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Rezension

19. Dezember 2013 - Maxim Gorki Theater

DIE ÜBERGANGS-
GESELLSCHAFT

von Volker Braun | in einer Spielfassung von Lukas Langhoff und Holger Kuhla


Foto (C) Esra Rotthoff



„Unsere Arbeit ist die Zerstörung. Ich würde auch lieber aus Lehm Menschen formen, aber nach wessen Bilde? Ich bin Abrißarbeiter. Krieg den Palästen." (Paul Anton, Schriftsteller)

Ein Zitat aus Volker Brauns 1982 geschriebenem Stück Die Übergangsgesellschaft, das 1988 in der Regie von Thomas Langhoff am Maxim Gorki Theater gefeiert wurde. Es kommt in der von Sohn Lukas Langhoff gemeinsam mit dem Dramaturgen Holger Kuhla erarbeiteten Stückfassung nicht vor. Langhoff jun. nimmt es jedoch als ziemlich präzise Regieanweisung. Schriftsteller Paul Anton - in Anspielung an Tschechows Vor- und Vatersnamen - (Taner Şahintürk) reißt hier aber keine Paläste ein, er zerfetzt lediglich zwei vorher präparierte Theaterstühle und liefert sich dabei ein heftiges Wortgefecht mit Walter Höchst (Till Wonka), Betriebsleiter und Sohn des Hauses, um Privat- und Volkseigentum. Langhoff führt Brauns "realsozialistische Passion", die an Anton Tschechows Stillstands- und Wartedrama Drei Schwestern angelehnt ist, im leeren Zuschauersaal des Gorki auf, während das Publikum oben auf der Bühne platziert wird.

Empfangen wird der Zuschauer aber zunächst mit wummernder Technomusik. Auf dem Balkon des Rangs steht Volkan T. und erinnert an die fiktive DJ-Legende DJ Overground, indem er dessen Schaffen als eine immer gleiche Elektronikbeatschleife präsentiert. Wohl ein Hinweis darauf, dass sich auch Geschichte wiederholt. Unterbrochen wird er schließlich durch eine Schar Besucher, die mit einem Schild "Gorki-Tours 91" den Saal betreten haben. Wir befinden uns also nach der sogenannten Wende, der Übergang hat demnach bereits stattgefunden. Man besichtigt vergangene Theaterkunst, Bedeutendes, das der Malsaal hier auf der Bühne zurückgelassen hat. Sozialistischer Realismus, Expressionismus oder Abstrakte Kunst, darüber wird man sich allerdings nicht einig. Das diskutierte Bild stellen natürlich wir, die Zuschauer, dar. Die Statisten, die üblicherweise im Saal sitzen und vor denen sonst das Schauspiel der Darsteller und Statisten auf der Bühne stattfindet. So hat es Volker Braun in seinen Arbeitsnotizen zur Übergangsgesellschaft vermerkt. Lukas Langhoff nimmt das als Gag in seiner Inszenierung wieder auf und dreht die Ausgangssituation einfach um.

Wie aus einer längst vergessen Zeit sitzen weiß gewickelte Mumien in den Theatersesseln. Langhoff zitiert damit die Eingangsszene von Volker Brauns Stücks, in der die Protagonisten von Tschechows Drei Schwestern unter Gaze auf der Gartenterrasse sitzen. Langhoffs Schauspieler setzen sich nun neben sie und lassen einer nach dem anderen die Luft aus ihnen heraus. Leider lässt Langhoff im Folgenden auch aus dem eigentlichen Stück nach und nach die Luft ab. Übrig bleiben einige wenige Satzhülsen, die er mit reichlich Slapstick und Klamotte aufpeppt. Dass Langhoff die Übergangsgesellschaft vom Blatt spielen würde, war von vornherein nicht zu vermuten. Dass er aber das Spiel ganz und gar verweigert, überrascht dann doch.

