Juri Sternburg, Paul Eisenach und Lena Brasch erzählen ein Stück jüdischer Geschichte im Nachkriegsdeutschland Ost mit viel Musik
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Foto (C) Esra Rotthoff
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Bewertung:
Mit dem Rücken zum Publikum stehen beim Einlass VertreterInnen der Gewerke des Maxim Gorki Theater vor der Bühne. Verdi hat am Donnerstag zum Warnstreik im öffentlichen Dienst Berlin aufgerufen. Die Finanzkürzungen des Senats betreffen nicht nur die Kunstschaffenden, auch Stellen in den Werkstätten stehen durch Zusammenlegungspläne zur Diskussion. Die Bühne wäre ohne Masken, Kostüme und Kulissen auch ziemlich leer. Ein kurzer Moment der Solidarität mit den Werktätigen des Theaters, dann geht der Lappen für den Premierenabend hoch, und Schauspieler Lindy Larsson singt „Jetzt ist Theater! Oh Theater!“ während das Ensemble in Showkostümen über die Bühne tänzelt.
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East Side Story A German Jewsical heißt der Abend mit Texten des Dramatikers und Drehbuchautors Juri Sternburg (Asbest, Die Zweiflers) und Songs von Paul Eisenach in der Regie von Lena Brasch. Der Titel spielt auf das bekannte Musical West Side Story an, ist aber vor allem inspiriert von den deutsch-jüdischen Familiengeschichten der Regisseurin und des Autors, der aus der Theaterfamilie Langhoff stammt. Die Braschs und die Langhoffs haben Theater- und Filmgeschichte in der DDR und im Westen geschrieben, aber auch nach dem Zweiten Weltkrieg als Rückkehrer aus dem Exil und Funktionäre in der kommunistischen DDR-Nomenklatur.
Sternburgs Text erzählt die Geschichte der beiden Schwestern Gerda (Nairi Hadodo) und Renate (Sesede Terziyan), die, nachdem sie sich mit der Familie auf dem Brandenburger Land versteckt hielten, nach Berlin in ihre alte Wohnung zurückkehren. Die Koffer sind symbolisch vollbepackt, der Empfang in der Trümmerstadt alles andere als herzlich. Die Nazis sind zwar weg, aber die Nachbarn (Fridolin Sandmeyer, Klara Deutschmann) haben noch das Geschirr der Familie und singen von „Das waren halt andere Zeiten“. Der kommunistische Vater (Edgar Eckert) ist Schriftsteller und die Mutter eine mondäne, aber herzliche Bürgerliche, die Lindy Larsson als grandiose Travestie gibt.
Auf der Drehbühne vom Studio Dietrich&Winter sind vorn eine Wohnungsruine und hinten eine alte Fleischerei, die nun eine Bar ist, zu sehen. Darüber spielt die Liveband im Pilzkopf-Outfit der Beatles. Das groovt immer sehr schön zwischen Beat, Blues, Rock, Chanson und Klezmer. Anastasia Gubareva singt als jüdisch-russische Funktionärin ein russisches La Paloma, und Klara Deutschmann gibt das einstige Filmsternchen Maria, das nun wieder Karriere machen will. Und auch Gerda will lieber nach New York anstatt wie die Schwester Renate eine neue Welt aufbauen. Und der jüdische Schwarzmarktganove Mendel (Edgar Eckert) will nach Palästina und kommt, am Ziel angelangt, beim Sturm auf das Schiff Exodus um. Das Schicksal der Holocaustüberlebenden wird hier anhand von drei Geschichten mit viel Musik erzählt: Mensch gegen Mensch, Mensch gegen das System und Mensch gegen sich selbst. Jüdisches Leben als ewiger Kampf.
Das kommt in den Songs mal sehr druckvoll, mal eher melancholisch rüber. In den Spielszenen fehlt dafür eine stringente Figurenentwicklung. In den gut zwei Stunden werden vom Holocaust, dem Nachkriegs-Berlin über den Mauerbau bis zur Wende sehr viele Themen angeschnitten und nur im Vorbeigehen behandelt, was den Abend am Ende etwas überfrachtet. Während Gerda sich in New York als Revuesängerin versucht, macht Renate in der DDR als Richterin Karriere, obwohl sie auch lieber etwas anders getan hätte. Der Vater fällt wegen einer Äußerung zu Israel bei der Partei in Ungnade und stirbt. Beim Wiedersehen zur Beerdigung haben sich die Schwestern zu sehr entfremdet. Zwischen ihnen steht auch nach wie vor die dritte Schwester Dora (Jasna Fritzi Bauer), die den Holocaust nicht überlebt hat. Sie fungiert auf der Bühne als Erzählerin und trifft den Juristen und Nazi-Jäger Fritz Bauer als „Opa-Cowboy-Gott“ in der Bar. Am Ende tönt Helmut Kohl aus dem Off, und das Ensemble singt eine jiddische Partisanenhymne als trotzige Aussage: „Wir sind da!“
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East Side Story A German Jewsical - am Maxim Gorki Theater Berlin | Foto (C) Ute Langkafel
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Stefan Bock - 20. Dezember 2025 ID 15617
East Side Story A German Jewsical (Maxim Gorki Theater Berlin, 18.12.2025)
von Juri Sternburg, mit Songs von Paul Eisenach
Regie: Lena Brasch
Bühne: Studio Dietrich&Winter
Kostüme: Eleonore Carrière
Künstlerische Mitarbeit Kostüm: Julia Radewald
Komposition: Paul Eisenach
Co-Komposition: Wenzel Krah
Choreografie: Zarina Stahnke
Lichtdesign: Murat Özuzun
Stimmcoaching: Turan von Arnim
Dramaturgie: Simon Meienreis
Bandleader: Wenzel Krah
Mit: Jasna Fritzi Bauer, Klara Deutschmann, Edgar Eckert, Anastasia Gubareva, Nairi Hadodo, Lindy Larsson, Fridolin Sandmeyer und Sesede Terziyan sowie den Musikerinnen und Musikern Wenzel Krah (Bandleader), Gidon Carmel, Fee Aviv Dubois, Izzy Ment und Albertine Sarges.
Premiere war am 18. Dezember 2025.
Weitere Termine: 31.12.2025// 01., 17., 18.01.2026
Weitere Infos siehe auch: https://www.gorki.de
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