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Premierenkritik

Laster der

Gefallsucht



Miguel Klein Medina, Mitja Over und Stefan Graf (v.l.n.r.) in Das Bildnis des Dorian Gray am Schauspiel Frankfurt | Foto (c) Robert Schittko

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Lord Henry (Stefan Graf) schaut verzückt ins Publikum. Der Dandy ist sichtlich bewegt und begeistert von dem, was er sieht. Dem Publikum kommt scheinbar gleich zu Beginn eine wichtige Rolle zu, wenn Lord Henry auf die Zuschauerreihen blickend das Bildnis des Dorian Gray vor Augen hat. Er ist hin und weg. Wer ist dieser perfekt ausgearbeitete Jüngling, ruft Lord Henry bewundernd aus. Der Maler des Werkes, Basil Hallward (Miguel Klein Medina), den Henry gerade in dessen Atelier besucht, druckst herum. Basil scheint sich sichtlich unkomfortabel zu fühlen und ist misstrauisch. Er möchte Henry nicht zu viel über sein Modell verraten, das gleichzeitig seine Muse und scheinbar auch eine Liebschaft ist. Doch nun ist es bereits zu spät. Denn Dorian Gray ruft Basil bereits. Dorian setzt sich mit geschlossenen Augen, erhobenen Armen und leicht angewinkeltem Bein lasziv in Szene. Er mäht dabei wie ein Schaf, scheinbar ein Erkennungszeichen zwischen ihm und Basil.

Der schlanke Dorian (Mitja Over) tritt engelhaft ganz in Weiß auf, mit einem arm- und bauchfreien, fellartigem Oberteil. Henry und Basil, die etwas kräftiger und muskulöser sind, tragen hingegen helle und geblümte Oberteile, lange, metallisch glänzende schwarze Lacklederhandschuhe und schwarze Latexstiefel mit hohen Absätzen. Die Kostüme von Belle Santos stehen hier für provokative Extravaganz. Basil erwidert das Mähen verzögert, weshalb Dorian die Augen öffnet. Die Blicke von Dorian und Henry treffen sich. Dorian blickt erst perplex, schamvoll, dann begierig. Henry schaut unverhohlen lüstern auf Dorian und streckt seine Arme ebenso genüsslich wie besitzergreifend zur Seite hin. Als Basil Henry bittet zu gehen, um weiter am Bild arbeiten zu können, droht Dorian damit, dann auch gehen zu wollen. Basil bittet Henry sogleich zu bleiben. Dorian legt daraufhin, mit dem Rücken zum Publikum, langsam Hose und Oberteil ab. Nun schreiten sowohl Basil als auch Henry gemächlich auf den nur noch mit Slip und Schuhen bekleideten, weiterhin posierenden Dorian zu. Schließlich umrahmen Basil und Henry Dorian und drohen den blendend weißen Körper mit ihren schwarz behandschuhten Fingern zu berühren. Die effektvolle Bewegung der drei friert als homoerotisches Bild ein.

*

Ran Chai Bar-zvi und Lukas Schmelmer haben die Übersetzung aus dem Englischen von Eike Schönfeld für die Bühne bearbeitet. Sie stellen die drei Hauptfiguren des Romans ins Zentrum der Inszenierung. Dabei setzen sie Bezüge zum Autor des Werks, Oscar Wilde (1854-1900). Im Roman von 1890 wird die Geschichte des Dorian Gray erzählt, der das Porträt seiner selbst besitzt, das altert und Folgen seiner Missetaten ausweist, während er selbst seine Jugend und Schönheit bewahrt. Spuren seines zerstörerischen Lebenswandels verlagern sich in das Bild. Der Maler Basil und Lord Henry stehen für Ausprägungen unterschiedlicher Persönlichkeiten. Die Freundschaft der beiden wird durch die Rivalitäten um den verführerischen Dorian und einhergehende Eifersüchteleien auf die Probe gestellt.

Die Inszenierung, die den schönen Schein, gesellschaftliche Masken, Lügen und den Verfall thematisiert, ist choreographisch ausgefeilt. Das Trio bewegt sich auf der Bühne bald ausgelassen und sinnlich zu „Sweet Dreams“ von Eurythmics (Musik: Evelyn Saylor). Dabei drehen sich Basil und Henry gleichermaßen mit ihrem Begehren um Dorian. Auch die reduzierte Drehbühne setzt sich nun in Bewegung. Silberne Kugeln in unterschiedlichen Größen, reichlich Theaternebel, Stroboskoplicht und schnelle Lichtwechsel (Lichtdesign: Frank Kraus) kommen zum Einsatz.

Dorian beginnt ein Machtspiel mit wechselnden Opfern, wenn er Basil und Henry gegeneinander mit seinen Verführungskünsten ausspielt. Er erniedrigt Basil mit brennenden Zigaretten und widerspricht dem altklug Weisheiten verbreitenden Henry mehrfach. Im großen Gestus kommen Meinungsverschiedenheiten zum Tragen.

