MACHT*
SPIEL*
GESCHLECHT
am Theater Osnabrück
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Perfect Vieves beim 7. SPIELTRIEBE-Festival am Theater Osnabrück | Foto (C) Marek Kruszewski
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Bewertung:
Das diesjährige Osnabrücker Theaterfestival SPIELTRIEBE 7 hat sich auf ganz eigene Art dem Themenkomplex MACHT*SPIEL*GESCHLECHT. Ehrlich, mit viel Esprit und Mut sind die Theaterschaffenden hierbei vorgegangen und haben auch heikle Themen nicht ausgespart. Teils mit einem Augenzwinkern, teils provokant und schonungslos wurden in 13 Produktionen an 3 Spieltagen nach wie vor polarisierende Aspekte wie Gender, (archaische) Rollenverteilung zwischen Mann und Frau sowie Feminismus beleuchtet. Ein Theaternachmittag bzw. -abend, der mit jeder Inszenierung für ordentlich Nachgang und dennoch – oder gerade deshalb – für beste Unterhaltung bei den Besuchern sorgte. Fünf Festivalrouten führten zu unterschiedlichen Spielorten der Stadt, deren Atmosphäre als wesentlicher Bestandteil zur Umsetzung der ausgewählten Stücke beigetragen hat. Abschließend wurden die Besucher bei einer gemeinsamen Abschlussparty als Anspielung auf die Gay Pride Bewegung bei „Somewhere over the rainbow“ auf der Theaterbühne buchstäblich zusammengeführt. Ein absolut gelungenes Festival, das die Spielzeit 2017/18 grandios eingeläutet hat. Wir haben die blaue Route besucht.
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Schrill und überdreht wird anlässlich des verfrühten Todes von Valerie Solanas, Präsidentin von Amerika über ihren außergewöhnlichen Werdegang berichtet, der geprägt ist von emanzipatorischen Bestrebungen der ungewöhnlichen Art. So finanzieren sich Valerie (Maria Goldmann) und ihre Kommilitonin Cosmo Girl (Marie Bauer) ihre Psychologiestudien mit Prostitution. Nicht aus der Not heraus, sondern als bewusste Protesthaltung gegen Staat und System der 1960er Jahre.
Der frühkindliche Missbrauch durch den Vater hat bei Valerie vor allem seelische Spuren hinterlassen, die den Grundstein für ihren überzogenen Feminismus und die Kampfansage gegen das Patriarchat gelegt haben. Ganz selbstverständlich berichtet sie von den Erlebnissen und zeigt auf, dass sie das Verhältnis ihrer Eltern – der Vater gewalttätig, die Mutter schaut weg - als gesellschaftlichen Normalzustand ansieht, den es auszumerzen gilt. Die dominante und pathologische Vaterfigur wird zum erklärten pauschalisierten Männerfeindbild, dem auch der Künstler Andy Warhol (Ensemble) kurzerhand zum Opfer fällt. Valerie propagiert ihr männerfeindliches „S.C.U.M“-Manifest, demnach Männer nicht nur entbehrlich sondern evolutionär gesehen sogar überflüssig sind. Sie beteuert vehement, dass es sich keinesfalls um eine Psychose handelt, sondern ganz im Gegenteil um einen Zustand völliger Klarheit.
Völlig hemmungslos wird bei dem Stück durch Marlene Anna Schäfer (Inszenierung) und Jens Peters (Dramaturgie) ein Feuerwerk aus Obszönitäten und Provokationen abgeschossen, die ihr Ziel nicht verfehlen: Das Geschlechterverhältnis wird trotz aller Tragik, die diesem Spektakel zugrunde liegt, einer nachhaltigen Prüfung unterzogen. Trotz beklemmender Momente wird die Inszenierung gekonnt durch die Schauspieler umgesetzt. Allen voran Maria Goldmann, die als Verkörperung der Valerie zunächst geradezu mädchenhaft wirkend eine Hasstirade nach der nächsten rausschmettert und ihre – fragwürdige - Meinung souverän als Instanz zu vertreten weiß.
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In Anlehnung an Ira Levins Die Frauen von Stepford wird das Publikum bei Perfect Wives Zeuge des vermeintlich perfekten Lebens in einer Kleinstadt. Spießig – oder eben idyllisch – zeigen Claudia Bossard (Inszenierung) und Marie Senf (Dramaturgie) mit jeder Menge Humor, wie die ideale Partnerschaft zwischen Frau und Mann gelingen kann: Die Männer treffen sich allabendlich im Männerclub, und die Frauen werden kurzerhand durch Roboter ersetzt, um ihren Männern jeden Wunsch zu erfüllen. Elaine Cameron und Valentin Klos, die als liebendes Paar auf Augenhöhe und Verfechter der Frauenrechtsbewegung mit Kind und Kegel hergezogen sind, werden schneller Teil dieser stupiden Gesellschaft als gedacht. Das vermeintliche Happy End der glücklichen Familie sorgt für Schmunzeln, wenngleich der Weg dorthin sehr unterhaltsam ist. Geradezu slapstickhaft schlüpfen die Darsteller Valentin Klos, Helene Stupnicki und Ronald Funke in verschiedene Rollen und sprengen dabei nicht nur wunderbar die Geschlechterzuordnung, sondern auch die Selbstbeherrschung der Besucher, die in zahlreichen Lachanfällen endet. Situationskomik, überzeichnete Charaktere – meisterhaft in allen Facetten umgesetzt – und ein moralischer Zeigefinger, der gut verpackt in Klischees daherkommt, die ad absurdum getrieben werden, machen die Perfect Wives zu einem wahren Gewinn unter den Komödien!
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Bei der Musikinstallation Das Haupt der Medusa knallen Gegensätze aufeinander und wirken gerade so umso eindrucksvoller. Insgesamt sieben Stationen widmen sich auf unterschiedlichste Weise der Musik als Inbegriff von Harmonie und Schönheit. Sowohl griechische Mythologie (Orpheus und Eurydike) wird hier durch Mitglieder des Opernchors und des Ssnabrücker Symphonieorchesters dargestellt, als auch Literatur inszeniert (Bachmann) und einem japanischen Mythos nachgespürt (Zipangu von Wataru Mukai). Dass Musik dank ihrer Ästhetik einerseits als moralisierende Kraft für Stärke und Solidarität sorgen kann, andererseits aber auch als Folterinstrument dient, wird ebenfalls äußerst kreativ vermittelt. Unter der musikalischen Leitung des Dirigenten Anhoon Song und des Chordirektors Markus Lafleur begibt sich das Publikum auf eine einzigartige Entdeckungsreise in die Welt der Musik, der eine Wiederholung zu wünschen ist, auch wenn sie als festivalimmanente Inszenierung geplant ist.
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Das Haupt der Medusa beim 7. SPIELTRIEBE-Festival am Theater Osnabrück Foto (C) Marek Kruszewski
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Sina-Christin Wilk - 7. September 2017 ID 10234
Weitere Infos siehe auch: http://spieltriebe-osnabrueck.de
Post an Sina-Christin Wilk
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