Nasen und andere kunstvolle Accessoires zum Einsatz.

Ein gut aufgelegtes Darstellerensemble sorgt dafür, dass bei der Aneinanderreihung flacher Gags der pointierte Witz trotzdem nicht ganz auf der Strecke bleibt. Sophie Basse gibt eine köstliche und sehr sehenswerte Vorstellung als Ada Freifrau von Stetten, die mit allen Wassern gewaschen ist. Ada scheint es gewohnt, ihre Gespielen unter ihren Fittichen herrisch zu dominieren. Für ihr persönliches Lustempfinden erprobt sie mit ganzer Experimentierfreude gerne auch neue Wege. So gibt sie sich auch genüsslich als zart-verletzliche Dame, wenn sie den Schneewittchen-Spiegel befragt. Daniel Breitfelder mimt ihren Bruder Emmanuel Freiherr von Stetten hingebungsvoll affektiert, effeminiert und tollpatschig. Er sorgt für allerlei Situationskomik, wenn er sich von dem Hotelpersonal geflissentlich abheben möchte, den einen oder anderen Angestellten trotzdem lüstern beäugt und sogar betatscht und, genau wie die anderen, auf Gunst und Vermögen seiner Schwester angewiesen ist. Formvollendet eingebettet in das gleichförmige Stillleben der Hotellobby legt sich insbesondere auch Sören Wunderlich als Portier Max wunderbar geflissentlich ins Zeug, wenn er sinnentleerte Aufträge seines Dienstherrn eifrig befolgt und die bescheidenen Ergebnisse stolz hochhält. Obwohl Kreyer mit seiner Adaption besonders schräg und abstrus sein möchte und insbesondere am Ende das Ganze schrill übertreibt und überfrachtet, ist die Vorführung insbesondere aufgrund der Spielfreude des Ensembles über weite Strecken äußerst unterhaltsam.



Zur schönen Aussicht am Theater Bonn | Foto © Thilo Beu

Ansgar Skoda - 23. April 2018
ID 10664
ZUR SCHÖNEN AUSSICHT (Kammerspiele Bad Godesberg, 20.04.2018)
Inszenierung: Sebastian Kreyer
Bühne: Matthias Nebel
Kostüme: Britta Leonhardt
Musikalische Leitung: Valerij Lisac
Musikalische Beratung: Andreas Seeligmann
Videodesign: Valerij Lisac
Licht: Sirko Lamprecht
Dramaturgie: Nicola Bramkamp
Besetzung:
Ada Freifrau von Stetten … Sophie Basse
Emmanuel Freiherr von Stetten … Daniel Breitfelder
Karl … Hajo Tuschy
Strasser … Glenn Goltz
Müller … Wolfgang Rüter
Max … Sören Wunderlich
Christine … Lydia Stäubli
Erzähler … Sebastian Kreyer
Premiere am Theater Bonn: 20. April 2018
Weitere Termine: 25.04. / 06., 18., 27., 30.05. / 03., 16., 20., 29.06.2018


Weitere Infos siehe auch: http://www.theater-bonn.de


Post an Ansgar Skoda

skoda-webservice.de

Premierenkritiken



Hat Ihnen der Beitrag gefallen?

Unterstützen auch Sie KULTURA-EXTRA!



Vielen Dank.



  Anzeigen:



THEATER Inhalt:

Kulturtermine
TERMINE EINTRAGEN

Rothschilds Kolumnen

BALLETT |
PERFORMANCE |
TANZTHEATER

CASTORFOPERN

DEBATTEN
& PERSONEN

FREIE SZENE

INTERVIEWS

PREMIEREN-
KRITIKEN

ROSINENPICKEN
Glossen von Andre Sokolowski

URAUFFÜHRUNGEN


Bewertungsmaßstäbe:


= nicht zu toppen


= schon gut


= geht so


= na ja


= katastrophal


Home     Datenschutz     Impressum     FILM     KUNST     LITERATUR     MUSIK     THEATER     Archiv     Termine

Rechtshinweis
Für alle von dieser Homepage auf andere Internetseiten gesetzten Links gilt, dass wir keinerlei Einfluss auf deren Gestaltung und Inhalte haben!!

© 1999-2024 KULTURA-EXTRA (Alle Beiträge unterliegen dem Copyright der jeweiligen Autoren, Künstler und Institutionen. Widerrechtliche Weiterverbreitung ist strafbar!)