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nachDRUCK # 6

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Opernstars

Peter & Petra

Ein Lokaltermin mit

Peter Seiffert & Petra Maria Schnitzer


Düsseldorf und Wien sind Städte, die sich nicht so ohne Weiteres vergleichen lassen.

Düsseldorf, vom Rest des Rheinlands aus betrachtet, hat den Ruf, etwas viel schnippiger als alle andern Rheinstädte um es herum zu sein. Es hat halt immer diesen etwas elitäreren Charakter als zum Beispiel Köln, das Lichtbuntrheinigste schlechthin. In Düsseldorf spielt Thomas Manns Erzählung Die Betrogene. Sie hätte freilich auch in Köln oder in Duisburg spielen können, aber da sie sich versehentlich nun mal in Düsseldorf ereignete, ist Düsseldorf, das schnippig-elitäre, Mittelpunkt von einem Stückchen Weltliteratur geworden. Heine hat ja auch mit Düsseldorf zu schaffen. Vater, letztlich, stammt aus Recklinghausen und verspielte seine Kindlichkeit in Wuppertal, bevor er neunzehnjährig in die anrüchige Légion étrangère gelockt war; Nachkriegswirren nannte er das. (Meine Mutter ist Großbreitenbacherin, das hat mit Thüringen zu tun.) Und ich hab‘, trotz meiner Geburtsstadt (Gera), wenigstens zur Hälfte Rheinisches im Blut...
Wien wiederum: ein Fall für sich. Wir waren vor zehn Jahren da; mein Freund und ich beschenkten unsre Mutter mit der Traviata, die wir dann zu dritt am Abend ihres 70. Geburtstags in der Staatsoper erlebten. Und wir waren uns, den Tag davor wie auch danach, sehr einig, dass, wer hier geboren wäre, eigentlich wohl niemals von hier los käme, nicht freiwillig; so als Gefühl. Die Stadt kam uns wie‘n Riesenbrotlaib vor, der dir die Fersen niederbuchtelte mit seiner Bäckergassenkralle, falls du nicht auf deine Füße Obacht geben würdest. Es riecht überall nach Palladschinken. Wien macht Appetit. Ich selbst assoziierte, seit ich 1986 eine Ausstellung von ihm in Leipzig sah und mich mit einem seiner Bilder textlich identifizierte, Alfred Hrdlicka als volkstribunartigen Inbegriff von Wien.

In Düsseldorf gibts eins von zwei Theatern, das sich, also Duisburg eingerechnet, Deutsche Oper am Rhein (Abkürzung DOR) nennt. Und die Wiener Staatsoper... In etwa so wäre der nichtssagende Unterschied der beiden Städte, die sich wirklich nicht vergleichen lassen, zu erklären.

Peter ist in Düsseldorf, Petra in Wien geboren. Er war 28 Jahre lang ein Düsseldorfer, sie lebt immer noch, und jetzt mit ihm, in/bei/um Wien. Sie konnten es nicht ahnen, dass das Feuilleton sie plötzlich als das Operntraumpaar unsrer Tage pries. Sie lassen sich die Formel jetzt gefallen. Sie benutzen sie fast beiläufig als Haustürschild. Sie sind an der Entwicklung unschuldig, sie wollten keine Prägemarke, sie verhandeln ihre Auftritte seither als Paar - der Held (Tenor), die Lyrische (Sopran): Seiffert & Schnitzer.

*


Vor der Petra gabs die Popp. Lucia Popp. Nein, er empfindet es nicht als Tabubruch, über sie zu sprechen, denn es wissen alle, und es fühlten alle mit ihm mit. Lucia Popp erlag einem inoperabelen Gehirntumor; so stehts bei Wikipedia. Das passierte 1993. Da war Peter sieben Jahre lang mit ihr verheiratet. Die beiden trennten fünfzehn Jahre; und auch das, und weil es überall zu lesen ist, bedeutet kein Tabu für Peter, weder vor- noch nachher. Er erinnert sich - wie ich - sehr gern an sie:

