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Neue Stücke

Bleierne

Traurigkeit



Wir kommen (nach dem gleichnamigen Roman von Ronja von Rönne) am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn

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Wir kommen heißt der erste Roman der 1992 in Berlin geborenen und im oberbayerischen Markt Grassau aufgewachsenen Bloggerin und Journalistin Ronja von Rönne. Woher, wohin, ob zu früh oder zu spät, spielt dabei eher eine untergeordnete Rolle. Der Roman beschreibt nur das vage Gefühl es womöglich nicht zu wissen, sich das Recht zum Ausprobieren aber nicht nehmen lassen zu wollen. Beim Bloggen wie beim Schreiben für die Tageszeitung Die Welt (das Springerblatt für Intellektuelle) vertritt Ronja von Rönne aber auch gern mal „Radikalpositionen“. Eine solche zum Thema Warum mich der Feminismus anekelt brachte ihr 2015 nicht nur von Seiten radikaler Feministinnen einigen Ärger ein. Viel Lob gab es dann allerdings auch aus der eher konservativen Ecke.

Infolge dieses medialen Hypes und ihrer Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Peis-Lesen in Klagenfurt ging es bald nicht mehr nur um Inhalte und literarisches Können. Eine gewisse Frechheit kann man dem sogenannten „Rönne-Sound“ ihres Blogs Sudelheft allerdings nicht absprechen. Ronja von Rönne polarisiert und scheint selbst davon überrascht zu sein. Wie man lesen kann, bedauert sie heute ihre damals spontan dahingeworfene Wutrede. Einen Axel-Springer-Preis für ihren kontrovers aufgenommenen Text lehnte sie ab. Durchaus gespalten fiel auch die bundesdeutsche Literaturkritik zu von Rönnes Debutroman aus. Die Einschätzungen gehen von exzellent, raffiniert und witzig bis zu lustlos, wurstig oder gar verzichtbar.

*

Am 9. April hatte nun die erste Bühnenadaption von Wir kommen am Staatsschauspiel Dresden Premiere. In der Welt lieferte danach die anwesende Autorin unter dem Titel: So gruselig ist es, das eigene Theaterstück zu sehen höchst selbst einen Bericht davon ab. Nebenbei ein recht guter Beitrag zum Verständnis der Figuren, die, wie von Rönne meint, „viel jammern, in einem Beziehungsgeflecht miteinander feststecken und ansonsten wenig tun“. Das klingt nicht gerade nach großer dramatischer Spannung, und wie bei jeder Romanadaption für die Schauspielbühne braucht es dazu nicht nur einen triftigen Grund, sondern auch ein paar gute Ideen, um dem Ganzen eine Wirkung im Theater zu verleihen. Aber wie exzellent oder verzichtbar stellt sich die Geschichte auf der Bühne wirklich dar?

Nora, die junge Protagonistin des Romans, leidet seit einiger Zeit an allmorgentlichen Panikattacken, die ihr die Luft zum Atmen nehmen. Nicht erst seit Thomas Melles Die Welt im Rücken sind Beschreibungen von Depressionen oder bipolaren Störungen ein Thema in der deutschsprachigen Literatur. Auch Ronja von Rönne weiß, wovon sie da schreibt. Allerdings ist das Ergebnis weit davon entfernt, die psychopathologische Analyse einer Krankheit zu sein. Die Autorin liefert eher ein düsteres Stimmungsbild einer Generation, die Meister der Aufarbeitung ist und darüber die Orientierung verloren hat, worum es im Leben überhaupt geht. Diffuse Vorstellungen von Glück, Liebe und beruflicher Karriere gehen mit einer ebenso undefinierbaren lähmenden Angst davor einher.

Der besondere Clou der Inszenierung von Regisseurin Tea Kolbe im Kleinen Haus 3 ist es, die Schauspielerin Hannelore Koch als personifizierte Panik auftreten zu lassen. Wirklich angsteinflößend ist diese Figur jedoch nicht. Sie ist wie im Roman eher ein zur Gewohnheit gewordener Partner, der in Stunden der Einsamkeit behutsam mit Sätzen wie „Du verpasst nicht viel.“ das schlechte Gewissen, sich gehen zu lassen, wegreden will, aber auch beharrlich am Selbstbewusstsein nagt. Abhilfe soll der Besuch bei einem Psychotherapeuten schaffen. Als der mit seinem „perfekten Leben“ in den Urlaub fährt, empfiehlt er Nora in seiner Abwesenheit Tagebuch zu führen. Auch ein bewährtes Mittel zur Selbstreflexion. Und so bekritzelt Antje Trautmann als Nora schon zu Beginn mit Kreide den Boden eines runden, drehbaren Spiegelkabinetts.

