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nachDRUCK # 6

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Rezension


27. / 28. / 29. Mai 2011, Lübeck / Kiel / Lübeck

SIEGFRIED /
SALOME /
GÖTTERDÄMMERUNG




Zwei Richards im Norden (II)


27.05.2011, Zweiter (Frei)Tag, Theater Lübeck: Siegfried

Die Überschrift gibt Rätsel auf: „Dr. Mimes Altenheim“. Mime steht vorn und experimentiert mit irgendwelchen Chemikalien, bis es einmal laut Puff!!! macht, Siegfried hockt mit dem Bären und ein paar ausgestopften Vögeln im Käfig dahinter, aber Senioren sind weit und breit keine zu sehen. Zwar ist der alsbald auftauchende Wotan mittlerweile ergraut, aber in seiner Biker-Kluft und mit schicker Vokuhila ist er definitiv noch kein Pflegefall. Stefan Heidemann macht als Prolet eine glänzende Figur, ist auch stimmlich in Hochform.

Das Quiz zwischen Zwerg und Wanderer verläuft als Dartspiel, die Schmiedeszene kommt als eine aus dem Ruder laufende Kochshow daher: Mime pampert mit Teig, packt den Picknickkorb, füllt den Gifttrank in die Thermoskanne und säuft sich mit Weißwein noch so richtig schön einen an. Stuart Patterson serviert hier eine großartige Persiflage auf Alfred Biolek. Was Siegfried an der Stelle eigentlich tut - darauf achtet keiner.

Im zweiten Aufzug fällt dann der Groschen, warum Siegfried im Altenheim spielt. Da hockt Alberich wie ein entsorgter vorderasiatischer Tyrann im Rollstuhl, im Exil wider Willen, und bekommt Besuch von Wotan. Zwei alte Säcke treffen sich zum Schach - und ein letztes Mal aufeinander. Ein Zimmer weiter sitzt die tote Oma Sieglinde im Sessel, ihr Piepmatz zwitschert vergnügt im Vogelbauer. Dann übernimmt ein richtiger Hornist das sonst immer so peinliche Siegfried-spielt-das-Horn-Playback, die unter Quarantäne stehende Neidhöhle öffnet sich und der Vorbote der Hölle, nämlich ein Drachenhündchen, huscht von rechts nach links. Dass mag jetzt albern klingen, aber der Gag zündet: Lachsalven! Szenenapplaus! Der Wurm selbst sieht wie die vergoldete Ausgabe von Jabba the Hutt aus, die Stimme des Waldvogels steckt in der Kehle einer erotischen Nachtschwester, Mime vergisst seinen Doktortitel und spielt - in entsprechendem Ambiente - plötzlich den Barkeeper. Ein irrer, inszenatorisch geschlossener Aufzug - und für mich das Highlight dieser Produktion.

Dritter Aufzug: Erda (wiederholt fabelhaft: Ulrike Schneider) ist ebenfalls alt geworden und dämmert vor dem Fernseher ("Mein Schlaf ist Träumen"). Nach der gemeinsamen Szene mit Wotan, wird sie von ihm erdrosselt ("Hinab, zu ewigem Schlaf!"). Der Göttervater zerstört seinen Speer selbst, glaubt er doch, in Siegfried und Brünnhilde zwei Nachfolger gefunden zu haben, die seine Ideologie teilen. Letztere ist aber noch im Feuerzauber verschlossen, liegt zwischen Frisierkommode und Blümchenvorhang auf dem Bett (Wagner ist hier wirklich verdammt süßlich), und wartet auf ihren Prince Charming. Doch das Mädel guckt nach der Knutscherei ziemlich enttäuscht, hat sie doch Wotan erwartet. Rebecca Teem und der stimmlich erst ganz zum Schluss einknickende Jürgen Müller spielen das einfach grandios. Das Philharmonische Orchester Lübeck steigert sich kontinuierlich von Abend zu Abend.

*


28.05.2011, verregneter Samstag, Opernhaus Kiel: Salome

Silvana Schröder kann sich leider nicht entscheiden, ob sie in ihrer Salome-Regie den Untergang eines Führers oder den Missbrauch eines Kindes erzählen möchte. Beide Lesarten sind möglich, aber zusammen auf die Bühne gebracht, stoßen sie sich einander ab und eine in die Breite gebaute Inszenierung ist das Resultat. Das ist schade. Wäre Schröder doch deutlicher, rabiater geworden, hätte Andreas Auerbach (Ausstattung und Video) mit seinen Anzügen, Deckenflutern und all dem langweiligen Kram nicht so kläglich versagt - es hätte ein interessanter Abend werden können. Stattdessen: Business im Bunker, Lolita am Lampignon, Unterbühne hoch, Unterbühne runter, hier ein Herzinfarkt (Narraboth), dort ein Blowjob (Tanz der sieben Schleier) und wenig wirklich bezwingende Einfälle (Herodes hört schon den Wind der Artillerie über dem Bunker). Der Graben bietet einen zerfaserten, lauten Strauss. Aus der eher mittelprächtigen Besetzungsschar sticht der sehr jugendliche Herodes von Michael Müller positiv hervor.