Brauns radikale Wirklichkeitskritik des real existieren Sozialismus in seiner Erstarrung erstarrt bei Langhoff zur provokanten Pose der Postdramatik. Da werden noch eine Heizungsverkleidung zerstört und Schauspielerin Mette (Marleen Lohse), die bei Braun noch den Ausbruch wagt, scheitert hier beim Zerschlagen der Eingangstür des Saals. Sie kommt nicht durch das Loch hindurch und steht nun mit Faltenmaske als alternde tragische Figur da. Sie muss sich von den Männern als Schlampe und schlechte Schauspielerin beschimpfen lassen. Die Männerriege trinkt Bier, erzählt Witze und ergeht sich in unendlichen Labereien unter einer großen aufblasbaren Leberzirrhose. Schon bei Braun eine Blase von Opportunisten und Schönrednern, geraten sie hier vollends zu Schaumschlägern. Der Spanienkämpfer Wilhelm Höchst (Falilou Seck), ein senil brabbelnder Alter; sein Neffe Walter, ein gelackter Wendehals; der Schriftsteller Anton, eine verhinderte Künstlerpose; Dr. Bobanz (Simon Brusis), ein schwätzender Popanz par excellence und Fahrer Franz (Sebastian Brandes), ein sachsen-anhaltinischer Ost-Prolet und Frauenanbaggerer ("Frau in Not") mit blonder Rotzbremse.

Die Frauen stellen ihnen da nicht wirklich eine Alternative entgegen. Alternativlosigkeit, ein Diktum unserer heutigen Gesellschaft, hier wird sie vorgeführt. Die drei Schwestern (Mareike Beykirch, Elizabeth Blonzen und Sesede Terziyan) haben zwar ihre Auftritte, aber nicht wirklich das Sagen. Die Frage nach Olgas verschwundenem Kollegen Frank wird zum Runnig Gag. Ihre Frage erstarrt zum Schrei. Lukas Langhoff hat sich bereits komödiantisch mit der DDR und dem Kapitalismus auseinandergesetzt. In Dessau inszenierte er den Turm von Uwe Tellkamp als 90minütige Kabarettnummer, und in Potsdam ließ er Elfriede Jelineks Kontrakte des Kaufmanns in Affenkostümen aufführen. Endlich in Berlin angelangt, verpasst er allerdings die Gelegenheit beide Systeme kritisch zusammenzuführen.

Die Idee, das als gescheiterten Auftrag des Bilderbürgertheaters abzubilden, ist an sich ja nicht verkehrt. Ist der Schauspieler per se ein guter Mensch, wenn er ihn auf der Bühne darstellt? Das Ensemble quittiert Bobanz' naive Aussage mit Gelächter. Das Theater als verschlossenen Tempel einzureißen ist das Gorki angetreten. Die Sehnsucht der Menschen nach einer Ideologie oder einem Gott, der ihre Probleme löst, erklärt Tamer Arslan als Erscheinung im weißen Cowboyoutfit in einer Parabel vom Volk der Esel. Das Haus brennt hier zum Ende hin nicht ab. Die Übergangsgesellschaft verkriecht sich wieder unter ihre Gazehüllen. Der Tabubruch bleibt aus und Langhoffs vermeintliches Sakrileg ohne Folgen. Wie tickt der neue Mensch? Das wird die Frage bleiben. Und das neue Gorki wird hoffentlich Lukas Langhoffs Inszenierung nicht zum Programm erklären.



Bewertung:    


Stefan Bock - 22. Dezember 2013
ID 7482
DIE ÜBERGANGSGESELLSCHAFT (Maxim Gorki Theater, 19.12.2013)
Regie + Bühne: Lukas Langhoff
Mitarbeit Bühne: Justus Saretz
Kostüme: Ines Burisch
Musik: Volkan T.
Dramaturgie: Holger Kuhla
Mit: Tamer Arslan, Mareike Beykirch, Elizabeth Blonzen, Sebastian Brandes, Simon Brusis, Marleen Lohse, Taner Şahintürk, Falilou Seck, Sesede Terziyan und Till Wonka
Premiere war am 14. Dezember 2013
Weitere Termine: 28. 12. 2013 / 8., 25., 26. + 31. 1. 2014


Weitere Infos siehe auch: http://www.gorki.de


Post an Stefan Bock

blog.theater-nachtgedanken.de



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