In 1985, und da kannten sich die beiden sicher schon, fand in der Semperoper Dresden die Premiere von den Meistersingern statt. Das Haus war seit zwei Jahren endlich wieder in Betrieb, und Wolfgang Wagner, Komponistenenkel, Leiter der Bayreuther Festspiele und also aus dem Westen kommend, inszenierte. Peter sagte mir, dass er - wie ich - im Saal gesessen hätte. Popp war kurzfristig als Eva eingeflogen worden. Und er fragte mich, ob ich da auch bereits dieses Gefühl („Wir sind ein Volk.“) gespürt hätte. Ich konnte ihm das freilich nicht in dieser Euphorie bestätigen. Zu stark war vorher schon, beim achtstündigen Anstehen nach einer Restkarte, Adrenalin vergeudet worden. Und natürlich fasste, ausgerechnet an dem Abend der Premiere, jede Menge offizielles oder handverlesnes Publikum Parkett und Ränge. Dieses bauchmäßig Spontane, was nach jedem Schlussvorhang von einer solchen festartigen Sache emotionsstark explodiert, wollte ich nicht als vorschussartige Verbreiung aller Deutschen abgehandelt wissen... Doch ich registrierte, und nicht nur durch diese eine Frage Peters, dass er ein sehr wacher, wachsamer und prinzipiell an Politik interessierter Mensch ist. Das gefiel mir schon mal gut.

Nachdem das mit dem Tod der Popp gewesen war, fing ihn Götz Friedrich auf; Götz Friedrich war der langjährige Prinzipal der Deutschen Oper in Berlin. Er kehrte erstmals wieder an das Haus zurück, wo er „als Baby“, wie er so schön sagte, angefangen hatte; und er gab hier Hans (Verkaufte Braut), Tamino, sang in Zar und Zimmermann, im Wildschütz, im Onegin, im Messias, auch den Oberon und und und... „Und der hatte mich gemocht, der Friedrich, und da kam dann eines Tages Lohengrin wie so‘ne Bombe!“

*


Ich war mit den beiden Freitagnachmittag um 14 Uhr verabredet. Kay von der Pressestelle eskortierte mich in ihre Garderobe. Fast verpassten wir die rechte Tür, kein Namensschild wies auf die Dameneinzelgarderobe Petras hin, und also klopfte Kay die Garderobetüren ohne Namensschilder nacheinander ab... Da saßen sie und warteten auf mich; und durch die Nachbarwand klang eine Stunde lang die Stimme von Anja Harteros, die die Violetta aus der Traviata probte, zu uns rüber. Beide machten einen müden Eindruck, wirkten abgespannt. Sie fragte mich als Erstes, ob ich sie vorhin gehört hätte. Ich dachte, sagte ich, dass ich sie schon von draußen wahrgenommen hätte, als ich um die Ecke durch den Bühneneingang ging, auch weil ich dachte, dass die Stimme, die da augenblicklich sang, ihre gewesen wäre; erst danach wurde mir ja bewusst, dass es die Stimme von Anja Harteros war, die so nach draußen klang. Aber sie meinte auch was völlig Anderes; nein, korrigierte sie mich, ob ich bei der Bühnenprobe vorhin mit dabei gewesen wäre... Peter saß zu ihrer Linken. Mir hielten sie einen Stuhl zu ihrer Rechten frei. Ein Vis-à.vis; sie schauten beide mit dem Licht zu mir, ich schaute sie in Richtung Fenster an. Null Ahnung, was für Augenfarben Beide hatten. Meine Augenfarbe registrierten sie bestimmt. Und umgekehrt wäre es freilich spannender für mich gewesen. In den Augen eines Anderen zu lesen ist schon toll. Der Bann brach trotzdem, ziemlich schnell.