Bald verliebt sich Dorian in Sibyl Vane, die in der Aufführung in den Kammerspielen selbst nicht dargestellt wird. Seine beiden Freunde sind nicht begeistert. Sie überzeugen Dorian davon, dass er sich die siebzehnjährige Laiendarstellerin, die angeblich stumpf und dilettantisch agiere, aus dem Kopf schlagen sollte. Hier droht Dorian selbst erstmals im Dreiergespann außen vor zu sein. Dorian reißt, scheinbar außer sich, einen roten, glänzenden Vorhang herunter. Er zieht sich nunmehr rote Latexschuhe mit hohen Absätzen und rote Lacklederhandschuhe an, um darin über die Zuschauerreihen zu steigen. Basil und Henry rufen Dorian auf die Bühne zurück. Sie sehen einander nun, Sonnenbrillen und geblümte Kleider tragend, sehr ähnlich.

Der israelische Theaterregisseur, Bühnen- und Kostümbildner Ran Chai Bar-zvi hat seine Inszenierung um einen anschließenden Kommentar von Marcus Peter Tesch ergänzt, als sog. Uraufführung. Am Ende mimen Graf und Medina, nun in Tanktop-Trägershirts und kurzen Hosen, zwei attraktive Jungs, die zusammen mit Dorian einen zünftigen bis vulgären, auch ein bisschen brutalen Abschlussmonolog sprechen. Die Jungs bezeichnen Dorian als „gay“. Überraschend freut dieser sich, denn er erkennt so im positiven Sinne, dass er anders ist. Dorian konfrontiert daraufhin sein Bildnis, das er und die Jungs prompt in all seiner Hässlichkeit aus dem Bild austreten sehen. Hintergründig kritisiert Teschs Monolog einen Trend zur sogenannten Selbstoptimierung durch Selbstvermarktungstendenzen über Social Media und Online-Datingbörsen. Schlussendlich scheinen Dorian und sein Bildnis in Selbstannahme und sogenannter „Self Love“ positiv vereint.



Miguel Klein Medina und Mitja Over (v.l.n.r.) in Das Bildnis des Dorian Gray am Schauspiel Frankfurt | Foto (c) Robert Schittko


Das Düsseldorfer Schauspielhaus würdigte Wilde in diesem Jahr als schillernde Persönlichkeit, kühnen Ausnahmekünstler und queere Ikone. Auch die Frankfurter Inszenierung seines wohl bekanntesten Romans ist ein Plädoyer für die Freiheit, setzt auf ästhetische Reize und überzeugt mit sinnlich theatralen Bildern.

Glücklich sind die Menschen, die in der Wirklichkeit träumen. Wilde war es seinerzeit wichtig die dramatische Entwicklung seiner Geschichte vage und unbestimmt mit einer Atmosphäre moralischer Korruption zu umgeben.

Das Frankfurter Programmheft zitiert aus einem Aufsatz von Thomas Mann, in dem der Literaturnobelpreisträger Bezüge zwischen Oscar Wilde und Friedrich Nietzsche setzt und Wilde als Ästheten und Revoltierenden im Namen der Schönheit begreift. Hier zollt Mann Wilde aufrichtige Wertschätzung. Auch verweist das Programmheft darauf, dass Oscar Wilde, im viktorianischen England der wohl bekannteste Dichter, 1895 verurteilt wegen Sodomie, in einer Gefängniszelle in Reading inhaftiert war. Der einstige glamouröse Freigeist und exzentrische Dandy war zu zwei Jahren harter Zwangsarbeit wegen „grober Unzucht“ bei unmenschlichen Haftbedingungen verurteilt. Er wurde öffentlich gedemütigt, als Häftling C33 im Gefängnis körperlich gezüchtigt und von seinem Geliebten verlassen. Dem schillernden Romancier und Dramatiker wurde das Schreiben verboten, und er musste Teile seiner Strafe in Isolationshaft verbringen.

Es ist verdienstvoll, dass mehrere namhafte Theaterhäuser Oscar Wildes Werke anlässlich seines 125. Todestages mit neuen Ansätzen ebenso provokant wie gebührend wiederentdecken.
Ansgar Skoda - 15. Dezember 2025
ID 15609
DAS BILDNIS DES DORIAN GRAY (Kammerspiele, 12.12.2025)
nach Oscar Wilde

Regie und Bühne: Ran Chai Bar-zvi
Kostüme: Belle Santos
Musik: Evelyn Saylor
Dramaturgie: Lukas Schmelmer
Licht: Frank Kraus
Mit: Stefan Graf, Miguel Klein Medina und Mitja Over
Premiere am Schauspiel Frankfurt: 12. Dezember 2025
Weitere Termine: 21., 29.12.2025// 8., 18.01.2026


Weitere Infos siehe auch: https://www.schauspielfrankfurt.de/


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