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nachDRUCK # 6

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Premierenkritik

Wunderliches mit

einem Geschöpf

namens Hase



Nina Wolf in Hasenprosa von Maren Kames am Schauspiel Frankfurt | Foto © Laura Nickel

Bewertung:    



Hasen passen besser in die Oster- als in die Adventszeit, so meint man ja. Maren Kames belehrt uns eines Besseren in ihrem 2024er Roman Hasenprosa, der nun als Bühnenadaption am Schauspiel Frankfurt Premiere feierte. Hier wird von einem Hasen erzählt, der, wie das weiße Kaninchen im Kinderbuchklassiker Alice im Wunderland, Auslöser für eine Reise ist, weit über Grenzen und Jahreszeiten hinaus.

Die Selbstverständlichkeit, mit der plötzlich der Hase in das Leben der Protagonistin tritt, erinnert ein bisschen an das mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Stück Mein Freund Harvey (1950) von Mary Chase und an eine urkomische Szene im Film Hedi Schneider steckt fest (2015). Im letztgenannten Drama von Sonja Heiss spielt die Schauspielerin Laura Tonke die Titelheldin, die in besagter Szene unter dem Einfluss von dem Beruhigungsmittel Tavor steht. Sie kauft mit den Worten „Ich hätte gerne einen Hasen“ ein Kaninchen in einem Tiergeschäft. Auf skurrile und absurde Weise redet sie verlangsamt auf den Verkäufer ein, fragt komische Sachen und streichelt das kuschelige Tier dabei kindlich übertrieben. Sie möchte das Tier jedoch nicht dem Eingesperrtsein in einem Karton aussetzen, worüber sich der Verkäufer mokiert, da sie den Betrieb aufhält. Hedi Schneider leidet unter massiven Angststörungen. Auch die Ich-Erzählerin im Roman von Maren Kames begegnet ihrem Hasen unkonventionell als möglichem Gegenüber. Auch sie befindet sich in einer Krise und kreist dabei gedanklich weitestgehend um sich selbst und ihr unmittelbares familiären Umfeld.

Marco Pinheiros ebenerdige Bühne in der Frankfurter Box ist für Maren Kames’ Coming of Age-Geschichte mit farbigen Rechtecken oder Klötzen bunt gestaltet. Die Klötze warten mit Besonderheiten wie einem Innenleben auf, das die beiden auftretenden Figuren entdecken. Bei einem größeren Klotz blicken die Figuren bedeutungsvoll aus einem mittig platzierten Glas-Bullauge, wie von einer Waschmaschine. In einem anderen Klotz entdeckt die Ich-Erzählerin einen Plattenspieler.

Nina Wolf verkörpert die namenlos bleibende Erzählerin mädchenhaft und zerbrechlich in kurzer Jeans und im roten, armfreien Pullover. Ihre Figur lässt emotional eigene Gedankenwelten laut kreisen. Sie fragt sich, wo der Auslöser ihrer Krise gewesen sein könnte und warum sie sich in dieser Situation befindet. Sie widmet sich gedanklich den Unsicherheiten des Lebens, sinniert über das Altern und stellt sich existentiellen Verlusterfahrungen. Eine starke Szene ist es, wenn sie die mögliche Selbstlosigkeit ihrer Großmütter beklagt. Eine Großmutter habe über sie gesagt, sie sei kompliziert und benötige noch viel Zeit für sich selbst. Ihre Schwester sei dagegen „einfach“. Die junge Frau überlegt, ob das echtes Bedauern war, oder gar ein verstecktes Kompliment?

Weniger sensibel und nachdenklich wirkt hingegen ihr eigenwilliger Begleiter und regelmäßig auftauchendes Gegenüber, der spielfreudige Hase - Sebastian Reiß verkörpert ihn mit großen Hasenohren und später einer Hasenmaske. Er turnt um die Protagonistin herum, flachst ausgelassen. Er bietet der Ich-Erzählerin einen Lolli an und genehmigt sich selbst einen. Prompt beißt er seinen Lutscher ab und muss kurz schlucken. Er lenkt die Protagonistin ab, indem er ihr auch einen Fisch an einer Angelschnur oder ein Fernrohr reicht. Er konfrontiert sie dabei mitunter auch frech mit einer Sinnlosigkeit ihrer Reflexionen.

Über weite Strecken trägt Nina Wolf die Aufführung, wenn sie ihre Erzählerin sinnlich gestaltet und mal ebenso stimmungsvoll wie traurig ihren Kopf in einen Blumenkasten ablegt. Sie ergeht sich dabei in einem Strudel an Erinnerungen. Die textflächenartige Reise durch eine familiäre Vergangenheit ist von der Liebe zu den Großmüttern geprägt. Weniger spannend wird es, wenn die Erzählerin ihre Aufmerksamkeit liebevoll alleine dem Hasen zuwendet.

Maren Kames erzählt ihren im letzten Jahr auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelisteten Roman nicht geradlinig, sondern experimentell. Hier entsteht mit assoziativen Sprüngen, poetischen Einschüben, Wortspielen oder Wortwiederholungen ein erzählerisch origineller Sog. Auch Regisseur Marlon Otte arbeitet in seiner Bühnenfassung mit erzählerischen Sprüngen und fragmentarischen, scheinbar sinnfreien Wortkaskaden. Seine etwa 70-minütige, atmosphärisch reizvolle Inszenierung gibt nur einen kondensierten Einblick in den Kosmos des Romans. Zärtlich werden mögliche Realitäten des Erwachsenenlebens befragt, die neben äußeren auch innere Herausforderungen und Grenzen und womöglich auch einen Hasen als Ressource im Gepäck beinhalten können.



Nina Wolf und Sebastian Reiß in Hasenprosa von Maren Kames am Schauspiel Frankfurt
Foto © Laura Nickel

Ansgar Skoda - 11. Dezember 2025
ID 15603
HASENPROSA (Box, 09.12.2025)
nach dem Roman von Maren Kames

Bühnenfassung und Regie: Marlon Otte
Bühne: Marco Pinheiro
Kostüme: Evelyn Gulbinski
Musik: Anton Weigle
Dramaturgie: Katrin Spira
Mit: Sebastian Reiß und Nina Wolf
Uraufführung war am 9. Dezember 2025.
Weitere Termine: 21., 30.12.2025// 11.01.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de


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