Er ist ein zupackender und geradliniger Typ. Ich fragte ihn nach seinem bodenständigen Beruf, den er gelernt und ausgeübt hätte, ich gab als Stichwort “Heilpraktiker” vor, was überhaupt nicht stimmte. “Heilpraktiker”, scherzte er, “wäre noch besser gewesen, ja.” Wie ich so schnell auf “Heilpraktiker” kam, obwohl ich’s besser wusste (Internetrecherche), wird mir nachträglich nicht mehr bewusst. Er lernte also, anstatt “Heilpraktiker”, Physiotherapeut und ließ sich später als Orthopädiemechaniker ausbilden; Bäder, Klinik und Massagen, Beine, Arme und Korsetts... Er kann sehr gut erzählen, er erinnert sich sehr stark und sehr genau. Und wie das Leben halt so spielte, lag da eine Dame fortgeschrittnen Alters unter seinen Händen und ließ sich von ihm massieren; sie entpuppte sich als seine spätere Gesangslehrerin; und mit 24 kam er an die DOR... Sein Elternhaus bezeichnete er schon als musikalisch, “Mutter spielte Klavier, der Vater war kriegsbeschädigter Sänger.” Und es fing doch eigentlich, und alles das, mit seinen Platten an; so streute er noch diese Anekdote zwischen: Seine Eltern kriegten immer Probeplatten, also Aufnahmen, die man bewerten konnte, und dann hätte sich herausgestellt, ob diese Aufnahmen als reguläre Platten in den Handel kämen; unter diesen Platten war ein Ausschnitt aus dem Goldnen Hahn von Rimski-Korsakow; er wäre da erst drei gewesen; und er hätte sich die Probeplatte mit dem Goldnen Hahn, als Dreijähriger (!), immer wieder “reingezogen”; und der Vater hätte ihn, den Dreijährigen (!), mit dem Goldnen Hahn getestet; und er hätte die Musik des Goldnen Hahn, als Dreijähriger (!), tatsächlich erkannt gehabt. Phänomenal wie Tristan; also viel viel später; Tristan singen, sagt er, geht nur, wenn er unaufhörlich mit sich selber, weniger “im“ Tristan mit den vier Stunden Gesamtleiddauer, ist; Distanz wäre, in diesem Falle, Alles! (Er gilt weltweit als der beste Tristan heute; heißt es.)


Sie kann spielen. Schauspielen. Agathe (Freischütz) hat bei Petra nicht allein mit ihren beiden Arien zu tun. Im Freischütz wird sehr viel gesprochen, fast ein Viertel oder Drittel Sprechtext, grauenhaft in Stil und Sprache; eigentlich für Opernsänger, die naturgemäß nicht richtig sprechen können, so was wie ein Offenbarungseid. Nicht so bei ihr. Und sie - und Peter - schwärmen heute noch von Thomas Langhoff, der mit ihnen an der Bayerischen Staatsoper den Freischütz einstudierte; insbesondere die Stelle, wo Agathe spricht, “wo Max nur bleibt” (ein Halbsatz nur!), und Langhoff vor Entzücken und Entgeisterung über das abwartende Kopfdrehen von Petra schier aus allen Wolken fiel, “ja, Petra, ja, so ist es gut, o wunderbar, ja ja ja ja ja ja!!!” Und wie sie Schauspielern studierte, ohne eigentlich den rechten Grund hierfür zu wissen; immer wenn sie dann am Mozarteum Salzburg die Gesangsstimmen der Leute aus der Opernklasse hörte, war die Sehnsucht da. Ein Vorsingen bei Wilma Lipp (Mozartikone ihrer Zeit) genügte, dass sie schwuppdiewupp vom Schauspiel in die Oper wechselte; da war sie 19. ”Das Schöne an der Oper ist ja, dass eine bestimmte Rolle für einen bestimmten Typ geschrieben ist. Und dieser Typ hat meistens die passende Stimme... Die Elisabeth zum Beispiel, im Tannhäuser, dieses reine Wesen, wird immer von einer blonden Frau mit einer lyrischen Stimme gesungen werden, und die ist das aber dann auch... Also in mir steckt keine Carmen... Ich singe die Rollen, die zu meiner Stimme passen, weil ich der Typ bin, und dann deckt sich das auf wundersame Weise; das haben die Komponisten ganz genau gewusst... Du musst nichts tun, wenn du es bist, dann bist du’s”, sagt sie.