*


29.05.2011, Sonn- und Dritter Tag, Theater Lübeck: Götterdämmerung

Über den Regisseur habe ich noch gar nichts erzählt. An der Deutschen Oper Berlin hat Anthony Pilavachi vor vielen Jahren Richard Strauss’ Daphne inszeniert, mehr bislang nicht. Zumindest kann ich mich an keine weitere Arbeit in der Hauptstadt erinnern. Dabei ist Pilavachi nicht nur einer, der an den Zauber des Theaters glaubt, er beherrscht auch das Handwerk eines Erzählers. Seine RING-Charaktere sind keine Schwarzweiß-Schablonen, sondern psychologisch ausgefeilte Porträts.

Drei Señoritas (ein Paradebeispiel für die hervorragenden Kostüme von Angelika Rieck) zerren an Wagners Partitur herum, bis diese reißt: Die Nornenszene, die unter den Augen von Richard und Cosima (Was für tolle Büsten - ein Lob an die Werkstätten!) statt findet, stimmt auf eine viel versprechende Götterdämmerung ein, auch musikalisch. Brünnhilde verlebt inzwischen ihr Dasein als Hausfrau und neunfache Mutter, Gatte Siegfried bricht zu neuen Taten auf. In der Halle der Gibichungen steckt Revue-Transvestit Gunther einen Mini-Reichstag in Brand (und tritt kurz darauf als Reichstagspräsident Göring an die Rampe), Gutrune kommt als Schwester von Sally Bowles daher - die frühen 30er lassen grüßen - und Hagen hält sich als wahrer Strippenzieher zunächst im Hintergrund.

Dank Veronika Waldner (auch Erste Norn) gerät die Waltrautenszene zum gesanglichen Höhepunkt im ersten Akt. Der Männerchor zu Beginn des zweiten Aufzuges lässt dagegen Geschlossenheit vermissen. Gary Jankowski singt einen verächtlichen, schwarz fundierten Hagen, Gerard Quinn (Gunther) gibt tapfer den Waschlappen, nur Richard Decker reicht an den gehaltvollen Siegfried Jürgen Müllers nicht ganz heran. Rebecca Teem dagegen ist heute glänzend bei Stimme, hat die sonst etwas ins Blaue schießenden Höhen unter Kontrolle und liefert hier ihre beste Brünnhilde ab.

Nachdem sturzbetrunkene Barschlampen (Rheintöchter) Siegfried vor seinem Ende warnen, kommt Hagens Speer zum Einsatz: Der Held stirbt in den Armen von Brünnhilde. Pilavachi hat die vier Abende unterschiedlich konzipiert, die Verbindungslinien zwischen den einzelnen Teilen sind äußerst behutsam gesetzt. Ein Resümee gibt es dennoch: Die Welt ist voller Gewalt – und diese Gewalt ist männlich. Dass diese Produktion vorwiegend durch die Sängerinnen getragen wird, macht diesen RING zu einem RING der Frauen. Gutrune (eine kongeniale Singschauspielerin: Ausrine Stundyte) ist die letzte Frau, die missbraucht wird, aber die erste, die sich wehrt, indem sie Hagen ersticht.

Brünnhilde hält ihren Schlussgesang wie die Sportpalastrede ab - und fast geht man ihr auf den Leim, dass sie den Ring behalten werde. Da entledigt sie sich ihrem schwarzen Nazi-Outfit, friert an der Seite ihres Gatten zum Denkmal ein und gibt ihrem Vater, der an einem brennenden Tisch sitzt, damit zu verstehen: So wie du werde ich nie! Der Ring geht an die Rheintöchter zurück, Alberich schliesst den Vorhang, wie gesagt: Nach dem RING ist vor dem RING. Dankbare, langanhaltende Ovationen.



Daniela Denschlag, Agnieszka Hauzer in SALOME am Theater Kiel - © struck-foto


Heiko Schon - red. 1. Juni 2011
ID 00000005224
ZWEI RICHARDS IM NORDEN (I)

Weitere Infos siehe auch: http://www.theaterluebeck.de


http://www.theater-kiel.de



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