Die Geschichte entspinnt sich nun zwischen ironischen Gegenwartsspiegelungen Noras und ihrer polyamourösen Beziehung zu Jonas, Karl und Leonie, Mutter der stummen fünfjährigen Tochter Emma-Lou, sowie Rückblenden in Noras Kindheit auf dem Land mit ihrer besten Freundin Maja, die sich gerade das Leben genommen hat. Auf der Rückseite der Spiegelpaneele lassen sich Namen, Alter und Strichsilhouetten zeichnen. Lucie Emons verkörpert dabei immer wieder Maja und zusammen mit Hannelore Koch die anderen Figuren des Romans. Auch Maja, ein früher recht lebensfrohes Mädchen mit ziemlich radikalen Zielen, scheint an einem unverarbeiteten Trauma gelitten zu haben. Der Wunsch, der Enge des Dorflebens zu entfliehen, wird beschrieben. Eine Mutprobe mit tödlichem Ausgang und der Weggang Noras haben die einstigen Freundinnen einander entfremdet.

Nora hadert mit dem Tod Majas, was jedoch nicht der einzige Grund für ihre Angststörungen ist. Auch damals gab es schon eine Vierergruppe, die allerdings nicht unbedingt auf Freiwilligkeit basierte. Nun versucht es Nora besser zu machen. Doch im komplizierten Beziehungsgeflecht der neuen Gruppe kriselt es ebenfalls mächtig. Verschiedene Auffassungen von Liebe und Lebensglück sowie Egotrips und Eifersüchteleien führen trotz einem gemeinsamen dreiwöchigen Urlaub am Meer schließlich zum Bruch. Die gleichen Codes oder eine finale Party liefern nicht den „sozialen Klebstoff“, an dem man schnüffelt, „um wieder abhängig voneinander zu sein“.

Die Dresdner Bühnenfassung versucht von Rönnes zuweilen etwas weitschweifigen Text aufs Wesentliche zu verdichten und die drei Schauspielerinnen schaffen es, die entsprechende Atmosphäre zwischen Hoffnung und bleierner Traurigkeit, von der immer wieder die Rede ist, ganz gut zu transportieren. Trotz einer gewissen, auch treffenden Kritik an typischen Mode-Macken und der im Selbstverwirklichungsstress hyperventilierenden Gesellschaft, die sich erst nach und nach ihrer Müdigkeit bewusst wird (im Programmheft wird mal wieder der Müdigkeits-Philosoph Byung-Chul Han zitiert), meiden Autorin wie Regisseurin die ganz großen Themen. Da ist „ein Tattoo der Bundesrepublik auf dem Rücken“ schon das Schlimmste. Aber eine gewisse Abneigung zur radikalen Gesellschaftskritik scheint der Social-Media-Generation der Millennials, zu der auch Ronja von Rönne gehört, eigen zu sein. Nicht nur, was die Einstellung zum Feminismus betrifft.



Wir kommen (nach dem gleichnamigen Roman von Ronja von Rönne) am Staatsschauspiel Dresden | Foto (C) Matthias Horn

Stefan Bock - 19. April 2017
ID 9973
WIR KOMMEN (Kleines Haus 3, 15.04.2017)
Regie: Tea Kolbe
Bühne: Anne-Alma Quastenberg
Kostüm: Steffi Rehberg
Licht: Andreas Rösler
Dramaturgie: Julia Fahle
Besetzung:
Nora ... Antje Trautmann
Maja ... Lucie Emons
Panik ... Hannelore Koch
Uraufführung war am Staatsschauspiel Dresden: 9. April 2017
Weitere Termine: 21., 29.04. / 07., 24.05.2017


Weitere Infos siehe auch: http://www.staatsschauspiel-dresden.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de

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