Auf dem stilisierten Steinbett in der Hörselbergszene, im Ersten Aufzug Tannhäuser, erlebt der Zuschauer das Paar in selbstbewusster Pose; und so nimmt er ihre Füße und massiert sie, und sie ist seit Jahren aufs Pressieren von ihm eingestellt. Die Venus, die sie diesen Abend, neben der Elisabeth, das erste Mal zum Besten gibt, gerät ihr mustergültig. Und der Tannhäuser, den er, und insbesondere nach dessen Romerzählung, gibt, ist ätzender wie ein Fanal. Als Paar meistern sie in alpiner Laune Steigungen; im herkömmlichen Sinne wird so was als “Steigerung” bezeichnet; doch bei ihnen steigt und steigt es halt den Hörselberg hinauf, hinunter; und das Alles hat mit ihren Stimmen und mit ihren Darstellungsversuchen alpinin zu tun; sie sind schon wahrhaftig als Paar; also als richtiges (versteht sich)!


“Wo sind eure Kinder jetzt”, frage ich sie; zwei Jungen, einer zehn, der andere erst sechs: Tristan und Florestan. Sie seufzt. Er sucht, weil ich ihn darum bat, ein Bild von seinen Söhnen, aber findet es nicht gleich. Sie sind ja immer ziemlich lange von zu Hause weg... Die Reiserei gehört zum Kraftaufzehrendsten, was Stars und Sternchen so erdulden müssen; sie, die beiden Stars, bedauert man dafür - den Sternchen, die sie niemals waren, würde man noch viel viel Fieseres als so herumzureisen wünschen; es gibt also Solche oder solche... Eine Kinderfrau, so Ende fünfzig, kümmert sich tagein-tagaus um ihre beiden Kinder; lange haben sie nach ihr gesucht... Die Mutter will, dass ich das Thema wechsele; sie sagt es nicht direkt, aber ich spreche sie nicht weiter darauf an... Ich wollte immer Kinder.


Er ist auch - wie ich - ein großes Kind. Er rollert mit ‘nem Skooter, den er sich vor Kurzem aus Paris mitbrachte, falls ich die Geschichte richtig so behielt, nach unserem Gespräch über die Katakombenbohlen mit den vielen Garderobentüren; und ich muss ihn kurz von hinten halten, dass er nicht mit seinem Skooter auf die Schnauze fliegt... Sie hat jetzt Hunger... Beide überlegen, wo sie nachher essen gehen... Morgen haben sie die Vorstellung, weswegen sie jetzt hier sind - Tannhäuser, am Tag danach, lief freilich gut; nach einer Woche würden sie die zweite Vorstellung hier singen; bis dahin - - ich weiß nicht, wo und was sie bis dahin noch machen - - - und ob hier oder ob anderswo; ich denke mal: Bei ihren Kindern wären sie, egal wann, wohl am liebsten - - - -



Szenenfoto aus TIEFLAND, wo Peter Seiffert und Petra Maria Schnitzer jüngst an der Deutschen Oper Berlin grandios gastierten - Foto (C) B. Stöß www.deutscheoperberlin.de



Peter Seiffert & Petra Maria Schnitzer sah und hörte ich in Freischütz, Tiefland, Tannhäuser. Ich kann im Nachhinein nicht sagen, wo/warum ich sie dann besser und am besten fand. Es war vielleicht die Aufeinanderfolge der Geballtheit, die mich für sie anmachte. Und mein konkreter Wunsch, sie beide kennen zu lernen, hätte eigentlich der Vorstellungen nicht bedurft; obgleich der eigentliche Kick, dieses nun doch zu tun, von den drei Vorstellungen kam. Prinzip der Droge Oper. Jedenfalls... ich danke sehr!


Cover zur DVD mit dem Lifemitschnitt von TIEFLAND aus dem Opernhaus Zürich


Andre Sokolowski - 6. Oktober 2009
ID 4416
http://www.andre-sokolowski.de




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