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Feuilleton

Rogge/Otto - "Zwei Erinnerungen"

Degas, "Ich werde nicht da sein, wenn du mich brauchst"




Ein zweiteiliger Abend über Malerei, Blindheit, Abwesenheit
Theaterstück für Schauspiel, Musik und Zeichnung

Premiere: 27. Oktober 2011, Orangerie - Theater im Volksgarten, Köln

Regie: Stefan Rogge
Musik: Max Julian Otto
Spiel: Katja Bramm, Ingo Heise
Musik und Zeichnung (live): Max Julian Otto

Deconstructing Degas oder: Die schönen Dissonanzen der Liebe

Ein aschfahler Edgar Degas (Ingo Heise) fällt gleich mit der Tür ins Haus: eine Kettensäge hatte zuvor fein säuberlich eine Öffnung in die hauchdünne Stellwand (Tafel) im Hintergrund gearbeitet. Während eine schwarz vermummte Gestalt (Max Julian Otto) mit Kreide den Raum optisch vertieft, verlieren sich der Künstler und eine Frau an seiner Seite (Katja Bramm) in Betrachtungen über Kunst, Schmerz, Alles und Nichts. Das Verlieren selbst.

Degas und seine Muse fahren die große Zitiermaschinerie auf, spucken einander Wahrheiten und verbalisierte Emotionen ins Gesicht – meist, bis einer am Boden liegt. Viel mehr als eine diffuse Ahnung von Verletzlichkeit und Abhängigkeit lassen die lose verdrahteten Versatzstücke aus Künstlerzitaten, kakophonischen Musik-Fetzen und Tanzeinlagen zunächst aber nicht zu. Was hier genau auf dem Spiel steht, das wird besser dem Programm der Orangerie Köln entnommen, wo denn zur Ankündigung der Premiere von Zwei Erinnerungen neben Baudelaire auch Edgar Degas zitiert wird: "Bei Leuten, die etwas von der Kunst verstehen, bedarf es keiner Worte. Man sagt "Hm! Ha!" oder "Ho!", und damit ist alles ausgedrückt.“

Regisseur Stefan Rogge hat in Degas, dem ersten Teil der zweigliedrigen Theaterproduktion in Zusammenarbeit mit Max Julian Otto, den roten Faden konsequent vermieden, um assoziativ ein Porträt des Künstlers als alternder Mann zu komponieren. Erst das lebende Bild der im Waschzuber posierenden Muse und die Erblindung des zunehmend unbeherrschten Künstlers vermögen den Edgar Degas auf den Plan zu rufen, den man kennt: den kongenialen Künstler der Belle Époque, den präzisen Beobachter von Szenen bürgerlichen Lebens. Des weiblichen Körpers, vor allem.

Blindsein muss sich anfühlen wie ein stockdunkler Raum, wie er uns hier schließlich aufgezwungen wird. Lediglich ein paar vereinzelte Kerzen erhellen die grotesk geschminkten Gesichter der Darsteller. Eine sinnliche, konkrete Metapher der aufgewühlten Psyche des halbblinden französischen Künstlers. Dies sind die Momente, in denen das fragmentarische Stück mit Atmosphäre, Überraschungsmomenten und leichtfüßigen Pointen endlich auch zu berühren vermag. Werden Inhalt und Aussage der Szenen schließlich doch noch sinnfällig, erschließt sich langsam auch der Mechanismus dieser lyrischen, ungereimten Künstlerwelt. Doch dann ist die Dreiviertelstunde bereits vorbei und man wird nach einer Live-Vorstellung des Pixies-Songs „Hey“ (mit E-Gitarren!) in die Pause entlassen, ein wenig hungrig noch.

„Ich werde nicht da sein, wenn du mich brauchst“ ist eine klare Ansage. Max Julian Otto, Liedermacher, Zeichner und Bühnenbildner in Personalunion, untermalt mit seinen Liedern im zweiten Teil des Abends das Sollen und Dürfen der Liebe; parallel dazu performen Ingo Heise und Katja Bramm deren kolossales Scheitern.

Diese ruhig erzählten Szenen müssen mit einem Minimum an Theaterdialog und Requisiten auskommen, was ungemein entkrampfend wirkt. Dafür findet Rogge dramaturgisch raffinierte Lösungen, wenn er zum Beispiel das unter den Frühstückstisch gepferchte Paar am eigenen Leib erfahren lässt, wo Nähe zuviel des Guten ist.

Die Geschichte der beiden Ex-Liebenden, von dem lediglich der männliche Part auf der Bühne seine Wut-Trauer herausheulen darf, wird jedoch im Wesentlichen von den wortgewaltigen Liedern erzählt. Es sind wehmütige, manchmal selbstverlorene, meist auch zynische Songs in deutscher Sprache, deren dunkel-weiches Timbre immer auch einen Schuss Coolness abbekommt. Spätestens wenn Ingo Heise als gehörnter Partner schluchzend zusammenbricht und von hinten nasse Papiertaschentücher in hohem Bogen auf die Bühne klatschen, bricht auch ein feiner Humor durch. Die Wiederbegegnung mit der Ex ist dann auch eher komisch als tragisch: Abstruse Anti-Floskeln bringen nicht nur das Publikum zum Lachen, auch der Musiker selbst kann sich ein Schmunzeln kaum verkneifen.

Nur das Ende ist nicht wirklich befriedigend. Es bleibt der Eindruck, konzentriertes wie auch lebendiges Schauspiel miterlebt zu haben; die Stringenz – insbesondere im Zusammenhang mit dem ersten Teil des Abends – wird allerdings schmerzlich vermisst. 8Oder aber die „Zwei Erinnerungen“ sind bloß jene blanken Flecken im kollektiven Unbewussten, die sich ohnehin nicht mit greifbaren Objekten ausgestalten lassen. Impressionismus eben.

Der Worte sind genug gesprochen. Man mache sich selbst ein Bild und stelle seinen Kunstverstand auf die Probe. Vielleicht verlässt man dann das Theater mit einem so nachdenklichen wie expressiven „Hm!“.


j.o., red, 31.10.2011, Köln
ID 00000005458


Siehe auch:
http://www.theaterszene-koeln.de/stueck.php?id=24279





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