Sabotage
Yael Ronens neue Stückentwicklung an der Berliner Schaubühne legt den Nahostkonflikt und deutsch-jüdische Neurosen ironisch auf die Psychocouch
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Bewertung:
Ein jüdischer Witz über den Holocaust in einem deutschen Theater. Das könnte heikel werden, denkt man sich als Deutscher gleich. Aber wir sind in einem neuen Stück der israelischen Dramatikerin und Theaterregisseurin Yael Ronen an der Berliner Schaubühne. Was nicht unbedingt beruhigt, aber einem zumindest signalisiert hier nicht in die Antisemitismusfalle zu tappen. Oder etwa doch? Der den Witz erzählt ist der Schauspieler Dimitrij Schaad in der Rolle des in Berlin lebenden jüdischen Dokumentarfilmers Jona Lubnik mit russisch-ukrainischen Eltern, in Israel geboren und mit 4 Jahren nach Deutschland gekommen. Er monologisiert sich gleich zu Beginn des Abends in Rage. Er fühlt sich als „Vollzeitjude“, den man immer nur einlädt, um seine Meinung zu Israel zu hören. Jude sein, ist für ihn wie ein Abo im Sportstudio, das man nicht kündigen kann, obwohl man nicht hingeht. Seit dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 steckt er in einer Depression, hat keinen Film mehr gedreht und fühlt sich schuldigt für die Kriegsverbrechen der israelischen Armee im Gazastreifen.
Ein Jude in Deutschland, der sich schuldig fühlt für die Politik Israels, in Selbstzweifeln zerfressen, ob er etwas dagegen sagen soll, oder nicht, ist hier auch ein Sinnbild für Deutschland, das sich vor seiner Verantwortung wegdrückt. Und so ist auch die Pointe des Witzes ein Blick auf die Täter von damals, deren Nachkommen sich heute schwertun, mit ihrer Erinnerungskultur an das Dritte Reich. Da ist das Feld weit abgesteckt, und Yael Ronen hat Jona noch weitere deutsche Figuren hinzugestellt. Da ist Jonas Frau (Carolin Haupt), eine Neurologin, die sich anschickt, als erste Frau Chefärztin in der Charité zu werden. Sie wirft Jona vor, sein geplantes Filmprojekt über den israelkritischen Naturwissenschaftler und Religionsphilosophen Jeschajahu Leibowitz, der die Siedlungspolitik Israels bereits in den 1960er Jahre als „jüdisch-nazistisch“ kritisierte, würde ihre Karriere sabotieren.
Daher wohl auch der Stücktitel Sabotage. Es ist in der Stückbeschreibung auch von Selbstsabotage die Rede. Ein Jude, der nicht mehr mitspielen will, fürchtet zum „selbsthassenden“ Antisemiten zu werden. Jona geht nicht mehr aus dem Haus und kommuniziert nur noch mit ChatGPT, das er liebevoll Chatty nennt. Dazu plagen ihn noch Panikattacken und eine Steißbeinfistel. Er fühlt sich also im wahrsten Sinne des Wortes „am Arsch“. Seine Depression behandelt die Psychotherapeutin Pia (Eva Meckbach), der der Neurotiker sichtlich auf die Nerven geht. Schaad erinnert hier mit dickrandiger Brille (Kostüme: Amit Epstein) nicht von ungefähr an den jüdisch-amerikanischen Filmregisseur Woody Allen (Der Stadtneurotiker). Hinzu käme eine weitere Ähnlichkeit zum deutsch-jüdischen Regisseur Dani Levy (Alles auf Zucker). Der Bogen zur Komödie ist also gespannt.
Als netter Sidekick tritt noch Konrad Singer als Pias Bruder auf. Der etwas luschige Sportreporter hat nach einem leichten Schlaganfall einen blinden Punkt auf dem Auge (ein sogenanntes Charles-Bonnet-Syndrom). Sein Gehirn suggeriert ihm nun die Halluzination eines ihn verfolgenden und ständig filmenden dicklichen Jesus (auch von Schaad gespielt). Eine Vision, die ihn zunächst stark verunsichert, an die er sich aber schnell gewöhnt, und nach ihrem Verschwinden, zu vermissen beginnt. Eine weitere schöne Metapher für den deutschen neurotischen Blick und blinden Punkt in der Geschichte. Der Nahostkonflikt als Neurosen-Karussell auf der deutschen Psychocouch.
Da herrscht nicht nur beim Möbel-Zusammenbau auf der Wohnzimmer-Bühne von Magda Willi reichlich Chaos. Auch in den Gefühlswallungen der ProtagonistInnen spiegelt sich das pointenreich wider. Eine der typischen Boulevardkomödien von Yael Ronen, bei der sich das Personal scharf die Bälle zuspielt. Das klappt mal besser und mal schlechter. Vor allem der Beziehungsstreit von Jona mit seiner Frau kulminiert in seinem Vorschlag, einer therapeutischen Triangulierung. Da Pia auch noch lesbisch ist, entwickelt sich die Begegnung der erzürnten Gattin mit der Therapeutin in deren Praxis aber etwas anders, als von Jona erwünscht. Hier verliert das Stück allerdings auch ein wenig das Ziel aus den Augen. Um den streitbaren Philosophen Leibowitz, der immer wieder durch Videoprojektionen im Hintergrund geistert; um den Film über ihn geht es da nur noch am Rande. Dafür löst sich vieles am Ende in Wohlgefallen auf. Jonas Dokumentarfilm bleibt wider Erwarten trotz eines Top-Sendeplatzes ohne Resonanz. Aber die beiden von Frau und Jesus verlassenen Männer fühlen sich trotz allem sehr befreit. Ach könnte es doch immer so einfach sein.
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Sabotage von Yael Ronen an der Schaubühne Berlin | Foto (C) Ivan Kravtsov
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Stefan Bock - 6. Dezember 2025 ID 15592
SABOTAGE (Schaubühne am Lehniner Platz, 04.12.2025)
von Yael Ronen
Regie: Yael Ronen
Bühne: Magda Willi
Kostüme: Amit Epstein
Musik: Yaniv Fridel und Ofer (OJ) Shabi
Video: Stefano Di Buduo
Dramaturgie: Martín Valdés-Stauber
Licht: Marcel Kirsten
Künstlerische Mitarbeit: Irina Szodruch
Mit: Carolin Haupt, Eva Meckbach, Dimitrij Schaad und Konrad Singer
UA war am 4. Dezember 2025.
Weitere Termine: 06., 07., 08., 09.12.2025// 16., 17., 18.01.2026
Weitere Infos siehe auch: https://www.schaubuehne.de
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